Es ist eingetreten: Vergangenen Sonntag wurde der AfD-Kandidat Tim Lochner zum Oberbürgermeister von Pirna gewählt. Auch wenn das Wahlergebnis für ihn alles andere als triumphal ausfiel – schlimm genug, dass er mit einem Stimmenanteil von 38,5 % bei einer Wahlbeteiligung von 53,8 % die Wahl gewinnen konnte. Möglich wurde dies dadurch, dass sich die demokratischen Parteien für den 2. Wahlgang nicht auf einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin einigen konnten.

So teilten sich die gut 60 % der Stimmen zwischen der CDU-Kandidatin und dem Kandidaten der Freien Wähler relativ gleichmäßig auf (je ca. 30 %). Das erleichterte der AfD den Wahlerfolg. Erschwerend kommt hinzu, dass weder die sächsische CDU noch die Freien Wähler in Sachsen eine klare, unmissverständliche Haltung gegen die gesichert rechtsextremistische AfD einnehmen.

Darum ist es kein Wunder, dass Wähler/-innen, die keinerlei Berührungsängste gegenüber rechtsextremistischen Gruppierungen und ihren Inhalten haben, eher das Original als die Kopie wählen und dabei null Bedenken hegen.

Unerheblich ist auch, dass Tim Lochner selbst kein AfD-Mitglied ist: Als Kandidat der rechtsextremistischen AfD nimmt er billigend in Kauf, dass er mit der Programmatik dieser Partei identifiziert wird – zumal er mit seinen ganz wenigen politischen Aussagen ein gängiges AfD-Narrativ bedient: die Rede vom „Bevölkerungsaustausch“.

Entscheidend wird sein, wie sich Lochner als Oberbürgermeister geben wird. Da kann man ziemlich sicher sein, dass er in Sachen AfD nichts anbrennen lässt. Auch wenn er kein Mitglied dieser Partei ist, schloss er sich schon 2019 als Stadtrat der AfD-Fraktion in Pirna an. Er wird als OBM die Programmatik und die Strategie der AfD ohne Wenn und Aber vertreten.

„Mich trennt von der AfD gar nichts. Überhaupt nichts …“, ließ er verlauten. Dass es sich so verhält, machte er am Sonntagabend deutlich: Da verkündete er, dass er als Erstes den Dienstwagen abschaffen werde und in Zukunft mit seinem Privatwagen fahren wird. Nun habe ich keinen Zweifel daran, dass sich ein Tischlermeister einen mindestens so komfortablen PKW leisten kann wie die Stadt Pirna für ihren Oberbürgermeister. Lochner wird dann in Zukunft seine dienstlich gefahrenen Kilometer abrechnen. Man darf auf die „Ersparnis“ gespannt sein.

Aber letztlich ist das billiges Getue, das ablenken soll von der Inhaltslosigkeit, besser: der Selbstverharmlosung eines Tim Lochners. Das macht die Sache aber noch gefährlicher. Denn dieses politische Vakuum wird durch die nationalistisch-rechtsextremistische Programmatik der AfD ausgefüllt – wie gesagt: Nichts trennt Tim Lochner davon.

Insofern ist er ein idealer Kandidat für die AfD: Ohne Mitglied zu sein, ohne über ein eigenes politisches Programm zu verfügen (das sucht man im Internet vergeblich), ist er ein idealer Resonanzboden für die völkisch-nationalistische Politik der AfD auf kommunaler Ebene.

Dazu passt, dass Lochner gSonntagabend ankündigte, seine Mitarbeiter/-innen in der Stadtverwaltung bald persönlich kennenlernen zu wollen und sie „auf ihre Loyalität zu prüfen“. Alles klar: Der OBM von Gnaden der AfD, die gesichert rechtsextremistisch ist, will die Loyalität der Mitarbeiter/-innen prüfen. Und dann … ? Wäre es nicht viel angebrachter, die Loyalität des gewählten Oberbürgermeisters zur freiheitlich demokratischen Grundordnung durch den Innenminister des Freistaates Sachsen auf den Prüfstand zu stellen?

Wäre es nicht angebracht, sich jetzt schon schützend vor die Mitarbeiter/-innen im Pirnaer Rathaus zu stellen? Denn eines ist klar: Die AfD will und wird „aufräumen“, sollte sie die Möglichkeit haben. Da sollte sich niemand irgendwelchen Illusionen hingeben: Die AfD wird im Kleinen wie im Großen genau der Trump-Strategie folgen: systematisch kritischen Diskurs, Demokratie, Vielfalt abbauen, um ein autokratisches System zu installieren.

Da wird ein Dominostein nach dem andern fallen – wenn, ja wenn die Zivilgesellschaft weiter dem Treiben der „gesichert rechtsextremistischen“ AfD achselzuckend zusieht und sich der Illusion hingibt: Es wird schon nicht so schlimm kommen …

Christian Wolff, geboren 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar