Während die Hitzeglocke über der Stadt morgen leicht nachlassen soll, wird der Wahlkampf härter, skurriler und heißer. Nachdem die BILD eine Entscheidung zweier Leipziger Kitas, kein Schweinefleisch mehr auf dem Speiseplan zu haben, zur Verkaufssteigerung in rechtsnationalistischen Käuferschichten genutzt hatte, gab es auch ordentlich Zunder von der CDU Sachsen. In manchen Kreisen scheint Schweinefleisch so etwas wie ein nationales Bekenntnis geworden, sodass nun auch die ADPM mit André Poggenburg im Reigen nicht fehlen darf. Er möchte morgen 15 Uhr gern direkt an einer Kita demonstrieren, während sich fast ganztägiger Gegenprotest angemeldet hat. Auch gegen die CDU ab 13:30 Uhr.

Bevor es morgen wahrscheinlich ab 15 Uhr zu einem Aufeinandertreffen von Poggenburgs Kleinkundgebung und dem Gegenprotest von „Leipzig nimmt Platz“ vor der dann kinderlosen Kita an der Lößniger Straße 10 kommt, startet bereits ab 13:30 Uhr eine Kundgebung unter dem Titel „Keine Stimme für CDU-Hetze!“ in der Leipziger Innenstadt. Wie die Veranstalter vorab verkündeten, richte sich diese Versammlung in der Grimmaischen Straße vor der Mädler-Passage direkt gegen das dortige CDU-Büro und „gegen die rassistische Hetze und den Geschichtsrevisionismus, mit denen die Partei Wahlkampf betreibt.“ Zudem solle „ein Zeichen der Solidarität mit Betroffenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gesetzt werden.“

In der Tat ist derzeit die Marschrichtung der CDU Sachsen im Landtagswahlkampf klar und erinnert nicht grundlos an den Stil, der Sebastian Kurz in Österreich 2017 auch mittels thematischer Annäherung an die rechtsradikale FPÖ zum Kanzler machte. Denn laut verschiedener übereinstimmender Medienberichte sind Machart und Zuschnitt auf das „Team Kretschmer“ („Liste Kurz“) von „Kanzler-Macher“ Philipp Maderthaner und dessen „Campaigning Bureau“ mit Sitz in Wien und Berlin zurückzuführen. Mit sogenanntem „Movement Campaigning“ sollen vor allem in den sozialen Netzwerken möglichst viele Menschen zu einer Art gemeinsamer Bewegung für den Kandidaten und die Richtung der CDU geformt werden.

Mittels Datenanalysen werden dabei fortlaufend die Wünsche der auszubauenden Zielgruppe analysiert, um diese anschließend in aufrüttelnde Bilder übersetzt zur Aktivierung zu nutzen. Der Kandidat und die „Bewegung“ sollen somit eins und der Wähler involviert werden. Da bei dieser an Graswurzel-Bewegung angelegten Art vor allem emotionalisiert und mit konkreter Ansprache („Teile dieses Bild, wenn Du auch dieser Meinung bist“) Druck aufgebaut wird, steigt zwangsläufig auch die Gefahr von Radikalisierung auf allen Seiten.

Ein Zustand, welchen man in den USA bereits bestens kennt. So bekam die CDU Sachsen zwar extremen Gegenwind auf die beiden Postings, doch auch dies werten erfahrene Campaigner dennoch als Erfolg. Hauptsache Aufmerksamkeit und Bekenntnisse.

Bewegung ist alles, Desinteresse oder Passivität der Hauptfeind

Wenig verwunderlich also, dass die CDU sich erst mit einer quasi Gleichsetzung des von Großindustriellen getragenen Nationalsozialismus und des „real existierenden Sozialismus“ in der DDR versuchte und anschließend im „Schweinefleisch-Streit“ demonstrativ mit Grillgut in die Debatten einschaltete. Der Versuch dabei immer, Ressentiments und Vorurteile zu bedienen – ganz gleich, ob es um den politischen Gegner namens „Die Linke“ (schuld an der DDR) oder Muslime (und essenstechnisch konsequent zu Ende gedacht, auch Juden, Buddhisten usw.) geht.

Die anschließende Presseberichterstattung – dann nur noch über „den Streit“ – verbreitet die somit eingenommene Haltung dennoch, irgendetwas von „gegen Sozialismus“ und „für Schweineschnitzel und Heimat“ bleibt sicher haften. Hinzu kommt: die kritischen Medien hängen durch die langwierigere Aufarbeitung des „Campaignings“ im Takt der sozialen Netzwerke immer hinterher, Pressemitteilungen zu den Schaubildern versendet man logischerweise nicht.

Nicht grundlos also werden mittlerweile seitens der CDU Sachsen „Liebe zur Heimat“ und „Bedrohliche Esskulturen“-Emotionen geschürt, alles ähnelt der Art, wie Kurz vor zwei Jahren der FPÖ Wählerstimmen nahm, um anschließend mit ihr bis zum vorzeitigen Platzen der Koalition zu regieren. In Sachsen lauten die Hauptgegner AfD und Linkspartei, bei den Umweltthemen dürften nur noch Emotionen ohne Kern folgen, da hier die CDU außer ihren (Groß)Bauernverband und Braunkohleabbau nichts vorzuweisen hat. Weshalb sie sich derzeit vor allem aufnahmefähig auch für rechtere, nationalistische Positionen präsentiert, um die AfD zu marginalisieren.

