LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 83, seit 25. September im HandelDen ersten seiner berühmten Schweinevogel-Comics hat der Leipziger Künstler Schwarwel bereits zu DDR-Zeiten veröffentlicht. Nach der Wende begann beispielsweise die Zusammenarbeit mit den „Ärzten“, deren Art Director er von 1993 bis 2011 war. Die DDR-Geschichte und die Friedliche Revolution thematisiert Schwarwel in Filmen, Büchern und Workshops. Ich habe mich mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen und über seine Anfänge in der Comicszene unterhalten.

Hallo Schwarwel! Schön, dass du Zeit für ein Wendegespräch mit mir hast!

Ich möchte das Ganze aber nicht „Wende“ nennen.

Weshalb?

Passiert ist eine Revolution, aber keine Wende. Ein altes System wurde abgeschafft und es bestand die Möglichkeit, ein neues zu installieren. Aber dazu kam es ja nicht. Und das lag natürlich daran, dass Kohl den Osten mit Westgeld geködert hatte. Viele fanden diese Eingliederung ist das Westsystem toll. Ich finde das aber bis heute nicht toll.

In meinen Augen war das eine historisch verschenkte Chance, einmal etwas anderes zu versuchen. Aber nachdem es ungefährlich wurde, den Ring entlangzulaufen, war auch relativ schnell klar, wohin der Hase läuft. Ich bin zum Schluss auch nicht mehr mitgelaufen, wenn andere „Deutschland einig Vaterland!“ gebrüllt haben. Mir war das suspekt.

Ich denke dabei an die Inszenierung von „89/90“ von Claudia Bauer im Schauspiel Leipzig. Da wurde der Kohl’sche Ausverkauf ganz gut gezeichnet.

Ich kann das ja auch nachvollziehen, gerade bei Leuten, die 40 Jahre gelitten hatten. Ich war vielleicht auch zu jung, um da mitzumachen.

Wie alt warst du damals?

Ich war 21.

Das heißt, du hast im Wesentlichen deine ganze Sozialisierung in der DDR erfahren.

Ja, ich habe alles für das falsche System gelernt. (lacht)

Hast du das damals schon so gesehen?

Für mich war das definitiv auch damals schon falsch; ebenso, wie das andere.

Zu wissen, dass man in dem falschen System lebt, ist das eine; nicht rauszukönnen aber noch eine andere Nummer, oder?

Ich habe das nie als Mangel wahrgenommen, nicht nach Haiti reisen zu dürfen. Ich fahre auch heute nicht gerne in den Urlaub, weil ich den Menschen ungern beim Arbeiten zuschaue. Und damals hat es mir schon völlig gereicht, nach Tschechien zu reisen, zumal ich dann dort auch nicht das Gefühl hatte, wirklich im Ausland zu sein. Ich habe also gar nicht unbedingt darunter gelitten, so wenig und nur beschränkt zu reisen, sondern eher, dass es mir nicht möglich war.

Dass es da Leute gab, die ich nicht kannte und die sich mir aber in Berlin mit dem Gewehr vor die Mauer stellten. Das war für mich nicht begreiflich. Aber dass ich da nun den ganzen Tag den Mond angeschrien hätte, war nun auch nicht gerade der Fall. Die Mangelwirtschaft habe ich deshalb als solche zwar wahrgenommen, aber die Westpakete von meiner Tante waren ebenso nicht besonders toll. Comics hätten mich da schon mehr gefreut als Kaffee und Seife.

Hast du je Comics aus dem Westen bekommen?

Nein. Die musste ich mir selbst besorgen, indem ich über Land gefahren bin und an fremder Leute Türen geklingelt habe. Ich hatte dafür immer meinen Tauschrucksack dabei. Zugleich hatte das die ganze Sache natürlich auch sehr aufgewertet und als ich dann das erste Mal in Westberlin in einem Comicladen stand, war ich maßlos darüber enttäuscht, dass ich alles, was dort lag, bereits kannte. Es gab für mich nichts mehr zu entdecken.

Comic in der DDR war ja sicherlich hochproblematisch. Wie hat sich denn die, sagen wir, subversive DDR-Comicszene organisiert?

Ich konnte schon mal kein Comiczeichner werden. Das wäre nur über den Umweg gegangen, ein Studium der Illustration zu machen. Weil ich aber in der achten Klasse eine Fünf in Disziplin hatte, wurde ich nicht zur EOS zugelassen. Ein zweiter Bildungsweg hätte nur über die Offizierslaufbahn funktioniert. Doch hier wurde ich wegen meiner Pferdehaarallergie ausgemustert. Ich habe es aber auch keinen Tag bereut, dass ich meinen Fallschirmspringeroffizier nicht machen konnte.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 83, Ausgabe September 2020. Foto: Screen LZ

Und zum Thema „subversiv“ … Die Gruselhefte aus dem Westen waren mir schon als Sechsjähriger lieber als das, was es im Osten gab. Und „Asterix“ mochte ich eben mehr als „Mosaik“. Wenn ich auf dem Schulhof zu doof war, die Hefte zu verstecken, dann landeten sie im Spind des Direktors. Trotzdem gab es aber Mittel und Wege, Comics zu machen. Comics galten nicht per se als politisch, abgesehen davon, dass sie als Schund- und Schmutzliteratur verpönt waren.

