So eine schräge Debatte zu Kindertagesstätten wie am 28. April im Leipziger Stadtrat hat dieses Gremium wirklich lange nicht erlebt. Die schrägsten Argumente kamen diesmal tatsächlich von CDU-Stadtrat Karsten Albrecht, der von einem „linken Tempo der Verstaatlichung der Stadt“ fabulierte und einem „VEB Kita“, ein Tonfall, den auch FDP-Stadtrat Sven Morlok dann aufnahm. Als wollte Leipzig jetzt gern mal wieder alle nichtkommunalen Kitas enteignen. Nichts weniger aber wollte die Vorlage.

Diese Vorlage „Langfristiges Entwicklungskonzept Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege für die Stadt Leipzig bis 2030“ hat das Dezernat Jugend, Schule und Demokratie erarbeitet. Es ist die zweite Fortschreibung des Leipziger Kita-Konzeptes, das jetzt vor allem den Weg bis 2025 festlegt. Darin geht es erst einmal nur darum, dass bis dahin 6.600 weitere Kita-Plätze geschaffen werden müssen, um den weiter wachsenden Bedarf zu decken.Immerhin war dieser Tag ja ein recht glücklicher, denn in den vergangenen Jahren hat Leipzig mit erheblichen Anstrengungen schon 11.000 neue Kita-Plätze aus dem Boden gestampft und damit die Zahl der Plätze seit 2010 auf 31.000 erhöht.

Zu Recht erinnerte auch der Grünen-Stadtrat Michael Schmidt in der Online-Debatte daran, dass es die Stadt damit geschafft hat, die gravierenden Engpässe der vergangenen Jahre zu beseitigen und halbwegs eine Versorgung mit Kita-Plätzen zustande zu kriegen, die den aktuellen Bedarf erfüllt.

Auch wenn es nach wie vor Probleme gibt, den nachfragenden Eltern immer den gewünschten Kita-Platz in Wohnortnähe anbieten zu können, wie Thomas Köhler (Piraten) andeutete. Dazu hatten die Freibeuter einen eigenen Antrag gestellt, der darauf zielt, das Kitaplatz-Portal entsprechend zu erweitern, um die Nachfrage besser abbilden zu können.

Diesen wandelten die Freibeuter kurzerhand noch in einen Prüfauftrag um. Trotzdem bekam er mit 25:26 Stimmen nicht die nötige Mehrheit.

William Rambow in seiner Rede zum Änderungsantrag von SPD- und Linksfraktion. Screenshot: Livestream, LZ
William Rambow in seiner Rede zum Änderungsantrag von SPD- und Linksfraktion. Screenshot: Livestream, LZ

Aber das war nicht der Streitpunkt des Tages. Denn SPD- und Linksfraktion hatten einen Antrag eingereicht, künftig den Anteil kommunaler Kindertagesstätten wieder zu erhöhen. 2000 lag er mal bei 50 Prozent, in Dresden und Chemnitz sind es heute noch 40 bzw. 50 Prozent. Leipzig hat nur noch einen Anteil kommunaler Kitas knapp unter 20 Prozent. Und eigentlich haben es William Rambow für die Linksfraktion und Christina März für die SPD-Fraktion sehr gut begründet, worum es ihnen in ihrem Änderungsantrag ging.

Christina März: „Wir mussten jedoch in den letzten 20 Jahren feststellen, dass der Anteil kommunaler Kitas und damit Plätze kontinuierlich geschrumpft ist von fast 50 Prozent im Jahr 2000 auf aktuell nur noch fast 20 Prozent. Gerade in der Zeit des Mangels an Plätzen sind damit der Stadt Steuerungsmöglichkeiten verloren gegangen, denn nicht immer hat das Kind, das den freien Platz am nötigsten hat bekommen, sondern unter Umständen die Eltern mit den besseren Kontakten, denn einen Rechtsanspruch hatten alle.

Aber auch heute ist Steuerung noch wichtig, um Kitas nicht zu Hot Spots werden zu lassen, um zum Beispiel Kinder, die einen höheren Hilfebedarf haben, möglichst gleichmäßig zu verteilen. Dass das zwischen freien Trägern und den Kitas in kommunaler Trägerschaft nicht immer funktioniert, der deutlich höherer Anteil an Freiplätzen in kommunalen Kitas ist dafür ein Indiz.“

Linke und SPD wollten also mit ihrem Antrag den Anteil kommunaler Kitas wieder erhöhen. Das war der Punkt, der CDU und FDP zu der seltsamen Formulierung brachte, hier ginge es um Verstaatlichung. Ganz abgesehen davon, dass eine kommunale Kita kein Staatsbetrieb ist, sondern eine Einrichtung der Stadt.

Und auch abgesehen davon, dass die zusätzlichen kommunalen Kitas durch Neubau entstehen sollen, nicht durch Änderung der Trägerschaft.

Und dazu kam: Beide Fraktionen waren anfangs mit höheren Forderungen in den Antrag gegangen. Der Anteil der kommunalen Kitas sollte von derzeit 19,9 Prozent bis 2030 auf 33 Prozent erhöht werden. Das aber wäre auch mit den größten Anstrengungen nicht machbar gewesen, so Sozialbürgermeisterin Vicky Felthaus.

