„Es ist soweit, endlich brauchen wir konkrete Hilfe“, beginnt die Nachricht, die in dieser Woche über diverse Kanäle in Leipzig geht. Es geht um den Wagenplatz Karl Helga in Leipzig-Plagwitz, dessen Bewohnerinnen und Bewohner bereits seit einigen Jahren ihres Zuhauses nicht mehr sicher sein können. Konkret: Seitdem Immobilienmogul Christoph Gröner und seine Groener Group das Gelände, auf dem sich insgesamt 60 Wohneinheiten befinden, im Jahr 2020 gekauft haben.

Der Chef der CG-Gruppe stattete dem Wagenplatz seither einen Besuch ab, er machte von Anfang an kein Geheimnis daraus, dass er die Fläche für den Bau einer Logistikhalle nutzen möchte.

Dass auf dem Gelände des Plagwitzer Bürgerbahnhofs, auf dem sich, angeschmiegt an die Klingenstraße, auch Karl Helga befindet, große Veränderungen anstehen, ist ebenfalls schon länger bekannt. Erst in der vergangenen Woche, am 29. August, erläuterte die Stadtverwaltung bei der Auftaktveranstaltung zum Beteiligungsverfahren mit Bürger*innen in der Aula der Grünen Schule (Baumannstraße) die Pläne für das Areal. Dabei wurde von Verwaltungsseite die Parallele zu einem ähnlich schwierigen Thema gezogen, bezüglich der Entwicklungsabsicht des Eigentümers für das Gelände der „Klinge“.

Petition gestartet: Umsetzung der Klimanotstandsgesetze gefordert

Viele Anwohnende und Nutzer*innen vor Ort zeigen seit Jahren Bedenken über das Vorhaben an. So kämpft die Initiative „Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten“ für den Erhalt von Freiraum und Grün, argumentiert mit der drohenden Überhitzung des Viertels durch zunehmende Versiegelung. Die Mitglieder argumentieren außerdem, dass das naturschutzrechtliche Gutachten, welches für die Erstellung des Bebauungsplans für das Gelände verwendet wurde, zum Zeitpunkt der Planung bereits sechs Jahre alt war.

2022 hatte der Ökolöwe – Umweltbund Leipzig e. V. deshalb die Erarbeitung eines neuen Gutachtens in Auftrag gegeben. Dessen Ergebnis veröffentlichte der Verein Ende August: „Wir haben herausgefunden, dass auf dem Gelände Leipzigs letzte Population der streng geschützten Wechselkröte lebt. Sie ist so bedroht, dass sie auf der Roten Liste des Bundesamts für Naturschutz (BfN) steht.“ Laut Ökolöwe könne diese zudem nicht einfach umgesiedelt werden, wie das bei anderen Bauprojekten üblich ist.

Eine aktuelle Petition bekräftigt die Einwände zur Bebauung des Bürgerbahnhofs. In dem Schreiben, welches im Juli ins Verfahren gegeben wurde, heißt es: „Durch eine weitere Verdichtung der Bebauung würde sich die Situation dramatisch verschärfen. Gerade weil davon auch Flächen betroffen sind, die aktuell thermisch einen enorm positiven Einfluss auf die Situation im Quartier und im gesamten Stadtgebiet haben. Nicht nur die Wohnbevölkerung im direkten Plangebiet wäre durch eine weitere Verdichtung massiven Gesundheitsgefahren ausgesetzt.“

Schon seit Jahren argumentieren in ähnlicher Weise die Bewohner*innen von Karl Helga. „Leben im Wagen bedeutet Leben ohne Betonfundament. Nichts ist zusätzlich versiegelt worden und dadurch ist die ganze Funktion einer Grünfläche gegeben, beispielsweise in Sachen Verdunstung und Versickerung des Niederschlags“, erklärt Jascha L., die mit ihrer Familie seit Jahren auf dem Wagenplatz wohnt. Das Areal sei Teil des Frischluftkanals über den Plagwitzer Bürgerbahnhof und das Viertel hinein, argumentiert sie.

