Die Deutschen tun zwar gern gewaltig stolz auf ihre Dichter und Denker. Aber gelesen haben sie sie in der Regel nie. Sie rennen nur mit allerlei Sprüchen und Zitaten herum, die sie irgendwo aufgeschnappt haben, ohne zu wissen, woher die kommen. Das geht auch dem armen Heinrich Heine so, dessen Gedichtzeile „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ von allerlei Nachtgestalten geraunt wird, die nicht mal wissen, worum es in dem Gedicht geht.

Und so können Dagmar Gaßdorf und Bertold Heizmann nach Goethe auch ein kleines Aufklärungsbuch zu Heinrich Heine vorlegen, das den Leserinnen und Lesern den beliebtesten aller deutschen Dichter so vorstellt, wie sie ihn in der Schule garantiert nicht kennengelernt haben. Mit der liebevoll ausgesuchten Untertitelung: „Nicht nur für Schufte mit Gefühl“.

Denn auch wenn Goethe, Schiller und Eichendorff mehr Straßenbenennungen in Deutschland bekommen haben, bedeutet das eben nicht, dass sie auch so fleißig gelesen werden.

Oder dass die Leser auch nur wissen, in welche Literaturepoche sie gehören und warum sie vom deutschen Bürgertum auf den Sockel gehoben wurden, während sich deutsche Magistrate meist heftig wehrten gegen das Ansinnen, in ihrer Stadt ein Heinedenkmal aufzustellen oder gar eine Universität nach diesem Dichter zu benennen, der sich selbst als „entlaufenen Romantiker“ bezeichnet hat und mit der „Romantischen Schule“ den spitzzüngigen Abgesang auf die deutsche Romantik und ihren Mittelalterfimmel geschrieben hat.

Der Stil macht den Dichter

Das hat zwar bei den Unbelesenen nichts geholfen, die heute tatsächlich ihren Kaiser und das heilige Reich wiederhaben wollen. Aber es markiert eine Zeitenwende. Denn wie kein anderer markiert dieser Heinrich Heine den Schritt in die moderne Literatur. Nicht ganz grundlos staunen Dagmar Gaßdorf und Bertold Heizmann immer wieder darüber, dass man diesen Heine heute immer noch lesen kann.

Sein Stil wirkt so frisch wie am ersten Tag. Was auch daran liegt, dass er viele seiner Prosastücke zuerst für die größten Tageszeitungen seiner Zeit geschrieben hat.

Aber wer den Franzosen die Deutschen erklären will und den Deutschen die Franzosen, der muss sich eines klaren und lebendigen Stils bedienen. Der darf ironisch, listig und launig sein, muss an Pointen nicht sparen und darf auch deftige Bilder benutzen. Auch auf die Gefahr hin, dass ihm in deutschen Landen (36 an der Zahl) das Veröffentlichen seine Bücher verboten wurde.

Tatsächlich ist dieses Büchlein eine Reise durch Heines Leben in 60 kleinen, fein pointierten Kapiteln, die diesen Burschen aus Düsseldorf als Persönlichkeit sichtbar machen. Aber auch als begnadeten Sohn einer jüdischen Familie, in dem nur leider ganz andere Talente schlummerten, als sie sich sein reicher Onkel Salomon in Hamburg gewünscht hat.

Der ihn zeitlebens finanziell trotzdem unterstützte, auch wenn der kleine Harry sich als ganz schlechter Geschäftsmann entpuppte, und zwar emsig Juristerei studierte in Bonn, Göttingen und Berlin, aber nie als Jurist praktizierte.

Dafür in den Salons von Berlin Aufsehen erregte und mit dem „Buch der Lieder“ einen Bestseller landete, wie es Gedichtsammlungen vorher und nachher nie wieder schafften. Aber auch das erklären Gaßdorf und Heizmann.

Denn dass Heines Lieder funktionierten und weite Kreise ansprachen, hat eben nicht nur mit dem Volksliedton zu tun, den er beherrschte wie kein zweiter, sondern auch mit der zutiefst ironischen und selbstironischen Art, wie er über die Liebe redete und schrieb. Das berührt noch heute.

Vormärz und Biedermeier

Welche Mädchen dahinterstecken könnten, erfährt man genauso wie Heines Weg ins Pariser Exil, nachdem er bei einem Aufenthalt auf Helgoland schon zutiefst deprimiert kaum noch Aussicht gesehen hatte, in dieser Welt etwas bewirken zu können.

