Da hat sich Thomas Dienberg wohl nachträglich auf die Zunge gebissen, als er merkte, was er den Freibeutern in der Ratsversammlung am 19. Januar so aus der Hüfte versprochen hatte. Eigentlich ging es da nur um ein Modellprojekt zur kostenlosen Fahrradmitnahme in Leipzigs Straßenbahnen in den Tagesrandzeiten. Aber die Freibeuter nutzten die Gelegenheit, für die Straßenbahnen auch noch Fahrradsicherungen zu beantragen. Und Dienberg sagte einfach mal zu. Jetzt fällt es ihm auf die Füße.

Vermuten kann man dazu, dass auch Thomas Dienberg selten bis nie in Leipziger Straßenbahnen unterwegs ist und deshalb auch nicht weiß, dass die Fahrradmitnahme dort sowieso viel geringer ist als in S-Bahnen, denn natürlich haben hier Kinderwagen und Rollstühle Vorrang. Weshalb es das Modellprojekt zur Fahrradmitnahme auch nur in den Tagesrandzeiten geben soll, wenn die Bahnen leerer sind und die Plätze in Türnähe nicht auch noch von stehenden Passagieren gebraucht werden.

Fahrradmitnahme tagsüber ist deshalb nicht nur eine Ausnahme, sondern in der Regel auch eine Unverschämtheit – gerade dann, wenn sich Fahrradfahrer mit ihrem Rad in sowieso schon überfüllte Bahnen drängeln. Und das meist für Strecken, die problemlos mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können. Aus diversen Gründen werden die Räder dann auch nicht angeschlossen, sondern festgehalten. Außer von den sowieso Rücksichtslosen, die ihr Rad einfach abstellen und riskieren, dass es in der Kurve umkippt.

Woran tüfteln jetzt die LVB?

Aber versprochen ist versprochen, dachten sich die Freibeuter und fragten deshalb nach: „In der Ratsversammlung am 19. Januar 2022 hat die Ratsversammlung beschlossen, gegenüber LVB und MDV darauf hinzuwirken, dass für einen Testzeitraum von einem Jahr in den Schwachverkehrszeiten gemäß Nahverkehrsplan eine kostenfreie Fahrradmitnahme in den Straßenbahnen und Bussen in der Tarifzone 110 ermöglicht wird. Die Verwaltung wies jedoch auf das Risiko hin, dass es in den Straßenbahnen der LVB bis dato keine Sicherungsmöglichkeit vor Umkippen für die Fahrräder gibt.

Bürgermeister Dienberg hatte der Fraktion Freibeuter in diesem Kontext zugesichert, dass in den neu anzuschaffenden Straßenbahnfahrzeugen sowie in den Bestandsfahrzeugen Möglichkeiten geschaffen werden, Fahrräder zu fixieren und zu arretieren.

Wir fragen dazu an:

1. Bis wann plant der Oberbürgermeister gemeinsam mit der LVB die Bestandsfahrzeuge mit Fahrradsicherungen ausgestattet zu haben?

2. Ist geplant, an den Türen der Fahrzeuge Markierungen anzubringen, die einen geeigneten Fahrradzustieg signalisieren?“

Mal ganz zu schweigen davon, dass auch die Freibeuter-Anfrage davon erzählt, dass sie von Stadträten gestellt wurde, die selten bis nie mit der Straßenbahn fahren. Denn weder gibt es Straßenbahnen mit extra ausgewiesenen Fahrrad-Transporträumen wie bei der S-Bahn, noch kann man vor Einfahrt der Bahn wissen, welche Stellplätze aktuell frei oder schon durch Kinderwagen, Rollis oder anderem Transportgut besetzt sind.

Kinderwagen und Rollstuhlfahrer haben immer Vorrang

Und so ähnelte die Antwort aus dem Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) dann auch in gewisser Weise einer Aufklärung für Leute, die nicht so häufig im ÖPNV unterwegs sind.

„Alle Niederflur-Straßenbahnen der LVB sind in Abhängigkeit der Fahrzeuglänge mit je 1 – 5 sogenannten Vorbehaltsflächen ausgestattet. Diese befinden sich im Fahrgastraum jeweils gegenüber den Doppeltüren. Bei den Niederflurstadtbahnfahrzeugen sind die in Fahrtrichtung vorderen 1 bzw. 2 Vorbehaltsflächen für Rollstuhlfahrer priorisiert, die anderen für die Beförderung von Fahrgästen mit Kinderwagen. Entsprechend differenziert erfolgte auch die Kenntlichmachung mittels Piktogrammen im Wageninneren und außen an den Türen.

Grundsätzlich ist in Abhängigkeit vom Belegungsgrad dieser Vorbehaltsflächen eine Beförderung von Fahrrädern möglich. Die Vorbehaltsflächen wurden mit umlaufenden Haltestangenkonstruktionen ausgestattet, teilweise noch ergänzt mit flächigen und gepolsterten Anlehn- bzw. Prallelementen. Dadurch wird die Sicherheit der Fahrgäste durch sich bewegende Rollstühle, Kinderwagen oder auch Fahrräder sichergestellt. Für die Standsicherheit der in diesen Haltestangenrahmen abgestellten Gegenstände ist die Besitzerin bzw. der Besitzer verantwortlich.

