Wenn Putins Krieg den Osteuropäern und den Ostdeutschen etwas vor Augen führt, dann die Tatsache, was für einen seltenen historischen Moment sie erlebten, als sie sich in lauter friedlichen Revolutionen den Weg in Freiheit und Demokratie bahnen konnten. Aber gerade weil das so ist, müsste auch das geplante „Zentrum Deutsche Einheit und Transformation“ einen völlig anderen Zuschnitt bekommen, fordern viele Persönlichkeiten mit einem gemeinsamen Papier an die Parteien im Bundestag.

Wie Russlands Krieg die Konzeption durcheinanderbringt

Die letzte Bundesregierung setzte eine Kommission „30 Jahre Revolution und deutsche Einheit“ ein. Sie tagte von 2019 bis 2020. Eine ihrer Empfehlungen lautete, ein „Zentrum Deutsche Einheit und Transformation“ zu schaffen. Diese fand Aufnahme in den aktuellen Koalitionsvertrag. Gegenwärtig läuft die Bewerbungsphase und demnächst wird auch eine Standortkommission berufen.

Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine sind die Verfasser des Appells an die Bundestagsparteien der Meinung, dass die bisherige Grundkonzeption für das Zentrum dringend überarbeitet werden muss.

Appell mit prominenten Fürsprechern

„Das Zentrum muss zur Stärkung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten im europäischen Kontext beitragen“, formuliert der Leipziger Bürgerrechtler Uwe Schwabe die Kernforderung, die berücksichtigt werden sollte. „Wir haben dazu Überlegungen in einem Aufruf zusammengetragen, die aus unserer Sicht unbedingt berücksichtigt werden müssen.“

Der Appell zum Europäischen Freiheits- und Zukunftszentrum

Diesen Aufruf tragen Persönlichkeiten mit, die in Deutschland und in unseren europäischen Nachbarländern an führenden Stellen Verantwortung tragen und trugen. Darunter befinden sich Mitglieder der Regierungskommission, Direktoren von Museen, Stiftungen und Erinnerungsorten, Professoren, Repräsentanten von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, frühere Abgeordnete ebenso wie Regierungsmitglieder und eine ehemalige Bundespräsidentin.

Es geht nicht nur um Deutschland

Eine wichtige Feststellung des Schreibens lautet: „Wir unterstützen diese Empfehlungen, vor allem der Expertengruppe, fordern ihre rasche Umsetzung, mahnen aber zugleich eine dringend notwendige Erweiterung der Gründungsidee des Transformationszentrums an. Spätestens der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sollte allen, die für Freiheit und Demokratie einstehen, gezeigt haben, dass eine Beschränkung auf
die Zeit nach 1989 ebenso zu kurz greift wie die Idee, Deutschland allein ins Zentrum zu rücken. Es gibt Nationalstaaten, aber keine voneinander losgelösten nationalen Entwicklungswege. In Europa hängt alles engstens miteinander zusammen – so schon vor und besonders nach 1989.“

Dabei hat sich Wladimir Putin mit seinem Krieg gegen die Ukraine längst isoliert und deutlich gemacht, dass Europa seine gemeinsamen Werte viel stärker verteidigen muss: „Russlands Krieg ist eine Zäsur mit dramatischen, vielfältigen und gegenwärtig nicht überschaubaren Folgen. Als politischer Partner hat sich Russland auf unabsehbare Zeit ins Abseits katapultiert“, heißt es im Appell.

„Es gibt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gegenwärtig keine gemeinsame Grundlage mehr für die Zusammenarbeit mit Russland. Europa muss eine neue Sicherheitsordnung planen, die auch ohne Russland funktioniert. Die Vorstellung einer von Regeln und Werten getragenen Weltordnung muss neu überdacht werden und wir werden eine Debatte über europäische Souveränität führen müssen.“

„Nationale Selbstbetrachtungen unangebracht“

Das Fazit des Schreibens: „Der Angriffskrieg Russlands gegen die freie und souveräne Ukraine müsste nun endgültig alle überzeugen, dass nationale Selbstbetrachtungen unangebracht sind und zu kurz greifen. Deshalb fordern wir eine Überarbeitung und eine Neuausrichtung der Konzeption für ein ‚Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation‘.

Denn wir brauchen sehr schnell ein Europäisches Freiheits- und Zukunftszentrum in Deutschland, das die politischen und kulturellen Bündnisse zwischen der deutschen Zivilgesellschaft und den europäischen Nachbarn stärkt, um gemeinsam Freiheit und Demokratie gegen autoritäre Herrschaft zu verteidigen.“

Das Schreiben wurde an folgende Empfänger gesendet:

Staatsministerin Roth, Bundesministerin Inneres Faeser, Staatsminister Carsten Schneider, CDU-Vorsitzender Merz, CSU-Vorsitzender Söder, SPD-Vorsitzender Klingbeil, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Ricarda Lang, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Omid Nouripour, FDP-Vorsitzender Lindner, CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Merz, SPD-Fraktionsvorsitzender Mützenich, Bündnis 90/Die Grünen-Fraktionsvorsitzender Britta Haßelmann, FDP-Fraktionsvorsitzender Dürr, Bundestagsausschuss für Kultur und Medien und die jeweiligen Sprecher/-innen, Bundesausschuss Inneres und Heimat und die jeweiligen Sprecher und Sprecher/-innen.

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