Weshalb sie mit den beiden antragstellenden Fraktionen einen machbaren Kompromiss suchte, der auch den Intentionen der Vorlage entspricht. Woraus dann eine Neufassung des Änderungsantrages wurde, der nur noch 25 Prozent als Ziel setzt. Und eigentlich ist das so auch in der Vorlage der Stadt angelegt, wie Felthaus betonte.

Christina März in ihrer Rede zum Änderungsantrag von SPD- und Linksfraktion. Screenshot: Livestream, LZ
Christina März in ihrer Rede zum Änderungsantrag von SPD- und Linksfraktion. Screenshot: Livestream, LZ

Es war also ein erstaunlich kapitalistisches Geplänkel, das da auf einmal so kurz vorm 1. Mai im Stadtrat aufflammte, das so gar nichts mit dem eigentlichen Anliegen zu tun hatte – nämlich der Stadt wieder mehr Steuerungsmöglichkeiten zu geben, wenn Eltern kurzfristig bei der Bereitstellung eines Kita-Platzes geholfen werden soll.

„Frau Felthaus, daher vielen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit. Langfristig wird 2040, mit dem Antrag, ein Anteil von ein Drittel aller Plätze angestrebt“, sagte Christina März noch. Das ist die Zielzahl nicht für 2030, sondern für 2040.

„Das alles ohne Verträge mit Freien Trägern beenden zu müssen, das Gegenteil ist der Fall. Auch freie Träger werden weiter ihre Kapazitäten ausbauen können und an absoluten Zahlen weiter zulegen dürfen. Mit einer höheren Quote bei der Stadt kann diese schnell reagieren, wenn es Bedarf an speziellen Angeboten – bspw. zu heilpädagogischen Kindertagesbetreuung – gibt und freie Träger diesen Anspruch nicht zeitnah erfüllen können. Zudem erhalten freie Träger Freiheiten bei der Belegung und die Stadt muss nicht weiter Reglementieren.“

Und der kommunale Zugriff ist aus Sicht der SPD auch noch aus einem anderen Grund wichtig, so März: „Ein weiterer wichtiger Punkt in unserem Antrag ist die langfristige Sicherung der Kitas. Das ist vor allem möglich, wenn die Grundstücke, auf denen die Kitas stehen, der Kommune gehören und noch sicherer, wenn diese auch von der Kommune errichtet und vermietet werden. Dass wir hier schon weiter sind, als von der Vorlage ursprünglich gezeigt, ist gut.“

Sie sagte dann auch noch den Satz, den man wirklich erst richtig versteht, wenn man als Eltern wirklich nach einem leicht erreichbaren Kita-Platz sucht: „Die beste Kita ist immer die Kita um die Ecke. Jede Einrichtung muss qualitativ hochwertig und attraktiv für Kinder und dann für die Eltern sein. So werden nicht nur lange Fahrtwege durch die Stadt vermieden, sondern auch attraktive Stadtquartiere können sich entwickeln. Da Familien vor Ort immer das Angebot vorfinden, was benötigt wird.“

Darauf nun ausgerechnet eine Verstaatlichungs-Debatte aufzubauen, ist wirklich ziemlich schräg.

Erst recht, wenn man bedenkt, dass im selben Stadtrat schon mehrfach darüber debattiert wurde, den Anteil kommunaler Kitas in Leipzig wieder deutlich zu erhöhen. Was sich übrigens auch in der Vorlage des Sozialdezernats widerspiegelt. Und das keineswegs als Misstrauensantrag gegen die freien Träger. Da hat Michael Schmidt durchaus recht, wenn er darauf hinweist, dass der rasche Aufbau der Kita-Kapazitäten ohne die vielen Freien Träger nicht gelungen wäre. Sie haben nicht nur eine besondere Angebotsvielfalt geschaffen, sondern Leipzig auch in einer echten Klemme geholfen. Weshalb sie auch künftig ihre Kapazitäten ausbauen sollen, wie Vicky Felthaus betonte.

Das Ganze war also eher eine Scheindebatte gegen ein Gespenst, das gar nicht da war.

Was dann trotzdem 15 Stadträt/-innen dazu brachte, gegen die Verwaltungsvorlage zu stimmen, und 13 sich ihrer Stimme enthalten ließ. Was noch deutlicher zeigte, dass man hier eine Debatte am Thema vorbeigeführt hatte, aber nicht einmal ansatzweise begründet hat, warum man nun ausgerechnet gegen die Vorlage der Verwaltung stimmte. Denn warum sollte man gegen weitere 6.600 Kita-Plätze sein? Das ergibt keinen Sinn. Da 60 Stadträt/-innen im Livestream waren, gab es dennoch eine Mehrheit von 32 Stimmen für die Verwaltungsvorlage, die jetzt den Rahmen setzt für den Kita-Bau der nächsten fünf Jahre.

Die Debatte vom 28. April 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar