Beim Studium von Musikwissenschaft und Journalistik hat Tatjana Böhme-Mehner auch Leipzig und die Leipziger Musikszene kennengelernt. Heute arbeitet sie als Programme Editor an der Philharmonie Luxemburg und lebt im Saarland. Aber die Leipziger Musik hat sie nicht losgelassen. Nun hat sie diese Szene in einen Krimi gepackt, in dem nicht nur eine wertvolle Bratsche zu Bruch geht.

Ein seltsamer Abend und ein Toter

Ein wenig ist dieser Krimi auch eine feinsinnige Kritik am Starrummel, den auch Leipzigs klassische Musikszene kennt mit ihren großen Musikerfamilien, deren Sprösslinge in die Fußstapfen der Eltern treten und wie selbstverständlich exzellente Studien an der Musikhochschule abschließen und dann in die renommiertesten Orchester und Ensembles aufgenommen werden. Allen voran natürlich das Leipziger Gewandhausorchester, dieses musikalische UFO der Stadt, das sowohl für deren musikalische Seele als auch ihren Ehrgeiz steht.

Da wundert sich dann die Musikkritikerin Anna, die Böhme-Mehner bei der einzig und alleinig noch existierenden Tageszeitung der Stadt arbeiten lässt, doch sehr darüber, dass das renommierte Streichquartett Kleisthenes ausgerechnet in einem doch sehr rustikalen Club namens In-and-Out auftritt, einem Ort, an den sich klassische Musiker in der Regel nicht verirren.

Und der Abend wird dann auch genauso seltsam, wie sie sich das gedacht hat – samt einer verkorksten Kleinen Nachtmusik, einem Glas Rotwein über Annas hellem Leinenkleid und einem abstürzenden Scheinwerfer, der nicht nur die teure Bratsche, sondern auch den Bratschisten erschlägt.

Führen die Spuren auf den Bratschen-Schwarzmarkt?

So etwas hat Anna noch nicht erlebt. Und zum ersten Mal hat sie nicht nur eine Konzertbesprechung zu schreiben, sondern darf und soll auch diesen Fall im Musiker-Milieu aufklären. Eine große Story, die sie irgendwie endlich mal aus der Ecke herausholt, in die sie in der Redaktion dieser Zeitung irgendwie abgeschoben wurde.

Oder sich abgeschoben fühlt. Wer liest denn auch Musikkritiken, wenn nicht die Musiker selber und das zahlende Publikum? Es stimmt schon: Die Leute, die sich klassische Konzerte leisten können und auch als Lebensstil pflegen, leben in einer eigenen Welt, meistens auch finanziell.

Auch das ein Grund dafür, dass der Lokalchef die Story lieber der Musikkennerin überlässt, die noch am Abend des Scheinwerfersturzes gleich mal ihren Co-Ermittler kennengelernt hat – den nur manchmal etwas tolpatschigen Habakuk C. Brausewind, der nicht ganz zufällig ebenfalls Bratschist ist und eine Menge zu erzählen weiß über die Bratsche, die an diesem Abend zu einem Häuflein Holzsplitter wurde.

Sodass natürlich einen erheblichen Teil der Geschichte die Frage im Raum steht, ob sich der tragische Vorfall nicht genau auf die wertvolle Bratsche bezog. Ein kleiner Einblick in die dunkle Welt der teuren Musikinstrumente wird bestimmt Liebhabern klassischer Musik nur zu sehr gefallen. Hat also die Musikinstrumenten-Mafia zugeschlagen? Oder wollte da jemand eine saftige Versicherungsprämie einstreichen?

Die Rolle der falschen Spuren

Aber so ist es ja meistens in flotten Kriminalromanen: Die Ermittler (in diesem Fall kommt auch noch eine durchaus freundliche Kriminalkommissarin hinzu) geraten erst einmal auf lauter falsche Spuren. Das ist ja gerade der Reiz an solchen Geschichten, die auch den gemütlichsten Leser wieder daran erinnern, dass wir meistens mit ziemlich vielen falschen und oberflächlichen Vorstellungen durch die Welt laufen.

Und dass wir uns Ereignisse meistens ziemlich falsch zusammenreimen, wenn wir nicht wissen, was wirklich passiert ist, welche Motive die Täter hatten und was Menschen überhaupt so dazu treibt, anderen Menschen ordentlich eins über die Rübe zu ziehen.

Deswegen sind die guten Krimis kleine gesellschaftliche Entlarvungsstückchen. Gerade weil alle drei Ermittler/-innen anfangs auf falschen Fährten sind, lernen wir die sehr eigene Welt des so brachial zu Tode gekommenen Musikers kennen, sein eher geheimes Privatleben und die Risse, die mitten durch das auf den ersten Blick so professionelle Kleisthenes-Quartett gehen.

Manchmal ist die Persönlichkeit des Toten dann eben doch der Schlüssel zur Tat. Und meist liegen die Ursachen für das Geschehen weiter zurück. Zuweilen im Klima einer Gesellschaftsschicht, in der das Statusdenken fest ausgeprägt ist und letztlich auch den Umgang in der Familie bestimmt.

