Bundeskanzler Friedrich Merz fordert die Deutschen zu einer gewaltigen Kraftanstrengung auf, um aus der Wirtschaftskrise heraus zu kommen. Das klingt erst einmal vernünftig, ist aber vielleicht der erste Schritt zur altbekannten Forderung: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“. Adressiert wird die Forderung selbstverständlich an die arbeitenden Menschen im Land, was automatisch zu der Frage führt: „Was weiß Friedrich Merz von der Arbeitswelt?“

Scheinbar nicht viel, denn die Aussage: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“ birgt nicht nur einen eklatanten Fehler in sich.

Beginnen wir mit dem Teil „mehr arbeiten“, da gibt es nicht nur einen systemischen Fehler in der Forderung. Stützt man diesen auf die Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), ohne die bereits in der letzten Studie gemachten Einschränkungen zu beachten, klingt die Forderung logisch. Beachtet man die Erwerbstätigenquote in den aufgeführten Ländern, bemerkt man schnell den Fehler.

In Deutschland betrug diese 2023 77,2 %, in Griechenland, welches in der Studie mit 135 Arbeitsstunden pro Jahr mehr hervorgehoben wurde, lag sie 2023 bei 46,3 %. Würde man die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf der arbeitsfähigen Bevölkerung berechnen, dann läge Deutschland wahrscheinlich weit vorn.

Der zweite Fehler in der Betrachtung ist eher betriebswirtschaftlicher Natur. Selbst wenn man voraussetzt, dass Mehrarbeit automatisch zu einer erhöhten Produktivität im Jahresdurchschnitt führt, muss das nicht immer positive Auswirkungen auf ein Unternehmen haben. Nehmen wir an, VW produziert durch Mehrarbeit pro Jahr x Autos mit Verbrennermotor mehr, kann diese aber mangels Nachfrage nicht absetzen. Liegt darin ein Mehrwert, oder führt die Mehrarbeit zur „Produktion auf Halde“ und Entlassung von Mitarbeitern?

An dieser Stelle muss auch das Thema Überstunden angesprochen werden, obwohl es in der Merzschen Forderung nicht explizit benannt wurde. Überstunden sind, sieht man von außergewöhnlichen oder branchenspezifischen Situationen im Unternehmen ab, meist ein Symptom für schlechte Unternehmensführung. Falsche Personalpolitik, schlechte Arbeitsorganisation und ähnliches führen dazu, dass die Arbeit in der regulären Arbeitszeit nicht geschafft wird.

Hier ist die Forderung von Friedrich Merz „effizienter arbeiten“ völlig richtig, allerdings fehlt der Adressat. Die Effizienz zu gewährleisten ist eine originäre Forderung an die Arbeitgeber, diese müssen ihre betrieblichen Prozesse organisieren. Das geht bei Merz völlig unter, durch den Nachfolgesatz mit 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance entsteht der Eindruck, es wäre eine Forderung an die Arbeitnehmer.

Vielleicht hat sich jemand gewundert, warum ich oben den Focus-Artikel von Martin Limbeck verlinkt habe. Auch er verkürzt das Problem, diesmal auf die Steuern und Abgaben, stimmt aber ein in den Tenor „Leistung muss sich wieder lohnen“. Allerdings bezieht diese Forderung mindestens 16 % der Arbeitnehmer in Deutschland nicht ein. Im April 2024 waren 15,9 % der Beschäftigten im Niedriglohnsektor tätig und würden von Steuererleichterungen kaum oder gar nicht profitieren. So einfach ist es also auch nicht.

Mit dem Satz „Eine reine Erhöhung von Wochenarbeitszeit oder Arbeitstagen im Jahr wird nur dazu führen, dass die, die jetzt schon keine Lust haben, weiter unproduktiv sind und weiter prokrastinieren.“ spielt Limbeck das Spiel von Merz, er schiebt die Verantwortung auf die Arbeitnehmer.

Fazit: „Mehr arbeiten“ ist eine populistische Forderung, die am Ziel vorbeigeht. Der Adressat für Forderungen der Politik für Wege aus der Wirtschaftskrise sind nicht die Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber. Arbeit effizienter organisieren und vor allem die Herstellung weltmarkt- und zukunftsfähiger Produkte sind die Forderungen der Stunde.

Wenn dann noch die arbeitenden Menschen fair bezahlt, weitergebildet und nicht sobald die Produktion effizienter läuft entlassen werden, dann klappt’s wahrscheinlich. Was sagt eigentlich die mitregierende SPD dazu, so als Arbeiterpartei?

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Es gibt 2 Kommentare

Mehr arbeiten gut und schön. Viele wollen, dürfen aber nicht, weil Arbeitgeber nicht einstellen.
Schaut man in die Stadtverwaltung, wo immer noch viele Stellen unbesetzt sind, um zB Wohngeldanträge zu bearbeiten, dann stellt man sich die Frage: keine Bewerber? Oder sind die alle nicht geeignet? Oder ist doch die Haushaltslage entscheidend?
Und zum Thema Arbeitsplätze und Fachkräftemangel: nicht jeder kann Pflege, oder eben viele andere gesuchte Berufe. Nicht jeder kann bei Amazon usw picken, oder Pakete ausfahren und vieles mehr.

Haben wir nicht die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn liegt es doch an der Politik damit zurecht zu kommen und nicht an dehnen die sie erwirtschaftet haben. Sollen sie mal in die Puschen kommen.

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