Jedoch war das im Westen auch nicht anders. Der Makel haftet ihnen heute noch an. Aber diese fehlende freie Verfügbarkeit steigerte den Wert der Comics. Man hatte darum gekämpft und man hatte das Gefühl, an einer ganz großen Sache dran zu sein. Das hat mir gleichzeitig den Blick verstellt zu erkennen, dass auch das eine Industrie wie jede andere ist.

Wie habt ihr euch damals untereinander vernetzt?

Meine Großmutter durfte aus familiären Gründen regelmäßig in den Westen. Eben aus diesen Gründen hatte sie sich aber auch geweigert, für mich Westliteratur zu schmuggeln, weil sie darin natürlich die Gefahr sah, dass ihr das Besuchsrecht entzogen werden könnte. Aber immerhin hatte sie mir „Per Anhalter durch die Galaxis“ mitgebracht. Dafür bin ich ihr bis heute dankbar! Aber andere Großeltern haben sich weniger Gedanken darum gemacht, für ihre Enkelkinder zu schmuggeln.

Insofern gab es alles, was es im Westen gab, eine Woche später auch im Osten. Man brauchte nur genügend Ost- oder besser noch Westgeld, um sich das dann zu besorgen. Es gab einen großen Tauschmarkt und man hatte sich untereinander erkannt. So beispielsweise vor dem Chemie-Stadion. Da gab es angefangen von den Schallplatten, die entweder über Ungarn reinkamen oder in Ungarn fremdgepresst wurden, bis zum Nietengürtel und Motörhead-T-Shirts eigentlich alles. Das Zeug zu besorgen war also nicht das Problem.

Das Entscheidende war wahrscheinlich eher, die richtigen Leute um sich zu haben. Oder?

Ja, mit Comics war das schwieriger als beispielsweise mit Musik. Das Interesse an Comics war insgesamt geringer. Der Kreis war eher klein.

Warst du hier lange allein auf weiter Flur?

Na ja, einen Comicstammtisch gab es jedenfalls nicht. Und die meisten Leute, denen ich Comichefte abtauschen konnte, gaben mir die Hefte, weil sie selbst kein Interesse an ihnen hatten. Für die waren das nur Tauschwaren. Meine Quelle waren die John-Sinclair-Hefte. Von denen hatte ich daheim einen riesigen Stapel und die waren Gold wert. Mit denen konnte ich quasi alles eintauschen. Mit denen konnte ich schon gute Geschäfte machen. Trotzdem bin ich kein guter Comic-Verleger geworden!

Wie lief dann deine Karriere als Comiczeichner in der DDR ab?

Ich lernte während einer Messe eine Gästin aus der Schweiz kennen. Und sie war an einem Stand, an dem es auch einen Kopierer gab. Ich habe zwar viel zu spät damit angefangen, schnell noch ein paar Seiten vollzukritzeln. Aber so habe ich meine ersten Hefte entwickelt. Wenn sie Feierabend hatte, hatte sie mir ein paar Kopien angefertigt. Und so entstanden mit einer Auflage von zehn Stück meine ersten eigenen Comics. Das fühlte sich dann schon richtig echt an.

Comic-Szene aus „1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“. © Schwarwel
Comic-Szene aus „1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“. © Schwarwel

Parallel dazu entwickelte sich ab ´86/87 in Leipzig eine alternative Kulturszene und damit auch das Musik-Fanzine „Messitsch“, für das ich mitgezeichnet habe. Als der damalige Graphiker Raban Ruddigkeit zur Armee musste, hatte ich seinen Job geerbt. So habe ich das gesamte Fanzine gestaltet. Die „Messitsch“ wurde anfangs zu 150 Stück dann DDR-weit unter die Leute gebracht. Weil jedes einzelne Exemplar von zwanzig Leuten gelesen wurde, kannte jeder in der Szene dieses Heft.

Hattest du mit den Leuten der Galerie „Eigen+Art“ zu tun?

Indirekt. Judy hatte in der Bornaischen Straße die Galerie. Da war ich auch einige Male. Aber so richtig abgeholt hatte mich das nicht. Ich wollte keine Kunst machen, sondern Comics.

Ich hatte vermutet, dass du vielleicht über das Drucken mit ihnen zu tun hattest.

Nein. Raban Ruddigkeit ist ja der Sohn des Malers Frank Ruddigkeit, der im Osten einer der großen Fünf war. Er wohnte also in der Künstlersiedlung am Adler. Und dort gab es natürlich Siebdruck usw. Also haben wir unsere Poster und den ganzen Quatsch auf dem Dachboden gedruckt. Drucken konnte wirklich jeder.

