Linienbeförderungsfälle heißt es im trockenen Berichtsdeutsch der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), wenn andere Leute einfach von Fahrgästen sprechen. Aber es stimmt ja: Man kann die Bahnen und Busse mehrmals wechseln, bleibt dabei ein Fahrgast, wird aber zu vielen Beförderungsfällen. Zumindest in der Statistik der LVB, die das Jahr 2023 wieder ganz vorsichtig kalkuliert haben. Denn der Verlust an Fahrgästen in der Corona-Zeit sitzt den Planern in den Knochen.

Auf gerade einmal 100 Millionen Fahrgäste waren die Zahlen in den ersten beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 zurückgegangen. 2022 gab es den ersten Hoffnungsschimmer – auch durch das 9-Euro-Ticket, das drei Monate lang zeigte, wie viele Menschen ganz selbstverständlich mit Bus und Bahn fahren würden, wenn es nur bezahlbar ist. Ein Testlauf, dem ja bekanntlich ab Mai 2023 das 49-Euro-Ticket folgte, das eigentlich kein Testballon bleiben, sondern dauerhaft Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV animieren soll.

Dumm nur, dass sich Bund, Länder und Kommunen wieder über die Anschlussfinanzierung streiten. Denn natürlich unterliegt auch der ÖPNV der Inflation. Und wenn die Förderung von Bund und Ländern nicht mitsteigt, beginnt für die Inhaber des Deutschlandtickets wieder das alte Spiel: Es wird jedes Jahr teurer und teurer und teurer.

Dabei finden längst eine Menge Menschen den ÖPNV gut und als Alternative zum Auto machbar. Die LVB meldeten gerade erst, dass sie schon 100.000 Deutschlandtickets verkauft haben. Das ergibt natürlich auch einen Grundsockel an Menschen, die den ÖPNV öfter und regelmäßiger nutzen.

Deutlich unterschätzt?

Und da staunt man schon, wie konservativ die LVB das Jahr 2023 wieder prognostiziert haben. Oft scheint die Geschäftsführung selbst nicht daran zu glauben, dass das Angebot bei den Leipzigern noch ankommen könnte. Immerhin sind die Probleme überall im Netz zu sehen. Beim Umbau des Netzes auf 2,40 m breite Bahnen hängt man um Jahre hinterher. Doch noch schwerer wirkt sich der seit Jahren akute Fahrermangel aus. Wichtige Linien fahren – auch baubedingt – in eigentlich inakzeptabel großen Takten, wie z. B. die Linie 1 und die Linie 8. Normalerweise kostet so etwas Fahrgäste.

Und vielleicht war die Geschäftsführung der LVB deshalb auch 2023 sehr zurückhaltend, was die möglichen Linienbeförderungsfälle in diesem Jahr betrifft. 2022 rechnete das städtische Verkehrsunternehmen mit 127 Millionen Fahrgästen, was nach gerade einmal 103 Millionen ja ein spürbarer Zuwachs gewesen wäre. Am Jahresende aber standen dann knapp 135 Millionen Fahrgäste auf der Uhr.

Na ja, das könnte auch am 9-Euro-Ticket gelegen haben, vermutete man. Und setzte für 2023 dann ganz vorsichtig 142 Millionen Fahrgäste als Ziel. Doch schon die Zahlen nach dem ersten Quartal ließen ahnen, dass sich im Fahrbetrieb der LVB die Dinge viel schneller normalisieren, als es sich die Planer auch nur trauten zu erhoffen. Denn da verbuchte das ÖPNV-Unternehmen schon 36 Millionen Fahrgäste. Und zwar noch gänzlich ohne den Effekt des 49-Euro-Tickets, das erst am 1. Mai eingeführt wurde.

150 Millionen sind drin

Jetzt liegen auch die Zahlen für das zweite Quartal vor. Da steckt dann bereits ein bisschen 49-Euro-Ticket drin. Und 38 Millionen Fahrgäste für dieses zweite Quartal lassen jetzt schon vermuten, dass die 142 Millionen fürs ganze Jahr deutlich zu niedrig angesetzt sind. Nicht nur vermuten: Jeder Blick in Bahnen und Busse im Berufsverkehr zeigt, dass sie zu niedrig angesetzt sind. Die LVB fahren – trotz rammelvoller Fahrzeuge – längst wieder in Richtung 150 Millionen Fahrgäste, schließen mit dem Fahrgastaufkommen also an die beiden Vor-Corona-Jahre mit 155 und 153 Millionen Fahrgästen an.

Und sie bekommen immer stärker zu spüren, dass sie jetzt die Transportkapazitäten deutlich ausbauen müssen, denn das auf Kante genähte System mit seinen vielen Taktausdünnungen wird nicht genügen, die eigentlich angepeilten 220 Millionen Fahrgäste aufzunehmen. Dazu müssen vor allem mehr Straßenbahnen in dichteren Takten im Netz unterwegs sein.

Aber da kommt das große Problem, das die LVB im Prognosebericht auch benennen: Die zunehmende Schwierigkeit, Fahrpersonal zu rekrutieren. Keine Fahrerin, kein Fahrer da, kein Fahrzeug im Einsatz. Der Fachkräftemangel hält auch die ÖPNV-Unternehmen im Griff. Und wenn dann noch Erkältungswellen mit hohen Krankenständen dazu kommen, wird’s wirklich eng im Betrieb. In den Bahnen und Bussen sowieso. Was dann wieder keine gute Einladung für neue Fahrgäste im ÖPNV ist.

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Wer so schlecht zahlt wie die LVB, hat es auch besonders schwer Personal zu finden. Einkaufswagen schieben im Kaufland wird deutlich besser bezahlt – und da hat man weder Verantwortung noch muss man eine zertifizierte Qualifikation haben. Übersetzt: Es gibt Unternehmen, die das Problem des fehlenden Arbeitskräftepotentials bereits begriffen haben (und es gibt die LVB).

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