„Herr W.“ ist in den Twitter-Trends, gemeinsam mit dem Wort „Antisemitismus“. Nahezu jedes deutsche Medium hat im Laufe des Tages über ihn und das Unternehmen berichtet, bei dem er angestellt ist. Der Mitarbeiter, welcher im „Westin Leipzig“ am gestrigen Abend zuständig für das Check-in war, hat nach einem rund zweiminütigen Videostatement von Gil Ofarim auf Instagram den Musiker und Hotelgast aufgefordert, seinen an einer Kette getragenen Davidstern „einzupacken“, wenn er im höchsten Hotel Leipzigs übernachten möchte. Seither tobt ein Sturm der Entrüstung durchs Land. Und ab 19 Uhr wollen sich Leipziger/-innen versammeln, um gegen Antisemitismus zu protestieren. Die LZ ist live dabei.

Die Aufrufe von „Leipzig nimmt Platz“ und unzähligen Einzelpersonen werden mit immer größerem Tempo geteilt, hochrangige Politikerinnen Sachsens haben sich in die Debatte eingeschalten und die Ablehnung des antisemitischen Vorfalls am gestrigen Abend im „Westin“ Leipzig ist übereinstimmend und laut. (zu den Vorgängen und weitere Hintergründe bis 18 Uhr lesen Sie hier auf L-IZ.de)

Noch lauter und näher könnte es in Kürze werden. So soll es eine Kundgebung am Standort des Leipziger „Westin Hotel“ geben und die Menge könnte beträchtlich werden, nimmt man diese Aktivitäten des heutigen Tages zum Maßstab.Im Kern ging es zum Beginn des Aufschreis im Netz um einen Angestellten des Unternehmens, welcher laut Ofarim sein ständig von ihm getragenes Glaubensbekenntnis am gestrigen 4. Oktober 2021 zum Anlass nahm, ihn erst in einer Warteschlange nach hinten zu schieben und anschließend aufzufordern, seinen „Stern einzupacken“, bevor er einchecken könne.

Das Management des Künstlers hatte sich auf LZ-Nachfrage geäußert und darum gebeten, heute von weiteren Anfragen abzusehen. Ob der Künstler eine Strafanzeige stellen wird, ist demnach offen. Nach einigem Zögern gab es dann auch gegen 17:30 Uhr erste Wortmeldung seitens des Unternehmens „Westin“. In diesem hatte eine Hotel-Managerin mitgeteilt, dass mutmaßlich mindestens zwei Mitarbeiterinnen vorerst beurlaubt seien und dass man jeglichen Antisemitismus ablehne.

Daraufhin gab es einerseits bereits Respektsbekundungen für das klare Statement im Netz, gleichzeitig aber auch Kritik an der Beurlaubung. Viele User verlangen mittlerweile die umgehende Kündigung zumindest des Mitarbeiters, welchen Gil Ofarim in seinem Instagramvideo seit heute Morgen mit „Herrn W.“ beschreibt. Die Leipziger Polizei ist ebenfalls alarmiert und wird ab 19 Uhr am Hotel präsent sein.

Dort stehen aktuell offenbar Mitarbeiterinnen des Hotels und präsentieren selbst ein Banner.

18:50 Uhr: Ein Anwalt meldet sich zu Wort

Während sich vor Ort am Westin Hotel in Leipzig die ersten Kundgebungsteilnehmerinnen sammeln und Mitarbeiter/-innen des Hotels mit einem Banner vor die Tür getreten sind, hat Rechtsanwalt Chan-jo Jun eine erste Mini-Einordnung der Wortmeldung von „Westin“ unternommen. Er weist indirekt darauf hin, dass es hier „nur“ um eine Beurlaubung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterinnen geht, das Wort Abmahnung oder Kündigung ist schließlich auch nicht gefallen.

Übersetzt: Er bezweifelt, ob hier wirklich eine Kündigung des Mitarbeiters ins Auge gefasst wird oder das Unternehmen den Vorgang lieber aussitzen will. Im gleichen Statement hatte das „Westin“ verkündet, mit dem Musiker Gil Ofarim reden zu wollen.

Die LZ wird die Kundgebung, die Redebeiträge unter anderem von den Jusos Leipzig, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und weiteren sowie die sonstigen Ereignisse vor Ort ab 19 Uhr mit einem Livestream begleiten.

Der Mitschnitt des Livestreams vom Westin

Livestream-Videomitschnitt von 19 bis 20:12 Uhr: LZ

19:13 Uhr: Erste Impressionen von vor Ort

Wie viele Menschen es genau sind, die sich spontan hier einfinden, ist noch nicht genau zu sagen. Mindestens 500, die innerhalb der letzten zwei Stunden mobilisiert wurden und es werden mehr. Soeben wurde die Versammlungsfläche erweitert.

20:15 Uhr: Versammlungsende mit 600 Teilnehmenden

Die Spontandemonstration ist zu Ende. Die Redebeiträge von grüner Jugend, den Jusos, Fridays for Future, Leipzig nimmt Platz und Privatpersonen findet sich im Mitschnitt, wie auch die Musikeinspielungen.

Während die Versammlung lief, wurde bekannt, dass das Westin zwischenzeitlich ihre sozialen Kanäle stillgestellt hat.

Screen LZ

Ein Redner bedankte sich zwar vor Ort bei den anwesenden Mitarbeiterinnen des Hotels, da diese ebenfalls eine Art Minidemo gegen den antisemitischen Ausfall ihres Kollegen veranstalteten. Gleichzeitig fragte er sich und die Anwesenden aber, was man nun glauben solle: die Sicherheit, in der sich der Kollege gewogen haben muss, als er womöglich unterstützt durch einen zweiten, die Äußerungen am 4. Oktober 2021 nach Angaben des Musikers Gil Ofarim getätigt hatte oder nun – nach dem öffentlichen Aufschrei – das Statement dagegen.