Im besetzten Haus auf der Dreilindenstraße hatten wir unseren Proberaum und konnten in Ruhe arbeiten. Gefühlt war jeder zweite in der Szene Drucker. Denn die meisten, die kulturell interessiert waren, haben Drucker gelernt. So lernte man sich auch kennen. Und dadurch, dass es hier nur das eine große Druckhaus gab, am Johannisplatz, fand man sich sowieso immer wieder zusammen.

Wo genau auf der Dreilindenstraße war euer Proberaum?

Neben der MuKo.

Dort, wo sich dann auch das Neue Forum gegründet hatte?

Ja. Genau daneben haben wir geprobt. Die Leute kamen dann immer rüber und haben sich beschwert, weil sie doch ein Meeting hätten. Uns war das aber egal, wir wollten Rock’n Roll spielen und sagten: Holt doch die Polizei!

So viel zu meinem politischen Anspruch damals. Ich wollte keine Politik, sondern einfach nur machen können, was ich will. Alles, was ich selber an kleinpolitischen Sachen gemacht habe, war eher dem Umstand geschuldet, dass ich in der Lage sein wollte, selbst zu bestimmen, was ich tue und mir dabei von keinem reinquatschen zu lassen.

Das „Problem“ am Neuen Forum war, dass sie eine Generation über uns waren. Ich sehe natürlich heute an Uwe Schwabe, mit dem ich befreundet bin, dass die Bürgerrechtsbewegung ja doch nicht wirklich älter war. Aber wenn du 18 oder 19 Jahre alt bist, dann willst du mit einem 25-Jährigen nichts zu tun haben.

Wie war der Fall der Mauer für dich?

Meine damalige Freundin ist zwei Wochen vor dem Mauerfall ausgewiesen worden. Vorher lebte sie schon ein halbes Jahr auf ihren Koffern. Ich habe mich damals bei der nächstbesten Gelegenheit in den Zug gesetzt und bin nach Berlin gefahren, um ihr hinterherzureisen. Und zwei Wochen später konnten wir uns plötzlich wiedersehen, obwohl wir damit schon nicht mehr gerechnet hatten.

War die „Wende“ für dich eine Befreiung?

Nö. Ich bin mit meiner Freundin zunächst nach Westberlin gegangen. Und hier musste ich auch nur schnell schauen, wie ich Brot auf den Tisch kriege. Ich habe also jeden Layout-Job angenommen, den ich bekommen konnte, und habe nebenbei versucht, das zu machen, was ich wollte. Aus der „Messitsch“ wurde eine Kiosk-Zeitschrift gemacht, worauf ich lange hingearbeitet habe.

Ich glaube, dadurch, dass ich vorher schon oft in Ost-Berlin war und das schon immer einen westlichen Touch hatte, war der Westen für mich kein Kulturschock. Und ganz verinnerlicht Punk zu sein, hilft, mit solchen Sachen klarzukommen. Außerdem habe ich mich schon immer für Geschichte, Staatsformen und Systeme interessiert und wusste, dass das, was ich im Geschichtsunterricht der DDR über den Kapitalismus gelernt hatte, stimmt.

Das macht die DDR natürlich nicht besser. In meinen Augen reden wir da eindeutig von einem Unrechtsstaat. Über Stalins Verbrechen und Chruschtschow wurde uns nichts erzählt. Zu meiner Zeit war es dann „Breschnew der Große“ und ich weiß noch, wie mein Werken-Lehrer im Treppenaufgang stand und bitterlich darüber weinte, dass der Breschnew tot war. Der dachte wirklich, jetzt geht die Welt unter.

Inwiefern begleitet dich das Thema weiterhin?

Ab dem 3. Oktober starten wir eine Online-Serie, bei der wir auf der Grundlage unseres Projektes „1989 – unsere Heimat“ Gespräche mit verschiedenen, aus unserer Sicht coolen Zeitzeugen führen. Wir versuchen, das Ganze jugendgerecht aufzubereiten, um dieser Generation, die im Geschichtsunterricht die DDR nur in zwei bis vier Stunden erfährt, zu zeigen, wie das Thema immer noch nachwirkt. Woher sollen sie beispielsweise ansonsten wissen, weshalb die Eltern jetzt bei Pegida mitlatschen? Dass man das natürlich nicht tolerieren darf, ist völlig klar. Aber nichtsdestotrotz sollte man verstehen, wo das herkommt.

Ich danke Dir!

Bereits erschienene Zeitreisen auf L-IZ.de

Der Leipziger Osten im Jahr 1886

Der Leipziger Westen im Jahr 1886

Westlich von Leipzig 1891

Leipzig am Vorabend des I. Weltkrieges 1914

Einblicke in die Jüdische Geschichte Leipzigs 1880 bis 1938

Der I. Weltkrieg – Leipzig im letzten Kriegsjahr 1918

Leipzig in den „Goldenen 20ern“

Leipzig im Jahr 1932

Die DDR im Rückblick

Alle Zeitreisen auf einen Blick

Wendegespräche (6): Ein Gespräch mit Ralf Donis über Wave und Punk in der DDR und über das erste Konzert von The Cure in Leipzig

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Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir

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