Und dann kam die Revolution von 1830. Und Heine zog um in die Stadt, in der er sich so willkommen fühlte wie zuvor nirgendwo sonst. Wo er auch seine große Liebe fand und dann all die Bücher verfasste, die die deutschen Zensoren so in Panik versetzten.

Auch den großen und mächtigen Fürsten Metternich, der sehr wohl sah, was für einen großartigen Schriftsteller er da vor sich hatte. Und gerade darum wurde Heine verboten.

Auch wenn sein Hamburger Verleger Campe alle Kniffe verstand, Heines Bücher dennoch in Deutschland zu verbreiten.

Ihm ist ebenso ein kleines Porträt gegönnt wie Heines großem Kampfgefährten und Kontrahenten Börne (der heute ebenso noch genauso lesenswert ist wie Heine), Goethe (der mit Heine so gar nichts anfangen konnte – dazu war Goethe tatsächlich längst zu alt), Mathilde, der „Mouche“ und auch Karl Marx, der Heine bewunderte – ihn aber ganz bestimmt nicht zum Marxisten machte.

Wer Heine liest, findet alle Konflikte und Entwicklungen dieser Zeit, die die einen Vormärz nennen, die anderen Romantik und Biedermeier. Und so sortieren sich ja die Parteien noch heute. Mal abgesehen von denen, die sich für Revolutionäre halten, wenn sie ihren alten Barbarossa wiederhaben wollen.

Deutsche Gespenster

Logisch, dass Heines „Wintermärchen“ eine besondere Würdigung erhält, denn hier hat er mit dichterischen Mitteln nicht nur seine beiden Deutschland-Reisen rekapituliert, bei denen er vor allem seine alt gewordene Mutter in Hamburg besuchte, sondern auch die gängigen Legenden der Deutschen herzhaft und heftig aufspießt – vom schnarchenden Kaiser im Kyffhäuser bis zu den Heiligen drei Königen im Dom zu Köllen.

Und auch hier gilt: Das liest sich, als wär’s heute noch immer aktuell.

Nur all die Jammernasen, die Heines Vers „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ vorwurfsvoll durch die Gegend tragen, liegen weiterhin falsch, wenn sie den Kosmopoliten und Napoleonverehrer Heine für sich zu vereinnahmen suchen.

Er hätte ihnen schon liebevoll Mores gelehrt, würde er heute noch leben und Feuilletons schreiben für deutsche und französische Blätter. Einer seiner Späße ist ja, dass er sehr bedauern konnte, dass Herrmann in der Varusschlacht gewonnen hat. Denn sonst wären wir alle Römer geworden. So aber sind wir (das leider steckt zwischen den Zeilen) Deutsche geblieben.

Was aber nicht bedeutete, dass er dieses Land in Bausch und Bogen verdammte. Er wusste schon sehr genau zu benennen, welche Typen er unausstehlich fand. Typen, die man heute noch immer findet.

Typen, die eifrigst von blutigen Revolutionen träumen (oder auch gern davon reden und twittern), aber wenn es drauf ankommt, hübsch zu Hause bleiben und ihre Köpfe wiegen. Was aber draus würde, wenn diese Leute tatsächlich zum Zug kämen, das steht im „Wintermärchen“.

Das Beste an Deutschland

Aber was ist dann eigentlich das Beste an Deutschland? Die Sprache, schrieb Heine.

Und er benutzte sie, wie sie vor ihm keiner benutzt hat und auch nach ihm nur die Besten und Genauesten, die genau wissen, dass es auch beim Schreiben um das Verständlichsein und Verstandenwerden geht. Bekanntlich auch später ein Grund für die Mittelalterverehrer, die Bücher und Schriften der Besten zu verbieten und zu verbrennen.

Man staunt eher, wie seltsam vertraut einem diese Zeit heute wieder ist, als hätten die Michel einfach im Kopf ihre Uhren zurückgedreht in der Sehnsucht nach einer Zeit, als man noch Könige und Büttel hatte, die auch die Konterbande in den Köpfen der Leute nur zu gern durchsucht hätten.

Als Ruhe die erste Bürgerpflicht war – eigentlich an Satire kaum zu überbieten. Aber so ticken sie noch heute. Besoffen von ihrer Sehnsucht nach den Mythen der Vergangenheit. Und zu den Mythen gehört natürlich auch, dass Heine immer nur spottete.

