Der jahrhundertelange Zugriff der Männer auf die Leipziger Stadtpolitik hat natürlich auch im Leipziger Straßenraum seine Spuren hinterlassen. Genauer: bei den Straßenbenennungen. Von Geschlechter-Parität kann da keine Rede sein. Wie es genau aussieht, hat jetzt der Stadt.Raum.Gestalten e.V. einmal genauer unter die Lupe genommen.

Straßenbenennung als „politischer Akt“

Die Ergebnisse seines Mapping-Projektes „Gender Map LE“ zu Straßennamen hat der Verein jetzt auf seiner Website veröffentlicht.

„Straßennamen sind Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt und ihre Benennung ist immer auch ein politischer Akt. Jedoch ehren nur 56 der Leipziger Straßen Frauen. Wir, der Verein Stadt.Raum.Gestalten e.V., möchten mit den Ergebnissen unseres Projektes einen Beitrag zur lokalen Debatte leisten“, erklärt Jenny Kunhardt die Motivation für das Projekt.

Die entstandene Karte ist ein Schritt, um auf das bestehende Missverhältnis im Stadtraum hinzuweisen. In einem Begleittext erläutern wir, wie Straßennamen gesellschaftliche Wertestrukturen über die Epochen hinweg widerspiegeln und warum nicht alle Straßen mit weiblich gelesenen Namen die Leistungen von Frauen ehren.“

Gleichzeitig diskutiert der Verein natürlich auch das unübersehbare Missverhältnis.

Verein kritisiert Diskrepanz

„1.201 Straßen in Leipzig sind nach Männern (resp. männlich gelesenen Personen und Figuren) benannt. Dies entspricht 602 km von insgesamt 1.770 Straßenkilometern. Nur 118 Straßen und lediglich 57 km sind dagegen nach Frauen (resp. weiblich gelesenen Personen und Figuren) benannt. Das Verhältnis männlich gelesener Namen zu weiblich gelesenen Namen beträgt also etwa 10 zu 1. Weitere 31 Straßen sind keinem Geschlecht eindeutig zuzuordnen (17 km), weil die Benennung einer gesamten Familie, Ehepartner/-innen oder Geschwistern zugeordnet wird (z. B. Coppistraße, Geschwister-Scholl-Straße).“

Aber auch die Zahl 118 ist mit Vorsicht zu genießen. Denn: „Nicht jede Straße, die einen weiblich gelesenen Personennamen trägt, ist zwangsläufig auf eine real existierende Persönlichkeit zurückzuführen. So sind etwa in Marienbrunn viele Straßen nach Märchenfiguren (z.B. Dornröschenweg) und in Thekla nach nordischen Gottheiten benannt (z.B. Idunweg).

Schein und Sein weiblicher Straßennamen

Gleichsam ist hervorzuheben, dass insbesondere bei Straßen, die lediglich einen weiblich gelesenen Vornamen tragen, die Benennung nicht als Ehrung für eine besondere Leistung erfolgte. Vielmehr spiegelt es die Positionen männlich gelesener Verwandter wider. So zum Beispiel die Mathildenstraße in Connewitz (benannt nach der Tochter eines Grundstücksbesitzers), die Antonienstraße im Leipziger Westen (benannt nach der ältesten Tochter des Freiherrn Christian Bernhard von Tauchnitz) oder die Amalienstraße in Plagwitz (benannt nach der Ehefrau eines Gemeinderatsmitgliedes, der die Straße anlegen ließ).“

Und das Ergebnis: „Schließt man diese Straßen aus, bleiben lediglich 55 Straßen übrig, die zu Ehren einer real existierenden und historisch prominenten Frau benannt sind. Dies entspricht 1,77% aller Straßen in Leipzig.“
Das darf man dann durchaus Marginalisierung nennen.

„Die Benennung von Straßen transportiert aktuelle gesellschaftliche Werthaltungen in das Straßenbild und ist somit immer auch ein politischer Akt“, betont der Stadt.Raum.Gestalten e.V.

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