Da bekommt man an einem Sonntag verschiedene Links zugesendet, klickt diese an und ist konfrontiert mit den Auswüchsen des ganz alltäglichen Rechtsnationalismus und seiner Normalität, d. h. da, wo er wütet, scheint es die Wenigsten aufzuregen. Das muss sich ändern!

„Um an die Macht zu kommen, nutzen sie die Schwächen der Demokratie – jener Demokratie, die sie abschaffen wollen … das funktioniert wie 1933, genau so wurde auch die NSDAP groß. Die AfD tut das ohne Anstand. Ich muss es so deutlich sagen, denn: Wer schweigt, stimmt zu. … Die träumen von der Machtübernahme, zumindest aber vom Mitregieren. … Der rechte Flügel nutzt die Erschöpfung der Bevölkerung aus, die aus Frust heraus die AfD wählen. … Diese Menschen hoffen auf ein Heilsversprechen. Jedoch: Wenn die Rechten kommen, wird es noch schlimmer – die halten sich nicht an Rechtsstaatlichkeit.“

Diese Sätze stammen nicht aus einem Verfassungsschutzbericht oder einer wissenschaftlichen Studie über den Rechtsnationalismus. Diese Sätze sagte die (noch) AfD-Stadträtin Freia Lippold Eggen aus Bad Kissingen in einem Interview. Sie wird demnächst aus der AfD austreten. Lippold-Eggen kommt auch noch auf einen AfD-Funktionär aus Unterfranken zu sprechen, der keine Ausländer mehr im Land haben wolle: „Er sieht eine ethnologisch saubere Gesellschaft durch Vermischung geschwächt. Das sind die Fantasien, die diese Menschen haben – sie machen Ausländer für ihr eigenes Unvermögen haftbar. Das ist die Marschrichtung der Rattenfänger, genauso wie 1933.“

Eine solche Stimme aus dem Innenbereich der rechtsnationalistischen Partei AfD sollte den Letzten wachrütteln und alle Beschwichtiger nachdenklich bzw. still werden lassen. Die AfD ist die Neuauflage der NSDAP! Das ist keine Übertreibung, keine Panikmache, sondern eine, wenn auch erschreckende, Zustandsbeschreibung der gesellschaftspolitischen Großwetterlage in Deutschland.

Wer jetzt noch immer Beispiele benötigt, wie sehr der Rechtsextremismus Einzug gehalten hat ins ganz normale bürgerliche Leben – und zwar in West- und Ostdeutschland – der möge sich den Vorgang im hessischen Seligenstadt bzw. Klein-Krotzenburg anschauen. Dort wurden inzwischen vier von einem mittelständischen Unternehmen initiierte Banner angebracht, zwei an einem Gerüst eines Ärzte(!)hauses, direkt neben dem Rathaus. Zu sehen sind Gesichter der Grünen-Politiker/-innen Winfried Kretschmann, Annalena Baerbock, Ricarda Lang, Robert Habeck, Anton Hofreiter und Cem Özdemir in Form von Sonnenblumen, garniert mit dem Spruch: „Wir packen das Übel an der Wurzel“.

Mit diesem Banner wird unverhohlen zur mordenden Gewalt gegen Politiker/-innen aufgefordert – und das in einem Bundesland, in dem am 01. Juni 2019 Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) wegen seiner an der Menschenwürde orientierten Flüchtlingspolitik von einem Rechtsextremisten ermordet wurde, nachdem über Wochen gegen ihn gehetzt worden war. Frage: Wo sind die Ärzt/-innen, die sich solch perfide Propaganda an ihrem Wirkungsbereich verbeten? Wo sind die Anwohner/-innen, die dagegen sturmlaufen? Wo sind die Bürgermeister/-innen, die sofort das Abhängen des Banners fordern bzw. veranlassen?

Nun hat ein couragierter Mann (er ist mir persönlich bekannt) dieses Banner vorgestern Nacht entfernt und dabei geringfügig beschädigt. Dabei wurde er von einer Art Bürgerwehr (angeführt von dem Unternehmer) überrascht, die dieses Banner „beschützen“ wollte. Nur durch das Hinzukommen eines Bürgers konnte verhindert werden, dass die mit Holzknüppeln bewaffneten Männer zugeschlagen haben. Genauso erschreckend wie dieser Vorgang ist aber die Berichterstattung in der örtlichen Presse. In der „Offenburg Post“ (op-online) wird über den nächtlichen Überfall der Bürgerwehr so berichtet, als handele es sich um einen Fall von „Sachbeschädigung“ und „Hausfriedensbruch“.

Kein Wort verliert die Zeitung über den strafrechtlich relevanten Inhalt des Banners.

Da ist es wieder: das Problem des Verschweigens und Beschwichtigens. Wie gehabt. In der Stellungnahme der örtlichen Parteigliederung von Bündnis 90/Die Grünen wird Adolf Hitler zitiert: „Wir wollen keine Gefühlsantisemiten sein, die Pogromstimmung erzeugen wollen, sondern es beseelt uns, die unerbittliche Entschlossenheit, das Übel an der Wurzel zu packen und mit Stumpf und Stiel auszurotten. Um unser Ziel zu erreichen, muss uns jedes Mittel recht sein, selbst wenn wir uns mit dem Teufel verbinden müssten!“

Hitler hat die Rede am 06. April 1920 gehalten, also 13 Jahre bevor der Nazi-Terror 1933 die Demokratie „mit Stumpf und Stiel“ und Zehntausende Demokrat/-innen ausrottete. Das unterstreicht: Wenn sich jetzt nicht alle ganz im Sinne des ehemaligen FDP-Bundesinnenministers Gerhart Baum („Leute, wacht auf“) klar positionieren und die freiheitliche Demokratie verteidigen gegen eine rechtsnationalistische AfD (laut Baum „die größte Bedrohung für unsere Demokratie seit Gründung der Bundesrepublik vor 74 Jahren“), dann wird es schwierig.

Diese Aufforderung richtet Baum vor allem an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das ist absolut angemessen! Scholz muss in Sachen AfD endlich Klartext reden! Sie hat aber für jede/-n Bürger/-in verpflichtende Gültigkeit! Die Zeit des Beschwichtigens ist endgültig vorbei!

Christian Wolff, geboren 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/

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