Auch so kann man einen Autor abwerten, dessen Spitzen und Sottisen auch immer von der tiefempfunden Verzweiflung erzählen, die dieser Dichter empfand. Selbst da, wo er bitter und bissig wird, merkt man, wie sehr er mit diesem Deutschland haderte, das Kleingeistern Karrieren ermöglicht und seine Besten ins Exil treibt.

Aber was soll man mit einem Völkchen anfangen, das seine Zukunft in der romantisch aufgepäppelten Vergangenheit sieht? Und sich dabei so ernst nimmt, dass einem das Lachen vergehen kann. Und trotzdem ist Heine der meistvertonte Liederdichter seiner Zeit.

Sie alle haben seine Lieder in Musik verwandelt: Schumann, Mendelssohn, Grieg und sogar Wagner, worüber Gaßdorf und Heizmann besonders staunen. Denn Wagner und Heine? Doch. Auch das gehört dazu. Denn den Holländer-Stoff hat Wagner auch von Heine.

Irgendwo berührten sich diese beiden Welten, bevor der eine sich mit dem „Judentum in der Musik“ völlig verpeilte und der andere selbst den Nazis noch zu scharf und zu jüdisch war und blieb.

Das Ich in Heines Gedichten

Ja, selbst dass er seine Gedichte so oft mit Ich begann, kreideten sie ihm an. Und wollten nicht sehen, dass sich hier der moderne Dichter zeigt: offen, unverhüllt und verletzlich. Auch und gerade deshalb erkannten sich so viele Leser in diesen Gedichten wieder, fühlten sich berührt.

Und fühlen sich auch heute noch berührt, wenn dieser Bursche von Liebe und Gefühlen singt und dabei auch nur zu gern über sich selbst spottet. Und damit ist Heine bis heute das lesbare Gegenteil zu den Säulenheiligen Schiller und Goethe.

Wer den Dichter noch nicht kannte, lernt ihn hier auf eine kurzweilige, pointierte und einfühlsame Weise kennen und dürfte Lust bekommen, zumindest manches von dem wirklich zu lesen, was in den kleinen Texten dieses Büchleins besonders erwähnt wird. Es lohnt sich immer und immer wieder.

Und wer sich über das „Buch der Lieder“ hinaustraut, wird merken, dass dieser Dichter auch von der Zerrissenheit erzählt, die heute noch immer das deutsche Gemüt beschwert. Hier die alte, biedere Micheligkeit, dort der hell glänzende Spott des unermüdlichen Kosmopoliten, der auch über seine Schmerzen und Krankheiten mit unermüdlicher Ironie zu schreiben wusste.

Und wer Heine in der Schulbuchversion kannte, wird ihn hier als lebendigen Menschen kennenlernen, der glücklich ein Duell überlebt, wegen eines anderen Duells die Universität verlassen musste, die Marseillaise liebte, und eigentlich nicht atmen konnte, wenn er nicht schreiben und veröffentlichen durfte, was ihm am Herzen und auf der Zunge lag.

Und darin war er einzigartig in seiner Zeit, ein „Meister“, wie selbst Fürst Metternich zugeben musste. So scharfzüngig beim Schreiben, dass die 36 bekrönten kleinen Regenten tatsächlich Angst davor hatten, dass er ihre lieben Untertanen aufschrecken und aufwecken könnte.

Aber wie das so ist mit Untertanen: Sie träumen am Stammtisch nur zu gern von der Freiheit und singen große besoffene Lieder darüber. Wenn sie ihnen aber geschenkt wird, können sie nichts damit anfangen und wollen ihren alten Kaiser wiederhaben.

Karl Kraus hat sich zwar gerieben an diesem begnadeten Feuilletonisten. Aber da behielt eben Karl Kraus nicht recht. Heine lebt. Und wer ihn heute wieder und wieder liest, fühlt sich nur zu vertraut mit dieser „ironischen Skepsis“, die wahrscheinlich das einzige Heilmittel ist gegen die geübte deutsche Sentimentalität und „tränenselige Gefühlsduselei“.

Dagmar Gaßdorf, Bertold Heizmann Heine. Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten Klartext Verlag, Essen 2021, 16,95 Euro.

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