COVID-19 ist eine Erfindung von Bill Gates und den Eliten, die Mondlandung der USA ein gewiefter Jahrhundertbetrug, Freimaurer und Illuminaten regieren aus dem Untergrund heimlich den Erdball: Verschwörungsideologien aller Art haben gerade in Krisenzeiten Konjunktur. Die LZ sprach darüber mit dem Sozialwissenschaftler Marius Dilling.

Zur Person: Marius Dilling ist 28 Jahre alt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung (EFBI) in Leipzig, dessen Leiter Oliver Decker seit 20 Jahren die Leipziger Autoritarismus-Studien durchführt. Dilling hat in Siegen Sozialwissenschaften studiert. Sein Forschungsinteresse gilt demokratiefeindlichen und rechtsextremen Einstellungen, insbesondere dem Bereich Verschwörungsmentalität und Antisemitismus.

Herr Dilling, nutzen Sie eigentlich selbst den Begriff Verschwörungstheorie? Es heißt oft, das Wort „Theorie“ würde abstruse Weltbilder mit wissenschaftlichem Prädikat adeln.

Der Begriff „Verschwörungstheorie“ hat den Vorteil, dass umgangssprachlich darunter verstanden wird, was auch in der Wissenschaft weitestgehend gemeint ist. Auch international ist der Begriff anschlussfähig. An der Kritik ist aber was dran: Es handelt sich nicht um Theorien im wissenschaftlichen Sinn.

Der Begriff „Verschwörungsideologie“ greift das Phänomen meiner Ansicht nach präziser, da verschwörungsideologische Narrative gegen Gegenbeweise resistent sind, dogmatisch argumentieren und ihre Grundannahmen nicht reflektieren. Die generalisierte Bereitschaft, dunkle Machenschaften und einen „Plan“ zu erkennen, wo keiner ist, bezeichnen wir am EFBI in Anlehnung an Serge Moscovici als Verschwörungsmentalität.

Was sind typische Kennzeichen einer Verschwörungsideologie?

Das Muster ist immer dasselbe: Eine kleine, aber einflussreiche konspirierende Gruppe will etwas Schlechtes. Dahinter steckt die Annahme, diese Verschwörer seien in der Lage, die Geschicke der Welt zu lenken – ein steuerungsoptimistisches Geschichtsbild, das den Erkenntnissen moderner Geisteswissenschaften fundamental entgegensteht.

Typisch sind zudem Freund-Feind-Konstruktionen wie etwa „die Elite“ oder „die WHO“ gegenüber „dem Volk“ – Adorno hat diesen Manichäismus als „Aufteilung der Welt in Böcke und Schafe“ bezeichnet.

Solche Narrative bieten einfache, oft personalisierte Erklärungen für eine immer komplexer werdende Welt.

Andererseits gibt es professionell auftretende Typen von Verschwörungsideologen, zu denen etwa der umstrittene Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser mit seinen Vorträgen zu 9/11 gerechnet wird.

Daniele Ganser zählt aus meiner Sicht zu den professionellen Verschwörungsideologen, die mit der Verbreitung Geld verdienen. Mein Eindruck ist, dass mit wissenschaftlichen Titeln ein vermeintlich wissenschaftlicher Anspruch suggeriert wird. Sicher ist es so, dass auch finanzielle Interessen dahinterstecken.

Ich denke häufig, dass es bei den Personen, die solche Narrative glauben, fast einen Zwang gibt, offizielle Lesarten zu hinterfragen. Ich bin immer dann skeptisch, wenn beinahe zwanghaft versucht wird, offizielle Narrative zu dekonstruieren. Würde es Daniele Ganser um wissenschaftliche Erkenntnisse gehen, käme er auch zu anderen Schlüssen.

Auch er wird wegen seiner Thesen etwa zum 11. September 2001 teilweise als Verschwörungsideologe gesehen: Der umstrittene Historiker Dr. Daniele Ganser aus der Schweiz. Foto: Lukas Karl
Auch er wird wegen seiner Thesen etwa zum 11. September 2001 teilweise als Verschwörungsideologe gesehen: Der umstrittene Historiker Dr. Daniele Ganser aus der Schweiz. Foto: Lukas Karl

Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen kritischer Denke und Verschwörungsideologie? Viele Verschwörungsfans sehen sich ja selbst als kritische Denker an.