Psychogramm des elitären Denkens

Zumindest ist es in dieser Geschichte so. Und Anna ist am Ende trotzdem verdattert, als sie dann im persönlichen Gespräch mit der Schwester des Toten erfährt, wie sehr dieses Statusdenken auch die Kindheit der Geschwister geprägt hat. Das spätere Leben sowieso. Womit das eigentlich auch eine Geschichte über die psychopathologischen Folgen unserer von Elitedenken (nicht nur in der Musik) geprägten Gesellschaft ist.

Nur ist natürlich die klassische Musik ein ganz exemplarischer Fall, weil die Konkurrenz um einen Platz in den renommierten Orchestern besonders groß ist, während die Musikhochschulen weltweit viele bestens ausgebildete Musiker/-innen in die Welt schicken. Da kann sich keiner eine Schwäche erlauben, ist höchste Meisterschaft selbst in der zweiten Reihe gefragt – und natürlich höchste Disziplin und Kontrolle.

Wie zwei zueinander finden

Was natürlich nicht ausschließt, dass es auch anders geht. Habakuk ist ja so ein Beispiel, der sich einen Ausgleich in einer Metalband gesucht hat und deshalb auch Leipzigs Clubszene kennt. Ansonsten ist er eher schüchtern und im Umgang mit Frauen überambitioniert, was – wie Tatjana Böhme-Mehner feststellt – den meisten Frauen gar nicht so gut gefällt.

Mit normalen Machos lässt sich leichter umgehen. Die zweifeln nicht an sich und wollen auch nicht immer wissen, ob sie nun alles richtig gemacht haben. Eigentlich eine sehr schöne Stelle. Warum hat sich damit noch niemand eingehender beschäftigt?

Denn diese Anna beschäftigt das schon. Eigentlich geht es ihr genauso, hat sie sich die Männer in ihrem Leben eher vom Hals gehalten, auch wenn Mama am Telefon drängelt und immerzu an die erbarmungslos tickende biologische Uhr erinnert.

Aber Anna hat – was eine mögliche Partnerschaft betrifft – eben nicht die seltsamen Schmetterlingsvorstellungen aus den üblichen Frauenromanen, sondern tatsächlich den stillen Wunsch, einen Mann zu finden, bei dem ihr Gefühl wirklich sagt, dass sie sich von dem tatsächlich gemeint und verstanden fühlt …

Da sucht man verdammt lange. Das wissen alle, die das wirklich so wollen und sich nicht mit dem Trallala der Hormone und dem ganzen Erwartungszirkus einer Gesellschaft zufriedengeben, die meist ziemlich schablonenhafte Vorstellungen vom Einanderfinden hat. Der Erwartungsdruck sitzt ja in den Köpfen der armen jungen Leute, erst recht, wenn sie dabei auch noch die Erwartungen von Eltern und Status meinen erfüllen zu müssen.

Das passt schon zusammen, dass es Anna und Habakuk anders sehen. Und deshalb auch erst spät darauf kommen, dass der Tote mit dem Gegenteil seine Probleme gehabt haben könnte. Probleme, die nicht nur seine Arbeit an der Musikhochschule beeinträchtigt haben.

Warum Leute Krimis lesen

Am Ende bekommt Anna ihre Exklusiv-Geschichte in der Zeitung nicht, weil dem Lokalchef nicht sensationell genug ist, was sie zu erzählen hat. Die meisten Lokalchefs haben auch so ihre eigenen verqueren Vorstellungen davon, was Leser/-innen eigentlich interessiert oder interessieren sollte. Sie leben – wie die Profimusiker – in ihren eigenen Welten von Status und Erwartung.

Deswegen stehen die besten Geschichten meistens nicht in der Zeitung, dafür immer wieder dieselben nach demselben Strickmuster. Was natürlich Krimi-Lesern auffällt, die sich ja auch deshalb immer wieder in die Krimi-Ecke verirren, weil die dort erzählten Geschichten wesentlich mehr mit der Kompliziertheit und Verücktheit unseres Lebens zu tun haben, als die schematischen Titelstorys der nach Küchenrezept gekochten Zeitungen und Magazine.

Warum töten Menschen andere Menschen?

Ganz so mörderisch, wie der Buchtitel vom „Mörderquartett“ suggeriert, ist dieser Krimi natürlich nicht. Hier zieht keine finstere Mörderbande durch die Stadt. Eher passiert das, was auch an den tatsächlich stattfindenden Leipziger Tötungsdelikten auffällt: Dass die Taten zumeist aus menschlicher Verzweiflung, Gefühlskälte oder seelischer Überlastung passieren. Was sie nicht weniger tragisch macht, was uns wieder daran erinnert, dass Menschen nicht von Natur aus „eiskalte Mörder“ sind. Und dass sich auch Gerichte am Ende meist schwertun, die wirklichen Auslöser für die Tat zu finden und die Schuldfähigkeit der Täter tatsächlich eindeutig zu bestimmen.

Darüber freilich müssen Anna und Habakuk nicht befinden. Sie können am Ende endlich den Ausblick von Annas Terrasse über die Stadt bei einem Gläschen Wein genießen. Der Fall ist gelöst. Die Tragik bleibt. Und die Geschichte des Kleisthenes-Quartetts ist für alle Zeiten zu Ende.

Tatjana Böhme-Mehner Leipziger Mörderquartett, Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2021, 12 Euro.

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