Ein mulmiges Gefühl geht um in Europa. „Es seien noch nicht alle Bedenken von Mitgliedstaaten ausgeräumt, sagte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zum Auftakt eines Handelsministertreffens in Luxemburg“, meldet der „Spiegel“. Und lässt die wortgewaltige Kommissarin trotzdem mit einer Falschbehauptung zu Wort kommen, die ein sehr grelles Licht auf das wirft, was die EU eigentlich ist. Und was nicht.

Malmström warne vor negativen Folgen für die internationale Rolle Europas beim Scheitern des Freihandelsabkommens, meldet „Spiegel Online“. „Das wäre eine sehr schwierige Situation“, zitiert „Spiegel Online“ die EU-Kommissarin. „Wenn es die EU noch nicht einmal schaffe, mit Kanada ein Abkommen zu schließen, werde sich der Rest der Welt die Frage stellen, ‚ob Europa ein verlässlicher Partner ist‘.“

Soviel Blödsinn in einem Satz wurde lange nicht formuliert. „Die Welt“ wird sich gar nichts fragen. Warum sollte sie? Natürlich meint die wirtschaftsliberale Schwedin nicht „die Welt“. Da wäre sie die erste Kommissarin, die überhaupt auf den Gedanken gekommen wäre, EU-Politik einmal in Welt-Politik einzubetten. Oder in ihrem Handeln überhaupt einmal die Welt zu betrachten – zum Beispiel in Bezug auf die Wirkung schon existierender „Freihandelsabkommen“ made in USA. Die zwar so heißen, aber keine sind.

Auch CETA und TTIP sind keine. Es sind – um schon einmal Noam Chomsky vorwegzunehmen, dessen neuestes Buch wir demnächst an dieser Stelle besprechen – Abkommen zur Sicherung von wirtschaftlicher Vormacht. Und zwar nicht irgendwelcher wirtschaftlichen Vormacht, sondern derer der USA. Und zwar ganz und allein. Auch eigentlich konservative Blätter wie die FAZ stellen mittlerweile erstaunt fest, dass vor diversen Gerichten – vor allem in den USA – längst ein veritabler Handelskrieg USA versus Europa im Gang zu sein scheint. Namhafte europäische Konzerne werden mit ganzen Serien milliardenschwerer Anklagen überzogen, als wollte man die Gunst der Stunde nutzen, um unliebsame Konkurrenz mit saftigen Strafen vom Markt zu fegen.

Was man auf Grundlage diverser „Freihandelsabkommen“, wie sie die USA seit Jahrzehnten versuchen, ganzen Weltregionen aufs Auge zu drücken, noch viel besser kann. Denn dann können nicht nur unliebsame Konkurrenten verklagt werden, sondern ganze Staaten und Regierungen – etwa am Beispiel Argentinien schon anschaulich durchexerziert.

Es geht um die Durchsetzung von Macht. Und das geht in der EU ans Eingemachte, auch wenn die EU-Kommission so tut, als würde ihre Wirtschaftspolitik die demokratischen Grundstrukturen der Gemeinschaft gar nicht berühren. Gerade Abkommen wie CETA tun es aber ganz augenscheinlich.

Das stellen jetzt auch 101 Juristinnen und Juristen aus 24 europäischen Staaten fest. Immerhin sind das Leute, die sich mit verklausulierten Paragraphen gut auskennen. Sie appellieren in einer gemeinsamen Stellungnahme an europäische Entscheidungsträger, die umstrittenen Rechtsinstrumente aus TTIP und CETA zu entfernen. Ihre Sorge gilt insbesondere den Sonderrechten für ausländische Investoren (ICS/ISDS). Da geht es um die heftig diskutierten Schiedsgerichte. Die schaffen nämlich kein besonderes Wirtschaftsrecht, sondern unterlaufen die demokratisch legitimierte Justiz der betroffenen Staaten und ihre staatliche Souveränität.

„Über 100 Rechtsprofessoren machen deutlich, dass das Sonderklagerecht für ausländische Investoren in CETA aufgegeben werden muss. Auch internationale Konzerne müssen wie alle anderen vor ordentlichen Gerichten ihre Interessen vertreten. Es kann nicht angehen, dass demokratische Errungenschaften wie die Sozialbindung des Eigentums auf dem Altar internationaler Handelsverträge geopfert werden. Es ist gut, dass das Bundesverfassungsgericht in der letzten Woche dafür gesorgt hat, dass die Teile zum Investment Court System (ICS) nicht vorläufig in Kraft treten dürfen“, kommentiert Ernst-Christoph Stolper vom BUND den Appell.

Investorenschutz und Investor-Staat-Streitbeteiligungsmechanismen (ISDS) gehören zu den wichtigsten Streitpunkten bei TTIP und CETA. Diese Rechtsinstrumente ermöglichen ausländischen Investoren, in privaten Schiedsgerichten Schadenersatz von der EU oder ihren Mitgliedsstaaten zu verlangen – etwa für entgangene Gewinne aufgrund von Gesetzen, die im Interesse des Allgemeinwohls (z.B. Umweltschutz) erlassen wurden. Deutlicher kann man das Recht der Nationen, eigene Entscheidungen im Sinne von Umweltschutz und Daseinsfürsorge zu treffen, nicht torpedieren.

Nach viel öffentlicher Kritik wurde für CETA ein neues Investorenschutzsystem, das Investment Court System (ICS), vorgeschlagen. Die Rechtsexperten argumentieren aber, dass die vagen Formulierungen von ICS weiterhin Anlass zur Sorge geben.

Einige Mitglieder des Europäischen Parlaments und anderen EU Institutionen ersuchen nun um ein Rechtsgutachten des Europäischen Gerichtshofs, ob das CETA Investitionskapitel überhaupt mit den EU-Verträgen vereinbar ist.

