Noch vor wenigen Monaten dachte man: Das dauert noch ewig, bis Leipzigs Ratsversammlung bereit ist, eine Frau zur Ehrenbürgerin zu machen. Und dann ging es dieser Tage doch sehr schnell. Am Mittwoch, dem 12. Oktober, wurde Channa Gildoni vom Leipziger Stadtrat einstimmig zur Ehrenbürgerin gewählt. Und es gab keinen Streit und keine Widerrede.

Ein bewegtes Leben

1923 in Leipzig geboren, gelang ihr zwischen Ende 1939 und Frühjahr 1940 die Flucht nach Ungarn und von dort etwa ein Jahr später nach Tel Aviv. Ihre Kindheitsstadt Leipzig sah sie erst 1992 wieder bei einem ersten Besuch des Verbands ehemaliger Leipziger in Israel in Leipzig. Seitdem rissen die Kontakte nicht mehr ab, kam sie auch als Vorsitzende des Verbandes immer wieder nach Leipzig und half auch, für Leipzig eine Partnerstadt in Israel zu finden – Herzliya.

In seiner Würdigung sprach Oberbürgermeister Burkhard Jung von der Versöhnungsarbeit, die Channa Gildoni in dieser Zeit geleistet hat. „Sie ist eine unglaubliche Brückenbauerin.“

Und noch viel emotionaler war die kurze Rede von Mandy Gehrt, die ja seit langem darum kämpft, dass Leipzig endlich einmal Ehrenbürgerinnen bekommt. Denn seit 190 Jahren waren es immer wieder Männer, die mit dieser Würde bedacht wurden – keine einzige Frau. Die Diskussion flammte wieder auf, als im Februar Friedrich Magirius die Ehrenbürgerwürde verliehen bekam.

Linksfraktion: „Dieses Zeichen war überfällig“

Doch als Channa Gildoni als Kandidatin für die Ehrenbürgerwürde ins Gespräch kam, ging es sehr schnell. In der Ratsversammlung am 12. Oktober wurde Channa Gildoni von der Ratsversammlung einstimmig zur Ehrenbürgerin gewählt. Nach 190 Jahren und bisher 88 Männern, die in der Stadt bereits zu Ehrenbürgern ernannt wurden, ist es tatsächlich das erste Mal in der Geschichte Leipzigs, dass einer Frau diese oberste Würde zuteilwird.

„Dieses Zeichen war längst überfällig“, betonten nach dieser Entscheidung Beate Ehms, Sprecherin für Gleichstellung der Fraktion Die Linke im Leipziger Stadtrat, und Mandy Gehrt, kulturpolitische Sprecherin der Fraktion, die sich auch mit einem eigenen Antrag bereits in der Vergangenheit für die Erteilung der Ehrenbürger/-innenschaft für Frauen, die in Leipzig wirkten, starkgemacht hat.

„Es war von jeher unverständlich, warum die Frauen, die sich in Leipzig vielfältig engagierten und engagieren, nicht die gleiche Anerkennung für ihr Wirken erhielten, wie die Männer, die in den vergangenen Jahrzehnten zuhauf geehrt wurden“, stellen die beiden Stadträtinnen fest.

„Endlich – und nicht zuletzt durch das Zutun unserer Fraktion – ist die Stadt im 21. Jahrhundert angekommen. Die Verleihung der Ehrenbürgerinnenschaft soll auch zukünftig junge Mädchen und Frauen zeigen, dass sie Großes bewirken können.“

Die Geehrte selbst war nicht anwesend

Mit der Ehrung Channa Gildonis, die die Shoa überlebte und sich ihr Leben lang für die Versöhnung und das Erinnern an das Schicksal von Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg einsetzte, hat die Stadt den ersten Schritt getan, betonten die beiden. Jetzt heiße es: „Nicht nachlassen! Es gibt noch viele weitere Frauen aus Leipzig, die es verdient hätten, ihren Namen auf der Liste der Ehrenbürger/-innen zu lesen.“

Da Channa Gildoni zum Wahlakt nicht nach Leipzig kommen konnte, wird ihr die Würdigung in den nächsten Tagen in Israel persönlich überreicht. Die Ehrenbürgerwürde soll im Rahmen der Delegationsreise bei einem Empfang am 23. oder 24. Oktober durch Oberbürgermeister Burkhard Jung verliehen werden.

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