Selbst Kinderbücher liest man anders seit dem rabiaten Überfall von Putins Armee auf die Ukraine. So hatten sich das Birk Grüling und Tina Schulz zwar nicht gedacht, als sie „Am Arsch der Welt“ entwickelten. Aber die Ukraine steckt trotzdem schon drin, denn Krieg geführt hat Putin gegen die Ukraine schon seit 2014. Man hatte es nur beinah schon vergessen.

Eigentlich war Birk Grülings Idee, einmal so ein Bilderbuch zu machen, wie es sich wissbegierige Mädchen und Jungen wünschen, wenn sie anfangen, die Welt hinterm Gartenzaun zu entdecken: mit großen Karten, vielen Bildern von Tine Schulz und natürlich Monstern und Sensationen.

Als Kind weiß man noch, dass die Welt ein riesiger Schauplatz der Abenteuer ist. Und dass andere Länder und Gegenden voller Überraschungen stecken. Aber auch, dass es in der Welt nicht überall so gut aussieht wie in Deutschland. Und dass es anderen Kindern auch nicht so gutgeht wie hierzulande, wo man zu Fuß oder mit dem Fahrrad gut in die Schule kommt, manchmal auch von ängstlichen Eltern im „Elterntaxi“ chauffiert.

Aber kein Vergleich zu den vielen Ländern, wo Kinder oft sogar mitarbeiten müssen auf den Feldern oder Mädchen gar nicht zur Schule dürfen. Oder wo die Kinder sogar üben müssen, schnell in den Bunker zu kommen, wie das in der Ostukraine schon seit Jahren der Fall ist.

Kinder brauchen kluge Bücher

Womit man bei Anastasia wäre, einem der Kinder, die Tine Schulz stellvertretend für viele andere Kinder gezeichnet hat. Die Texte zum Buch hat Grüling als Wissenschaftsjournalist selbst geschrieben. Denn natürlich ist ihm bewusst, dass es auch für neugierige Kinder mehr Wissenschaftsjournalismus braucht, farbenreichen, spannenden und kindergerechten Journalismus, mit dem sie lernen, die Welt zu verstehen, wie sie ist. Und auch, dass sie völlig anders ist als in den üblichen Prinzessinnen- und Einhörner-Büchern.

Dass sie zum Beispiel voller Kriege und Gewalt ist und so etwas wie in der Ukraine nicht aus heiterem Himmel kam. Denn nach wie vor hat Russland die fünftgrößte Armee, hatte vor dem Krieg 1 Million Soldaten, 157 Kriegsschiffe und U-Boote und 12.500 Panzer – die größte Panzerarmee der Welt. Auch wenn die Kriege vorher anderswo stattfanden – in Syrien zum Beispiel, wo russische Bomber freilich auch im Einsatz waren und mit dafür gesorgt haben, dass Millionen syrische Menschen fliehen mussten.

Wie kleine Blüten sind auf der Karte, die einerseits die gefährlichsten Länder der Welt zeigt (Afghanistan, Syrien und Irak, meint Grüling), auch die sichersten Länder eingezeichnet: Island, Neuseeland und Portugal. Und auch die Länder, die sowieso auf eine Armee verzichten, weil sich Konflikte friedlich auch lösen lassen – und weil man auf Inseln in der Regel keine Armee braucht. Die meisten dieser Länder sind nun einmal Inseln.

Verrückte Gesetze, Frühstück und Kinder auf der Flucht

Eine einzige Karte – und ganz viel gelernt. Aber nicht alle Karten sind so kriegerisch. Es ist ja trotzdem ein Kinderbuch – und zwar für hellwache Kinder, die sich zum Beispiel auch dafür interessieren, was Kinder in anderen Ländern zum Frühstück essen oder was in anderen Ländern so alles verboten ist durch „verrückte Gesetze“.

Die natürlich von verrückten Erwachsenen erzählen, die ihre eigene Verrücktheit für den Maßstab der Welt halten. Oder manchmal nur auf bedenkenswerte Weise konsequent sind – wie die Franzosen, die in Paris das Knutschen am Bahnsteig verboten haben. Oder die Sylter, die das Radfahren für die normalen Leute verboten haben.

Natürlich gibt es zu allem kleine Texte, die erklären, warum das so ist. Manchmal sind Dinge, die verrückt klingen, trotzdem sehr sinnvoll.