Es ist immer legitim zu fragen. Das ist der aufklärerische Gedanke, der wichtig ist. Eine wirklich kritische Denkweise sollte ihre Grundannahmen reflektieren, eigene Annahmen bei gegenteiligen Beweisen verwerfen und keine einfachen Antworten für komplexe Phänomene suchen.

All das leisten Verschwörungsideologien nicht.

Sind Sie selbst schon damit konfrontiert gewesen? Oft ist man unsicher, wie man reagieren soll.

Ich habe solche Begegnungen schon gehabt. Hinweise, wie mit Freunden und Bekannten umzugehen ist, die eine Verschwörungsmentalität aufweisen, lesen sich einfacher, als es im Gespräch ist. Ich würde dennoch empfehlen, das Gespräch zu suchen und keineswegs den Kontakt abzubrechen oder die Ansicht des Gegenübers zu diffamieren.

Es erfordert allerdings große Mühe, da Andersdenkende bestenfalls als unwissende Mitläufer oder „Schlafschafe“ betrachtet werden – oder gar als Handlanger und Mitwisser. Ich würde versuchen, die Irrationalität einzelner Narrative an Alltagsbeispielen zu verdeutlichen und viele Nachfragen zu stellen.

Was macht Verschwörungsideologien attraktiv?

Deprivations- und Ohnmachtserfahrungen, also das Gefühl abgehängt oder benachteiligt zu sein, keinen Einfluss auf politische und gesellschaftliche Prozesse zu haben – Gefühle, die durch die Krise verschärft werden – können durch die Verschwörungsmentalität kompensiert werden. Sie reduziert Kontingenz und Komplexität.

Für den Einzelnen undurchschaubare globale Prozesse und ihre Folgen werden missinterpretiert, als dunkle Intention „der Eliten“, „der Juden“ oder anderen Verschwörern. Die personifizierte Zuschreibung ist sozialpsychologisch als Projektion eigener Aggressionen zu verstehen.

Der Nebeneffekt: Wer solche Narrative glaubt, positioniert sich auf der Seite des Guten. Vor der unwissenden Masse – den „Schlafschafen“ – flüchtet sich das Individuum in eine Überlegenheitsillusion, die narzisstische Bedürfnisse befriedigt. Es ist Teil eines globalen Widerstandskampfes.

Wer glaubt typischerweise an diese Ideologien?

Eine Verschwörungsmentalität ist statistisch häufiger bei Personen anzutreffen, die sich selbst politisch rechts verorten, niedriges Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen haben und einen niedrigen Bildungsabschluss sowie geringes Einkommen aufweisen.

Darüber hinaus wählt jemand mit Verschwörungsmentalität eher die AfD, fühlt sich nicht anerkannt, schätzt sich politisch, ökonomisch und sozial benachteiligt ein.

Warum neigen politisch rechts Denkende tendenziell eher zum Verschwörungsglauben?

Wir verstehen Verschwörungsmentalität als Teil eines autoritären Syndroms. Dieses hat, als individuelle Seite des Autoritarismus, lange Tradition bei der Erklärung rechtsextremer Einstellungen. Der Zusammenhang entsteht, verkürzt gesagt, aus einem autoritären Bedürfnis nach Unterwerfung unter „starke“ Autoritären und rigide Ideologien sowie der autoritären Aggression gegenüber jenen, die als „anders“ oder „schwach“ wahrgenommen werden.

In der Leipziger Autoritarismus-Studie wurde die politische Selbstverortung erfragt. Wir müssen aber annehmen, dass Personen, die rechtsextreme und demokratiefeindliche Einstellungen haben, sich selbst als Bürger der „Mitte“ betrachten und so verorten. Es gibt die Tendenz, sich selbst nicht „rechts außen“ zu positionieren.

Das darf aber nicht darüber täuschen, dass die Verschwörungsmentalität und andere antidemokratische Einstellungen in der ganzen Bevölkerung verbreitet sind.

Wann wird das Ganze dann demokratiefeindlich und gefährlich?

Wer glaubt, die Erde sei eine Scheibe, ist nicht automatisch Antidemokrat. Doch Menschen, die an die eine Verschwörungstheorie glauben, sind auch eher bereit, an andere zu glauben – sogar, wenn die sich logisch ausschließen. Wer mal in einschlägigen Gruppen oder Blogs und Seiten unterwegs war weiß, wie schnell man mit Antisemitismus konfrontiert werden kann.

