Mit dem Koalitionsvertrag versprach uns die „kleinstmögliche Koalition“ (KleiMöKo) zwei Dinge, die Löhne betreffend. Zum Ersten war das die Stärkung der Tarifbindung, das zweite waren die steuerfreien Überstundenzuschläge. Das Erste ist ein ambitioniertes Ziel, das zweite vom ersten abhängig. Wie ist denn eigentlich der aktuelle Stand?
Es scheint sich nicht viel zu tun außer der Tatsache, dass Lars Klingbeil jetzt „umfassende Entlastungen für Unternehmen“ plant. Der ist übrigens in der ehemaligen Arbeiterpartei SPD.
Wie ist der Stand bei der Tarifbindung?
Unter dem Titel „Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung“ veröffentlichte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am 30. Mai 2025 die Auswertung der jährlich erhobenen Daten zur Tarifbindung und betrieblichen Interessenvertretung in West- und Ostdeutschland. Diese fällt ernüchternd aus und stellt die Regierung, sollte sie ihre Versprechen halten wollen, vor große Herausforderungen.
Besonders für Ostdeutschland ist die Lage dramatisch. So lag der Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit Branchentarifvertrag bereits 1996 mit 47 % mehr als 20 % unter der Vergleichszahl in Westdeutschland, diese betrug etwa 69 %. Im Erhebungszeitraum 2024 sank der Wert auf etwa 31 % und in Westdeutschland auf 42 %.
Bei den Betrieben, die einen Betriebsrat haben, sieht es nicht besser aus. Warum ist dieser Wert wichtig? Fällt ein privatwirtschaftliches Unternehmen nicht unter einen Tarifvertrag, dann kann nur der Betriebsrat beispielsweise Überstundenzuschläge durchsetzen. Diese Zuschläge sind nicht gesetzlich geregelt.
Hier ist die Differenz nicht so groß, 2024 waren im Osten 31 % der Beschäftigten in der Privatwirtschaft und im Westen 38 % in Betrieben mit Betriebsrat beschäftigt. Auch dort gab es im Vergleichszeitraum 1996 bis 2024 stetige Rückgänge. Detaillierte Auswertungen sind unter „Daten zur Tarifbindung und betrieblichen Interessenvertretung“ zu finden.
Was verspricht die Bundesregierung?
Im Koalitionsvertrag werden zwei Aussagen dazu getroffen:
1. Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben. (Seite 18)
2. Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt. (Seite 18) und
Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben. Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen. (Seite 46)
Sieht man sich die oben genannten Zahlen an, dann ist das eine ambitionierte Zielstellung, es ist aber die richtige. Die Doppelung in Punkt 2 ist unklar und nur damit zu erklären, dass der Punkt unter Steuerpolitik nochmals auftauchen muss. Allerdings gilt Punkt 2 eben nur für Betriebe mit Tarifvertrag, mit einer Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat oder wenn der Arbeitgeber diese Zuschläge freiwillig zahlt.
Wie will die Bundesregierung das durchsetzen?
Als Erstes steht dazu im Koalitionsvertrag auf Seite 18: „Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Das Bundestariftreuegesetz gilt für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen werden wir auf ein absolutes Minimum begrenzen.“
Das ist selbstverständlich richtig und zwingt besonders große Unternehmen, die aus den Tarifverträgen ausgestiegen sind, zurück in diese. Warum aber nur für Aufträge auf Bundesebene und ab der Summe von 50.000 Euro? Warum nicht generell für Vergaben durch Bund, Länder und Kommunen? Das absolute Minimum von Kontrollen und Nachweisen wird eventuell dazu führen, dass Aufträge in Losen ausgeschrieben werden, die unter der magischen Grenze liegen.
Was gibt es für die betriebliche Mitbestimmung? Da lesen wir: „Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln. Wir ermöglichen Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten. Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. Wir ergänzen das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe um einen digitalen Zugang, der ihren analogen Rechten entspricht.“ (Seite 19)
Das ist längst überfällig, aber werden damit mehr Betriebe einen Betriebsrat bekommen?
Zum Schluss noch eine kritische Aussage: „Wir machen die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver.“ Hier steht die Frage: Wie soll das gehen und ist das rechtlich überhaupt durchsetzbar. Die einfachste Lösung, den Gewerkschaftsbeitrag steuerlich absetzbar zu machen, entfällt. Dieser läuft schon unter Werbungskosten bei der Steuererklärung.
Fazit: Es gibt einige Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag, die dort genannten Maßnahmen sind aber kaum der Rede wert.
Was macht das ranghöchste Regierungsmitglied der SPD? Er will mit Investitionsanreizen und Steuererleichterungen die Unternehmen entlasten. Vielleicht hofft er, dass diese dann einen Teil an die Beschäftigten weitergeben. Bisher liegen allerdings keine Angaben dazu vor, ob diese Maßnahmen an die Tariftreue gebunden werden, das wird eher auch nicht der Fall sein.
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