Auf der nächsten Seite taucht dann wieder die Ukraine auf, wo schon mit den „alten“ Kriegshandlungen in der Ostukraine und auf der Krim seit 2014 zwei Millionen Menschen zur Flucht gezwungen wurden. Womit die Ukraine zu den Ländern der Erde gehört, die auf der Karte „Kinder auf der Flucht“ einen unübersehbaren Platz einnehmen.

Schlimme Könige, Klimawandel und heilige Orte

Und Heilige Orte gäbe es auch dort, aber das Buch beschränkt sich ja nicht auf einige wenige Länder, sondern wählt aus, damit die kleinen Neugierigen mitkriegen, wie groß und vielfältig die Welt tatsächlich ist. Unter den Heiligen Orten tauchen dann eben auch der Uluru in Australien auf, der (leider sehr schmutzige) Ganges und die Kabaa in Mekka.

Die Karten laden ja wirklich ein, sich vorzustellen, wie es anderswo ist. Wie Kinder anderswo zum Beispiel ihre Großeltern nennen, welche Lieblingssportarten sie haben und – ja, die „ernsten“ Seiten tauchen dann immer wieder mittendrin auf – wie sie unter dem Klimawandel heute schon leiden müssen.

Denn das sieht man ja von Deutschland aus nicht, dass der Klimawandel in Deutschland noch längst nicht so heftig zu spüren ist wie in Afrika oder in Südasien.

Und wo man schon mal richtig erschrocken ist, fällt das Umblättern zu den Ländern leichter, in denen noch Königinnen und Könige herrschen – und unter den Königen sind einige ganz finstere Gestalten, die noch so regieren wie im Mittelalter.

Monster in Hosen

Logisch, dass dann auch Kinderrechte thematisiert werden und „Strafen für Kinder“, bei denen man sich eigentlich an den Kopf fasst. Wie kann man denn Kinder schlagen oder gar ins Gefängnis stecken?

Wieder so eine Stelle, an der man merkt, dass einige Erwachsene tatsächlich richtig bekloppt sind und ihre Herrschsucht vor allem gegen Schwächere ausüben, zu denen natürlich Kinder gehören. Aber man darf es auch nicht verschweigen. Kinder können gar nicht früh genug erfahren, dass es da draußen auch Monster in Hosen gibt, die sich benehmen, wie Kinder sich niemals benehmen würden.

Dabei gibt es genug Herausforderungen in der Welt. Da braucht man diese Zuchtmeister nicht auch noch dazu. „Extreme Orte“ sind so eine Herausforderung – heiß oder laut, eiskalt oder ganz hoch, richtig nass oder sehr, sehr stürmisch. Also lauter Ecken, die Forscher und Entdeckerinnen auf den Plan rufen, wenn die nicht sowieso unterwegs sind, echte Monster aufzuspüren, auch wenn die möglicherweise nur ein Märchen sind wie das Monster von Loch Ness oder der Yeti.

Und weil besonders Mädchen benachteiligt sind, gibt es auch eine Doppelseite zu Mädchenrechten und zu Diskriminierungen von Mädchen weltweit, bevor sich alle über die lustigsten Ortsnamen in Deutschland kringeln und über die unterschiedlichen Tiergeräusche in den Sprachen Europas. Ganz so, als würden auch Kühe Spanisch sprechen und Katzen schwedisch.

Kleine und große Geschäfte

Es gibt auch noch ganze Seiten zu Süßigkeiten, zu Mäkelkindern und den gefährlichsten Schulwegen der Welt, bevor es dann ganz zum Schluss noch um das Eigentliche geht – also den wirklichen Arsch der Welt und wie Kinder überall so auf die Toilette gehen. Wenn sie denn eine haben. Denn wenn es gar keine Toilette gibt, wird es sehr – sagen wir mal: mittelalterlich. Denn dass das bei uns auch nicht immer so war, das erfährt man auch noch.

Es ist also so ein Buch geworden, in dem man immer wieder in unterschiedlichen Karten stecken bleiben kann, ob man das nun schon selbst lesen kann oder Papa alles vorlesen muss und dann ganz bestimmt noch eine Menge Löcher in den Bauch gefragt bekommt.

Was Birk Grüling aber wohl schon kennt. Denn Kinder fragen ja nicht umsonst. Kinder wollen alles wissen und unterscheiden sich damit deutlich von den meisten Erwachsenen, die immer so tun, als wüssten sie schon alles.

Birk Grüling, Tine Schulz Am Arsch der Welt und andere spannende Orte, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2022, 18 Euro.

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