Unsere empirische Forschung zeigt, dass die Verschwörungsmentalität eng mit Antisemitismus und anderen rechtsextremen Einstellungen zusammenhängt. Strukturell sind sich antisemitische und verschwörungsideologische Narrative sehr ähnlich. Da brachial-antisemitische Äußerungen sanktioniert sind, erfolgt eine Umweg-Kommunikation des Ressentiments: Es wird vom „Ostküstenkapital“ und „den Eliten“ gesprochen, wenn eigentlich „die Juden“ gemeint sind.

Wir konnten zeigen, dass auch die Zustimmung zu COVID-19 bezogenen Verschwörungsnarrativen stark mit Facetten des Antisemitismus zusammenhängt. Der Zusammenhang von (Schuldabwehr-)Antisemitismus und COVID-19-bezogenen Verschwörungsnarrativen erklärt auch die Häufigkeit von Vergleichen mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung und der damit einhergehenden Verharmlosung des Holocaust.

Gefährlich wird es auch, wenn das Ausmaß der imaginierten Verschwörung dem Individuum keine andere Wahl lässt, als sich zu wehren. Das kann sich vermeintlich harmlos als Vandalismus gegen 5G-Sendemasten äußern oder in Form von rechtsextremem Terrorismus.

Zudem unterminieren Verschwörungsideologien nicht nur das Vertrauen in unsere Institutionen, sondern auch in Mitbürger, Journalisten, Wissenschaftler und Politiker, nicht zuletzt in Freunde und Familie.

Auch müssen langfristige Auswirkungen diskutiert werden, die damit einhergehen können, etwa die Folgen, die die Leugnung des menschengemachten Klimawandels haben kann – oder was eine durch Verschwörungsideologien und Falschmeldungen beeinflusste Impfgegnerschaft für die Pandemie bedeuten kann.

Im Konzept des „autoritären Syndroms“, das Sie gerade schon beschrieben haben, wird eine „Verschwörungsmentalität“ neben Aberglauben und Esoterik als Aspekt einer „Projektivität“ gesehen. Was ist darunter genau zu verstehen?

Die Projektion ist ein psychologischer Abwehrmechanismus, der es ermöglicht, nicht eingestandene Eigenschaften und verdrängte Aggressionen den „Anderen“ zuzuschreiben, anstatt eigene Unzulänglichkeiten zu akzeptieren. Als personifizierte Bedrohung kann diese imaginierte Vorstellung der „Anderen“ dann bekämpft werden.

So wird beispielsweise „den Ausländern“ zugeschrieben, sie seien wahlweise faul, unhygienisch oder sogar gefährlich, obwohl es möglicherweise viel mehr auf die eigene Person zutrifft. Denken wir an die vermeintliche Bedrohung, die der Attentäter von Halle in jüdischen Gläubigen sah – gefährlich war am Ende nur er selbst.

Welche spezifische Funktion kommt Verschwörungsideologien in solch rechtsextremen oder auch rechtspopulistischen Umfeldern zu?

Die starken Zusammenhänge der Verschwörungsmentalität mit Ideologien der Ungleichheit wie dem Antisemitismus sowie die rechtsterroristischen Attentate der letzten Jahre sollten uns eine Warnung sein.

Die Verschwörungsmentalität bildet eine Art Scharnierfunktion zwischen verschiedenen antidemokratischen und antimodernen Einstellungen wie etwa dem Antisemitismus und anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit.

Verschwörungsideologische Narrative geben dem eigenen Hass rein subjektiv „Sinn“ und leisten eine Verschleierung der eigentlich irrationalen Projektion: Wenn beispielsweise die eigenen verdrängten Aggressionen auf das als „jüdisch“ gedachte Projektionsobjekt projiziert werden, bietet das antisemitisch-verschwörungsideologische Narrativ der jüdischen Weltverschwörung eine Begründung für den eigenen Wahn.

Nehmen Verschwörungsideologien in der Krise zu – oder sind sie vor allem lauter geworden?

Sie sind lauter und sichtbarer geworden. Die manifeste Verschwörungsmentalität hat – wie die Daten der letzten Leipziger Autoritarismus-Studie zeigen – im Vergleich zum Jahr 2018, wo die Zustimmung bei 30,8 Prozent lag, wieder zugenommen. So wiesen 2020 38,4 Prozent der Befragten eine manifeste Verschwörungsmentalität auf. 2012 lag die Zustimmung allerdings noch bei 44,8 Prozent.