Eine Frage, die sich nun, so die Vorwürfe sich weiter erhärten, das Unternehmen selbst stellen sollte. Weitere Redebeiträge thematisierten das geradezu alltägliche solcher Vorfälle bis heute in Deutschland. Was aus dem Betroffenen Ofarim einen von vielen macht, die bis heute Schwierigkeiten in diesem Land haben, ihre Glaubenszugehörigkeit offen zu zeigen.

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Es gibt 5 Kommentare

@Michael Freitag
Da haben Sie völlig Recht, man sollte das nicht überbewerten oder als große Sachen sehen, dass da Leute vor dem Hotel stehen. Allerdings würde ich das auf beide Seiten beziehen, die da standen.

Das Problem heute ist halt der Terror über die Netzwerke. Man kann als Hotel gar nicht besonnen reagieren, oder arbeitsrechtlich korrekt, oder vielleicht sogar noch “fair”, ohne das irgendwer in der Blase auch noch das mit dem kurzsilbigen Twitter-Zynismus wegspült und uminterpretiert.

Das Hotel wollte mit dem Musiker Kontakt aufnehmen – natürlich ist es seine Wahl ob er das in der Situation möchte oder nicht. Aber als Angestellter des Hotels würde ich den Teufel tun und auch noch mit der Presse bei der Demo reden. Man kann doch im Grunde sicher sein, dass jede Aussage umgedreht wird, um in der Blase Aufmerksamkeit und Likes zu bekommen.

Und ganz ehrlich – wäre da nichts vom Hotel gekommen, nicht mal die genannte kleine Demo – der (digitale) Mob hätte auch das noch ausgeschlachtet.

Und ganz ehrlich – schon bei der Form, die der Musiker gewählt hat, bekomme ich meine Zweifel. Wenn mir sowas passiert, ist doch nicht meine erste Reaktion mich vors Hotel zu stellen und ein aufgeregtes Video für Insta zu posten. Aber vielleicht sind die Menschen da auch einfach unterschiedlich.

Ich finde ja eher befremdlich, dass nach Meldung eines anderen Mediums, das Westin die Leute in der Warteschlange selber befragt.

Als ob, nach allem was man so über den Umgang mit Kritik beim Westin so in den letzten Tagen lesen konnte, da einer sagen würde, dass es antisemitisch.war. Die müssen doch dann auch mit einem lebebslangen Hausverbot rechnen.

@Sebastian: “Und es gibt sogar Mitarbeiter, die sich auch für die Sache der Demonstranten einsetzen …”

Nun, da standen Mitarbeiterinnen des Hotels, die mit niemandem sprachen und sicherlich nicht ohne Genehmigung, wenn nicht gar auf Anweisung des Hotelmanagements während ihrer Arbeitszeit da standen.

Vor dem Eintreffen der Demonstranten gestern wurden zudem Fotos vorab für Social Media und Co. davon gefertigt.

Ich würde die Fahnenaktion also nicht unbedingt überbewerten wollen, wenn es darum geht auf die Haltungen der vielen, vielen Mitarbeiterinnen im Westin rückzuschließen. Nicht mehr und nicht weniger.

Das hoffe ich auch, dass es da eine Videoüberwachung gibt. Und ich hoffe, dass der Musiker den Schritt der Anzeige geht, damit das ordentlich aufgeklärt wird. Entweder gibts dann die gerechte Strafe für solches Verhalten, oder es löst sich anders auf.

Wenn ich nichts übersehen habe, gibt es bisher lediglich Aussagen des Musikers in öffentlich-empörter Art und Weise, auf dessen Grundlage nun die Leute mobilisiert werden.
Das betroffene Unternehmen handelt anscheinend sogar schon aufgrund dieser bisher dünnen Faktenlage, beurlaubt die Leute um die es ging. Klar, bevor man nicht mehr weiß, sind arbeitsrechtliche Schritte nicht nur unfair, sondern eben auch juristisch nicht haltbar.
Und es gibt sogar Mitarbeiter, die sich auch für die Sache der Demonstranten einsetzen – aber die aufgescheuchte Twitter-Meute will mehr…
“Wollt ihr das echt mit nem Plakat wieder gutmachen?” – völlig lächerlich! Wer ist “ihr”? Waren die Mitarbeiter vorm Hotel gesteuert oder war es eigene Initiative? Ging es um Wiedergutmachung, oder bloß um das heute extrem wichtige “Zeichen”?
Eine andere Chance, als die sozialen Kanäle zu schließen, hat das Westin aktuell eigentlich nicht. Viel zu irre im Moment.

Und bitte, spiegelt die Twitter-Zitate hier größer und fetter in die Artikel ein. Sie sind noch zu klein und unübersichtlich.

P.S.: Nichts gegen Demonstrationen, um die Solidarität mit dem Musiker auszudrücken. Und bitte, jeder soll sein Zeugnis religiöser Gedanken doch bitte vor sich hertragen dürfen, ohne diskriminiert zu werden. Gern auch Demos gegen einen Arbeitgeber, der solches Verhalten vielleicht gedulded oder ermöglicht hat.
Aber BITTE erst, wenn es etwas mehr Aufklärung und Faktenlage gibt, als es ganz kurz, nicht mal einen Tag später, nach einem aufgeregten Instagram-Video überhaupt möglich ist!

Hoffentlich gibt es eine Video Überwachung des Rezeptionsbereiches, damit der Mitarbeiter zweifelsfrei rausgeschmissen werden kann. Nicht das sich noch irgendwelche Gerichte damit rumärgern müssen.

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