In ebenjene Richtung zielt auch die Petition, die inzwischen von mehr als 5.000 Personen unterzeichnet wurde. Die Petent*innen beziehen sich auf die Ergebnisse der 2021 veröffentlichten Stadtklimaanalyse. Laut einer erst im letzten Jahr herausgegebenen Karte sei das entsprechende Areal „von einer mitunter extremen Überhitzung geprägt.“

Als Empfehlung zur Entwicklung solcher Bereiche heißt es in der Analyse: „Maßnahmen zur Verbesserung der thermischen Situation sind notwendig und prioritär. Sie sollten sich sowohl auf die Tag- als auch auf die Nachtsituation auswirken. Sofern es sich bei der Fläche um den Bestandteil einer Leitbahn handelt oder sie über einen hohen Kaltluftvolumenstrom verfügt, sind bei Nachverdichtungsvorhaben die Baukörperstellung zu beachten und die Bauhöhen möglichst gering zu halten.

Bei Nachverdichtungsvorhaben ist darauf hinzuwirken, dass sie zu einer Verbesserung auf der Fläche selbst sowie auf angrenzenden Flächen führen. Ist dies nicht möglich, sollten Nachverdichtungen gänzlich vermieden werden. Blockinnenbereiche sind von Bebauung freizuhalten und ggf. zu entsiegeln.“

Beschlüsse des Stadtrates ernst nehmen!

Weiterhin argumentieren die Einreicher*innen mit bereits vom Leipziger Stadtrat abgesegneten Beschlüssen. So werden die Ziele im Bebauungsplan zu den Quartieren an der Antonienstraße/Klingenstraße wie folgt formuliert: „Ziel ist eine geordnete städtebauliche Entwicklung im Plangebiet selbst, als auch in Bezug ihrer Auswirkung auf die Umgebung und deren gegenseitiger Verknüpfungen. Hierbei soll das verträgliche Maß der möglichen baulichen Dichte für alle Bereiche sowohl straßenseitig als auch im rückwärtigen Bereich geprüft und festgesetzt werden.“

Zugleich solle die zukünftige Bebauung hinsichtlich stadtklimatischer Auswirkungen, günstiger Durchlüftung und Klimaanpassungsmaßnahmen so verbessert werden, dass die östlich angrenzenden hochverdichteten Stadtquartiere davon profitieren.

Im Bebauungsplan „Grüner Bahnhof Plagwitz – Nordteil“ wird außerdem festgestellt: „In Bezug auf die Schutzgüter Klima und Luft sind die großflächigen und weiträumigen von Nord nach Süd verlaufenden und in Betrieb befindlichen Bahn- und Gleisanlagen in ihrer stadtökologischen Funktion als Ventilationsbahnen freizuhalten. Außerdem sollte die Bedeutung von Parkanlagen als Frischluft- und Kaltluftentstehungsgebieten beachtet werden.“

Jene Erkenntnisse gilt es bei der Entwicklung des gesamten Geländes umzusetzen. Um die Grünflächen in Plagwitz nicht weiterer Versiegelung zu opfern, fordert die Petition deshalb die konkrete Umsetzung der Ergebnisse der Stadtklimaanalyse ein. „Der Flächennutzungsplan der Stadt Leipzig ist entsprechend anzupassen. Die auf der Fläche vorhandenen Grünstrukturen sind als wichtiges Element des Leipziger Biotopverbunds dauerhaft zu sichern und zu entwickeln.“

Unterzeichnet werden kann die Petition noch bis zum 10. Oktober hier.

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Es gibt 3 Kommentare

Demokratie ist, wenn die halbe Stadt einer Person gehört die in jedem Stadtquartier gegen den offensichtlichen Willen der Bevölkerung handelt und Profit auf dem Nacken deren Gesundheit und Lebensqualität schlägt.
Ein herzliches Danke an die Politik. Ihr könnt euch nachts mal auf den Toompaqrkplatz legen, ist wie eine kostenlose Fussbodenheizung.

Eine Menge alter Rostlauben auf einem nicht versiegelten Grundstück. Was sollte da schon schiefgehen.

Stimmt es, dass die Bewohnenden von Karl Helga bereits mehrere Jahre den Vertrag zum Selbstkauf quasi vorliegen hatten und den Termin “verpennt” haben? (Meinte ein ehemaliger Bewohner des Platzes). Das wäre sehr ärgerlich – und noch ärgerlicher, dass sie erst danach die Medientrommel rühren.

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