Jascha heißt eigentlich Jaša. Aber nicht nur für Frank, den Betreiber des kleinen Sportladens ist es einfacher, den kleinen Jungen aus Bosnien und Herzegowina so zu schreiben. Denn was er erlebt mit dem schmächtigen Knirps, der vor dem Schaufenster seines Ladens steht und etwas sucht, was es vielleicht gar nicht gibt, schreibt er auch an seine Mama. Obwohl Frank schon 37 Jahre alt ist. Aber das ist eben auch kein Alter, in dem man seine Mutter nicht auch vermisst.
Erst recht, wenn sie weit weg ist. Viel zu weit weg. Also schreibt Frank jeden Tag einen Brief. Manchmal mit abenteuerlicher Orthografie. Aber das ist auch egal. Nicht jeder ist ein Schreibkünstler. Und mit dem kleinen Sportladen hat Frank eigentlich den Ort gefunden, an dem er sich an der richtigen Stelle fühlt.
Erst recht, weil er selbst viel Wert auf einen durchtrainierten Körper legt. Was auch mit seiner Kindheit zu tun hat, als er ein richtiges Pummelchen war und seiner Mutter damit doch ein paar Sorgen bereitet hat. Manchmal kann man ja doch etwas tun, um etwas zu ändern im Leben. Auch wenn sich die Tanten immer beklagen, dass Frank noch immer keine Freundin hat.
Manchmal ist das Leben so.
Und manchmal steht ein kleiner Knirps vorm Schaufenster und sucht ein Liekesch. Weil ihm seine Sportlehrerin so etwas gesagt hat. Zumindest so etwas Ähnliches, weil er so dünne Ärmchen hat und ein paar mehr Muskeln braucht, um im Sport richtig mithalten zu können. Er ist sowieso neu in der Klasse und hatte erst zwei Stunden Extra-Deutsch-Unterricht, sodass er noch nicht alles versteht, was seine Mitschüler und die Erwachsenen sagen. Und selbst auch noch nicht alles auf Deutsch sagen kann.
Eine (un-)mögliche Freundschaft
Aber manchmal fängt Verständigung damit an, dass überhaupt einer da ist, der sieht, dass man ein Problem hat. Und es nicht einfach mit alten Familiensprüchen wie Mutter und Onkel vom Tisch wischt. Für manche Erwachsene ist alles immer ganz einfach. Sie merken nicht, dass etwas fehlt. Und das Jascha noch gar keinen Freund hat in der Schule, auch wenn das mit dem Pausenbrot-Tauschen vielleicht schon irgendwie funktioniert. Das Rennen sowieso.
Denn das bringt ihm Frank ganz schnell bei, als er merkt, das Jascha ein Liekesch kaufen will, aber auch gar kein Geld hat. Und wie kommt man als kleiner Junge rechtmäßig zu Geld, wenn einem die Touristen im schönen Heidelberg die selbst gestalteten Lesezeichen nicht abkaufen, sondern bloß Fotos machen wie die Blöden?
Was Mehrmousch Zaeri-Esfahani und Frauke Angel in diesem Kinderbuch erzählen, ist eine Geschichte über eine (fast) unmögliche Freundschaft. Über das Überbrücken von Fremdheit über Sprachbarrieren hinweg. Über das Einander-Verstehen, das gerade dann entsteht, wenn wir uns öffnen für die Kümmernisse der Anderen, egal, ob sie nun aus einem anderen Land kommen oder gleich um die Ecke wohnen.
Dann entdecken wir – wie Frank -, dass wir eigentlich erst richtig froh werden, wenn wir uns der anderen annehmen, helfen, wo wir helfen können, uns mal richtig reinknien, auch mal so ein kniffliges Problem wie das mit dem Liekesch zu lösen.
Und auf einmal hat auch Frank etwas, was er vorher nicht hatte: einen kleinen Freund, der alle Sportgeräte in seinem Laden ausprobiert und ihm das Gefühl gibt, das er auch in seinen Briefen an die Mama nicht ausdrücken kann, erst am Ende ein bisschen, als er sich an das Parcoursfahren mit seiner Mutter erinnert. „Du warst ein echter Sturkopf, weißt du das, Mutti?“
Unbegreifliche Erwachsene
Dass es Briefe sind, die er gar nicht abschickt, erfährt man eher nebenbei. Weil er jetzt mit Jascha einen Freund hat. Und einen strengen Lehrer. Und einen, der sich richtig freuen kann, wenn er am Ende tatsächlich noch ein Liekesch bekommt, das ganz hinten im Lager steckte.
Und eigentlich ist das Ganze auch ein einziger Liebesbrief an die Mutter. Jedenfalls für Frank, der vielleicht genau das brauchte, um es endlich aufschreiben zu können. „Ich habe jetzt einen echten Freund. Und er hat endlich sein Liekesch.“
Und weil das eine Geschichte voller ganz und gar nicht kindlicher Gefühle ist (wir Erwachsenen vergessen das nur zu gern), hat Barbara Jung das Ganze auch noch mit einem Auge für den kindlichen Blick auf die Welt illustriert, in der sich Erwachsene oft genug seltsam und unbegreiflich benehmen.
Und meist gar nicht merken, dass man als kleiner Mensch Kummer und Sorgen hat und eigentlich nur jemanden braucht, der einem zeigt, wie man mit den ganzen unbekannten Dingen zurande kommt. Franks Briefe – in tatsächlich leserlicher Schrift – inklusive. Man soll ja auch erfahren, was der große Bursche an der Kasse seiner Mama schreibt, wenn im Laden gerade einmal nichts los ist.
Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Frauke Angel Ein Liekesch für Jascha Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2025, 15 Euro.
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