Zu beachten ist, dass die Fahrradmitnahme nicht immer als ‚Standardfall‘ geschieht, indem ein Fahrrad längs an der Fahrzeuginnenseite abgestellt wird bzw. werden kann und dann relativ einfach über einen Spanngurt fixiert werden könnte. Sobald die Platzverhältnisse – z.B. durch andere Fahrgäste, Kinderwagen, etc. – diese Abstellung nicht ermöglichen, ist auch eine Fixierung schwierig. Dennoch suchen die LVB nach pragmatischen und kurzfristig realisierbaren Lösungen für die Sicherung von mitgeführten Fahrrädern.“

Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) haben also das Versprechen von Thomas Dienberg tatsächlich ernst genommen. Nur ist es eben so einfach nicht umsetzbar.

Und der sachte Hinweis an die Freibeuter fällt auch ins Auge: Die Radbesitzer sind selbst verantwortlich, ihr Fahrrad so zu sichern, dass es nicht umfällt. Stangen sind genug da, an die man es auch mit der eigenen Fahrradsicherung anbinden kann.

Neue Bahnen ab 2024 könnten Fahrradsicherung als Standard bekommen

Und trotzdem wirkt das Thema hier zu groß. Wer täglich im Berufsverkehr unterwegs ist, weiß, dass da selten bis nie wirklich Platz für ein Fahrrad ist.

„Gemäß der Beförderungsbedingungen und Tarifbestimmungen des Mitteldeutschen Verkehrsverbund haben fußläufige Fahrgäste, Rollstuhlfahrer/-innen und Fahrgäste mit Kinderwagen die erste Mitnahmepriorität“, betont das VTA.

„Fahrräder können entsprechend nur dann mitgenommen werden, wenn die Beförderungskapazitäten es zulassen. Daraus ergeben sich auch Einschränkungen bezüglich einer Kennzeichnung für eine Fahrradmitnahme, da diese maximal für Schwachverkehrszeiten verbindlich gelten kann. Eine Markierung für Fahrräder gibt es deshalb bislang nicht.“

Trotzdem wolle man bei künftigen Fahrzeuggenerationen – die ja deutlich breiter werden als die jetzigen Fahrzeuge – das Thema angehen, betont das VTA in seiner Antwort noch: „Die LVB gestalten gegenwärtig gemeinsam mit dem Fahrzeughersteller die neue Fahrzeuggeneration, die ab 2024 zum Einsatz kommen soll.

Im Rahmen der aktuell laufenden Entwicklungs- und Konstruktionsphase werden auch die Ausgestaltung und Ausstattung der Vorbehaltsflächen in enger Abstimmung mit den Fahrgastverbänden entwickelt. Das Ergebnis dieser Gestaltung kann auch für Anpassungen in der Bestandsflotte herangezogen werden. Ein etwaiger Anpassungsaufwand wäre dann zu planen und für eine Umsetzung in die Wirtschaftspläne der LVB einzustellen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Ausgestaltung der Vorbehaltsflächen im Rahmen der Konstruktion der neuen Fahrzeuggeneration derzeit in der Entwicklung befindet. Die Vorbehaltsflächen werden dabei auch unter dem Gesichtspunkt der sicheren Fahrradmitnahme betrachtet. Für Bestandsfahrzeuge wird parallel nach kurzfristig realisierbaren Lösungen gesucht.“

Das heißt: Es gibt noch keine Fahrradsicherungen, die man einfach mal so in die älteren Fahrzeuge einbauen könnte.

Die Frage dürfte bald wieder auf der Tagesordnung stehen

Doch das genügte den Freibeutern so nicht. Am 15. Juni fragte FDP-Stadtrat Sven Morlok deswegen nach. Da Baubürgermeister Thomas Dienberg an diesem Tag nicht anwesend war, versuchte OBM Burkhard Jung eine Antwort, konnte aber natürlich nicht Auskunft geben dazu, ob die LVB tatsächlich schon an Fahrradsicherungen für die Bestandsfahrzeuge tüfteln.

Da wagte Jung sogar vorsichtig zu fragen, ob Sven Morlok die Frage vielleicht im Fachausschuss direkt mit Thomas Dienberg bereden wolle? Aber da war er bei Morlok am Falschen. Der kennt sich mit den Arbeitsregeln, die sich der Stadtrat gegeben hat, nur zu gut aus. Und wenn Fragen öffentlich gestellt werden, müssen sie auch öffentlich beantwortet werden – und nicht im Ausschuss.

Womit die Antwort auf die Frage zur Fahrradsicherung in der nächsten Ratsversammlung wieder auf der Tagesordnung steht.

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Lieber Herr Juhlke,
manchmal klingen Ihre Artikel wie aus der LVZ. Es ist keine „Unverschämtheit“, mit dem Rad in der Straßenbahn Teilstrecken zu überbrücken. Fahre ich 3 km auf dem Rad, sehe ich noch manierlich aus. Bei 8 km bin ich dann schon recht verschwitzt.
Ich genieße es mit der S-Bahn und dem Rad in Leipzig unterwegs zu sein – die Kombination von Geschwindigkeit und Autonomie im Quartier – und ohne Auto. Die S-Bahn fährt aber nicht in ganz Leipzig. Also wird die Straßenbahn noch kompensieren müssen.
Der Antrag hat also seine Berechtigung.
Bitte so wie früher die Textsorten Bericht und Kommentar (Meinung) auseinanderhalten. Schon die Themen sind oft kontrovers genug.
MfG Thomas Marx

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