„101 Juristen und Juristinnen aus ganz Europa haben sich zusammengeschlossen und fordern den Ausschluss dieser Mechanismen von CETA und TTIP. Das ist eine klare Botschaft von Rechtsexperten“, sagt Dr. Michael Efler, Steuerungskreismitglied von Stop TTIP.

„Investoren können somit den Staat für ihre entgangenen Gewinne haftbar machen, selbst  wenn die Maßnahmen des Staates nicht diskriminierend, unter inländischen Gesichtspunkten rechtmäßig und beispielsweise darauf ausgerichtet sind, die Umwelt, die öffentliche Gesundheit oder die Arbeitnehmerrechte zu schützen beziehungsweise Eisenbahnen, die Wasser- oder Energieversorgung oder das Gesundheitswesen wieder zu verstaatlichen“, heißt es in der Stellungnahme.

Konzerninteressen werden also ziemlich eindeutig über die politische Souveränität der betroffenen Staaten gestellt. Dass die EU überhaupt über so ein Vertragswerk verhandelt, sagt im Grunde alles über das Demokratieverständnis innerhalb der EU-Kommission. Dass sie damit tatsächlich die von Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der Kommission, beschworene Verhandlungskompetenz überschreitet, scheint den Managern dieser völlig ins Konzernrecht abgedrifteten Kommission nicht mal mehr bewusst zu sein. Sie merken nicht einmal mehr, dass sie die ganze Zeit über die Einführung eines Trojanischen Pferdes verhandeln.

Oder sie merken es und verhandeln trotzdem.

In der Stellungnahme der Juristen heißt es jetzt ziemlich deutlich: „Im Rahmen der bestehenden Abkommen haben Investoren auf dieses Druckmittel gesetzt, um spürbar  Einfluss auf den demokratischen Politikwandel zu nehmen. Dieses Problem darf nicht unterschätzt werden, da arme wie auch reiche Länder bewiesen haben, dass sie für diesen  Druck anfällig sind.“

Und es geht nicht nur um Naturschutz. Es geht tatsächlich um das Aushebeln sozialer Standards. Das wird auch mit den nachverhandelten Formeln im Vertrag nicht besser.

„Vor allem schaffen sie es nicht, den substanziellen Schutz allein auf die Nicht-Diskriminierung zu beschränken“, heißt es in der Stellungnahme. „Sie enthalten immer noch Standards wie beispielsweise faire und gerechte Behandlung und Schutz gegen indirekte Enteignung, die ausländischen Investoren substanzielle Sonderrechte einräumen. Im Hinblick auf eine spürbare Anpassung des Schutzes ausländischer Investitionen an das inländische Schutzniveau wäre es am Besten gewesen, ausländischen Investoren lediglich einen Nicht-Diskriminierungsschutz anzubieten. Gleichzeitig wäre es möglich gewesen, die regulatorische Flexibilität der Staaten zu schützen, die für eine demokratische Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Im Gegenteil, diese Versuche, das Recht der Staaten auf Regulierung im Interesse der Allgemeinheit zu schützen, sind zum Scheitern verurteilt. Die entsprechenden Vorschriften sind lediglich Interpretationsrichtlinien und beinhalten verschiedene Voraussetzungen und Beschränkungen für den öffentlichen politischen Handlungsspielraum.“

Und nicht nur die Handlungsspielräume der Nationen werden untergraben. Auch die EU wird mit diesen Verträgen sturmreif geschossen.

„Die geplanten Kapitel über Investitionen für TTIP und CETA stellen ebenfalls eine große Belastung für Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie dar, die in den nationalen Verfassungen und im europäischen Recht verankert sind“, schreiben die Juristen. „Darüber hinaus werden sie wahrscheinlich die Autonomie der Rechtsordnung der Europäischen Union   berühren, da die verbindlichen und durchsetzbaren Entscheidungen der Investitionstribunale die effektive  und einheitliche Anwendung des EU-Rechts bedrohen.“

So sind CETA und TTIP gemeint. Und es ist schon erschreckend genug, wenn die zuständige Kommissarin glaubt, „die Welt“ würde es beschämend finden, wenn die EU den Verträgen nicht zustimmt.

Das Gegenteil ist der Fall: „Die Welt“ würde wohl sogar vorsichtig aufatmen, weil die EU damit die erste Staatengemeinschaft wäre, die sich gegen diese ganz offenkundige feindliche Übernahme wehrt. Aber mit Leuten wie Malmström und Juncker ist das natürlich nicht zu schaffen.

Die Ausarbeitung der Stellungnahme wurde von der Europäischen Initiative Stop TTIP koordiniert, die über 3,5 Millionen Unterschriften gegen TTIP und CETA sammeln konnte.

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

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Keine Kommentare bisher

Was ich nicht verstehe, warum uns Politiker wie Malmström, S. Gabriel ….ins offene Messer laufen lassen wollen! Von wem werden die bezahlt? Und welche Lobbyisten haben die beeinflusst. Es warnen soviele klugen Leute vor dem Inhalt dieser Abkommen und was das für Konsequenzen für uns Europäer haben würde und viele Politiker wollen blind unterzeichnen, das kann man als Bürger nicht mehr verstehen. Viele Bürger wissen auch gar nichts über TTIP, CETA, TISA usw., leider! Ich kann das auch nicht verstehen, denn wenn das so unterzeichnet wird, wie vorgesehen, werden sehr gravierende Veränderungen für die europäischen Bürger eintreten. Denken die Menschen nicht daran, dass unsere Kinder und Enkel…. das ausbaden müssen, was gewissenlose Politiker durchdrücken wollen!

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