Zu beobachten bleibt, ob die anhaltende Krise die Zustimmung zu solchen Narrativen nicht noch weiter in die Höhe treibt. Die neue Aufmerksamkeit für das Phänomen hat aber etwas Positives: Es gibt eine breitere Sensitivität für das Phänomen und ein gesellschaftliches Engagement, zu widersprechen.

Gibt es also immer Grundpotenzial für Verschwörungsnarrative, das bei Krisen und Instabilität – 9/11, „Finanzkrise“, „Flüchtlingskrise“ und jetzt COVID-19 – einen Katalysator findet?

Das trifft es sehr gut. Auf die „dunkle Ressource“ des Glaubens an verschwörungsideologische Narrative kann zurückgegriffen werden, um Ängste abzuwehren und scheinbare Kontrolle wiederherzustellen. Eine Analyse von Leserbriefen zweier großer amerikanischer Zeitungen zwischen 1890 und 2010 zeigte beispielsweise, dass solche Narrative dann große Zustimmung finden, wenn sich die Gesellschaft in Krisensituationen befindet.

Auch in der Krise ist der generelle Rückhalt der liberalen Demokratie noch immer hoch. Ein Grund, trotz allem gelassen zu bleiben?

Grund zur Gelassenheit sehe ich leider nicht – auch wenn die Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt, dass etwa Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit leicht rückläufig sind. Dass die Verschwörungsmentalität in der Lage ist, Brücken zwischen Milieus zu bauen – bis in manifest rechtsextreme Milieus – zeigen die Corona-Proteste.

Die geteilte Verschwörungsmentalität kann hier als Katalysator für ein demokratiegefährdendes Potenzial dienen. Das Problem ist zum Teil aber auch hausgemacht: Der Glaube an Verschwörungsideologien hat gesellschaftliche Ursachen, etwa in Form sozialer Ungleichheit und einer autoritären Dynamik der Gesellschaft.

Vielen Dank für dieses Interview!

Eine kürzere Version des Interviews „Verschwörungstheorien in Krisenzeiten: „Einen Grund zur Gelassenheit sehe ich nicht“ erschien erstmals am 26. März 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.

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Es gibt 3 Kommentare

Die Grundprinzipien dafür wurden schon oft dargelegt :

1. Für alles gibt es Schuldige, die sich immer außerhalb des eigenen sozialen Umfelds befinden.
2. Alles ist einfach erklärbar, es gibt immer einfache Kausalitäten.
3. Jeder, der geschäftsfähig ist, kann sein Geld jedem geben solange es nicht gesetzwidrig ist. Und wenn der Beschenkte sich und seine Botschaft einigermaßen gut unters Volk bringt, kann er oder sie sich wahlweise nach Afrika, in die Türkei oder nach Thailand absetzen und muß nicht mal Steuern für die Einnahmen zahlen.

Das Interview fußt auf einer wissenschaftlichen Langzeituntersuchung, welche auch verlinkt ist. Manchmal tun Erkenntnisse weh, Ihr Versuch, sie wegzureden, finde ich schade.

Ihre Links führen übrigens erneut zu klassischen Fake-Informationen. Oder eben Lügen, wie diese, dass die Impfstoffe nicht getestet seien. Seit Monaten widerlegt.

Da danke ich sehr für dieses aufschlussreiche Interview: immer die selben (unbewiesenen) Behauptungen über die Dämlichkeit derer, die Fragen stellen, die Fakten vorlegen und diskutieren wollen (weil sie wissen, dass Wissenschaft nur im fachlichen Diskurs und nicht mit einer “moralischen” Haltung stattfindet), das selbe Abkanzeln, Abwerten, Projezieren eigener (unbewältigter und/oder unbewusster Anteile) auf andere im Außen, um sich die Welt einfach und erklärbar zu machen – ein verständliches Bedürfnis, aber wenig wissenschaftlich.

Hier das Interview mit einem Immunologen, Toxikologen und Pharmakologen, Professor und verantwortlich für die Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen (erst anhören und dann gern bitte in der Sache begründet widersprechen) https://www.facebook.com/106518678038330/videos/1251416155312524/. Oder derselbe hier: https://www.youtube.com/watch?v=B4jm2LFdmlg . Ein Verschwörungstheoretiker vom Feinsten…

   

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