All dies soll am 1. September zu Wählerstimmen werden, der eventuelle weitere Rechtsruck in Sachsen wird in Kauf genommen.

Eine Befürchtung, die die Veranstalterinnen des Freitags jedenfalls längst haben. „Wir vermuten, dass die CDU damit Wähler/-innen am rechten Rand abfangen will“, erklärt Mika Koch, „Für uns ist jedoch inakzeptabel, dass zugunsten von Stimmen die Unversehrtheit von Bürger/-innen aufs Spiel gesetzt und der Nationalsozialismus verharmlost werden.“

Zu welchen Konsequenzen diese sonst eher bei der AfD bekannten, landespolitisch praktisch sachthemenfreien Zuspitzungen und Radikalisierungen im „sozialen Netz“ haben könnten, konnte man beim Sprengstoffanschlag am Dienstag, 23. Juli, auf die Wohnung der Linken-Stadträtin Ramona Gehring in Zittau beobachten. Die Gefahr steigender Angriffe auf linke und linksliberale und sozialdemokratische Kandidaten jedenfalls ist längst gegeben.

Lufthoheit überm Kinderteller

Auch im Falle des Kita-Streites, in dessen Rahmen der gemeinsam mit den Eltern der Einrichtungen entschiedene Schweinefleischverzicht nach massiven Bedrohungen vorerst zurückgenommen wurde, sehen die Aufrufenden für den morgigen Tag ein ähnliches Verschulden seitens der CDU neben BILD und anderen.

Christin Melcher, Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Sachsen: Stadt soll eine Verlegung der Demonstration an einen anderen Ort erwägen. Foto: L-IZ.de
Christin Melcher, Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Sachsen: Stadt soll eine Verlegung der Demonstration an einen anderen Ort erwägen. Foto: L-IZ.de

So sei es „erschreckend, dass eine Partei, die in ihrem Wahlkampf vorgibt, Politik ‚für Sachsen‘ zu machen, keine Solidarität mit Bürger/-innen – mit Kindern! – zeigt, die sich infolge der rassistischen Hetze in sozialen Netzwerken mit rechtsradikaler Gewalt bedroht sehen“, so Koch, „Stattdessen bleibt die Falschinformation über ein ‚Schweinefleischverbot‘ unkorrigiert auf den Kanälen der CDU stehen. Es wird nicht der kleinste Versuch unternommen, die selbst herbeigeführte Situation wieder zu deeskalieren.“

Noch ein bisschen härter versucht sich deshalb nun auch die ADPM um André Poggenburg zu positionieren und hat zu einer Demonstration um 15 Uhr direkt am betroffenen Kindergarten an der Lößniger Straße 10 aufgerufen. Ob er dann wirklich kommt, ist bekanntermaßen offen.

Unterdessen hofft das Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“ (LnP) noch auf eine Beschränkung oder gar eine Verlegung der Demonstration durch die Stadt Leipzig. So fordert Christin Melcher, Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Sachsen die Stadt Leipzig auf „eine Beauflagung an einen anderen Ort“ zu organisieren. „Die Kitas werden so schon bedroht und es ist unzumutbar, dass die Kinder in Angst versetzt werden und die Auseinandersetzung auf dem Rücken von Kindern und deren Eltern ausgetragen wird“, ergänzt Melcher.

Und auch bei LnP sieht man einige Linien am rechten Rand. „Nachdem auch die sächsische CDU sich mit der falschen Behauptung, dass es ein Verbot gegeben habe, an der unsäglichen Hetze gegen zwei Leipziger Kitas beteiligt hat“, möchte nun auch André Poggenburg „seinen Hetzsenf dazugeben“, so Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete und Stadträtin der Linken. Doch „weder Rechte im anmaßenden Selbstverständnis einer gesamtgesellschaftlichen Ordnungsmacht, noch Religionen als Initiatoren pauschaler Regelwerke sollten über das Essen bestimmen, sondern die betreffenden Eltern mit den Kindern selbst“.

„Wir rufen alle Leipzigerinnen und Leipziger morgen dazu auf, der ADPM mit André Poggenburg deutlich zu zeigen, was wir von seiner Aktion halten, vor Leipziger Kindertagesstätten seine rechte Hetze verbreiten zu wollen und dass wir für Vielfalt in der Stadt stehen.“, heißt s im Aufruf von LnP für den Freitag.

Weitere Informationen zur Demonstration ab 13:30 Uhr in der Innenstadt unter:
keinestimmefuercduhetze.home.blog

Weitere Informationen zur Demonstration ab 15 Uhr beim Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“
platznehmen.de

Schweinefleisch-Demo: André Poggenburg sagt mal wieder ab

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Volkszorn: Einmal Schweineschnitzel und den DDR-Nazi süß-sauer gekocht bitte, Herr Verräter

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Es gibt 2 Kommentare

Nicht mal der Mord an einen Politiker aus den eigenen Reihen als Ergebnis genau solcher Hetzkampagnen hat die CDU aufgerüttelt, so weit sind die schon auf ihrem Weg nach rechts gekommen. An dieser Partei ist nichts mehr christlich, und ich bezweifle, dass es das jemals war.

Na, da findet sich schon jetzt zusammen, was nach der Wahl aufs Schönste vereint im Koalitionsbett liegen wird. Fragt sich nur noch, wer den MP geben darf, CDU oder AfD.

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