Die SPD steckt derzeit einmal wieder in ihrem leidigen Problem der Unschlüssigkeit. Um eine Ampelkoalition zu retten, in welcher der kleinste Mitspieler alles tut, alle Versuche zu mehr Klimaschutz zu torpedieren, traut sich Bundeskanzler Olaf Scholz nicht, auf den Tisch zu hauen und klarzumachen, dass gerade diese Regierung die 2019 vom Bundestag beschlossenen Klimaziele nicht aufweichen darf. Nicht alle SPD-Mitglieder verstehen diese Haltung.

Beschlossen wurde das Klimaschutzgesetz noch 2019 von der damaligen Großen Koalition. 2022 hat es die Bundesregierung sogar noch in einigen Punkten nachgeschärft und gar von einem „Generationenvertrag“ geredet. Aber im Juni 2023 beschloss dieselbe Regierung, die Sektorenziele im Klimaschutzgesetz aufzuweichen – also den zentralen Kern überhaupt abzuschaffen, der jedes einzelne Ministerium dazu verpflichtet, seinen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase zu leisten.

Doch gerade Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) treibt den Ausbau der fossilen Mobilität unbeirrt weiter voran und sperrt sich gegen jeden Einschnitt in der alten Autopolitik. Und das genügt augenscheinlich völlig, die ganze Regierung dazu zu zwingen, die Sektorenziele zu löschen. Soll doch irgendwer anders den Beitrag bringen, den eigentlich der Verkehrssektor mit seinem enormen Spritverbrauch leisten sollte.

„Die Bundesregierung hat diese Woche endgültig die Änderungen am Klimaschutzgesetz beschlossen. Das noch von der Großen Koalition beschlossene Gesetz hat 2019 erstmals in der Geschichte der Republik verbindliche Klimaziele für die einzelnen Sektoren – von Energieproduktion bis Landwirtschaft – festgesetzt. Bis auf die Tonne genau ist festgeschrieben, wie viele Treibhausgase sie pro Jahr noch ausstoßen dürfen“, schrieb selbst der „Spiegel“ unter dem Titel „Aufstand der Klimabremser“ im Juni.

So werden die Klimaziele nicht erreicht

Und selbst dieses eigentlich marktverliebte Politikmagazin der Gutbetuchten stellte etwas verdattert fest: „Vier Jahre später schafft die Ampelregierung auf Betreiben der FDP diese Errungenschaft wieder ab. Zwar bleiben die Einsparziele formal bestehen, und auch in der jährlichen Bilanz sollen sie weiter auftauchen. Allerdings muss sich weder das Verkehrs- noch das Bau- oder das Wirtschaftsministerium künftig daran halten. Werden sie verfehlt, passiert erst mal – gar nichts. Die Ministerien müssen keine Sofortprogramme mehr auflegen. Stattdessen soll nur noch alle zwei Jahre ‚bei projizierten Verfehlungen der Emissionsziele‘nachgesteuert werden.“

Und dabei reicht nicht einmal das Klimaschutzgesetz von 2019, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht.

Auch das thematisiert der „Spiegel“ jetzt am 5. September: „Es reicht einfach nicht. Das Expertenteam des Climate Action Tracker (CAT) hat alle Klimaschutz-Bemühungen der Ampelpolitiker zusammengerechnet. Selbst, wenn alle Verordnungen und Gesetze so umgesetzt werden, wie sie nun im Klimaschutzprogramm der Regierung stehen, erreicht Deutschland 2030 seine selbst gesteckten Klimaziele nicht, die Bilanz ist nur ‚ungenügend‘. Außerdem würde Deutschland gemessen an seinen Emissionen keinen ‚fairen Beitrag‘ zur Erhaltung des 1,5-Grad-Ziels leisten.“

Der Expert/-innenrat wird ignoriert

Aber mit diesem Aufweichen selbst der laschen und ungenügenden Klimaziele der Bundesregierung wollen sich auch viele SPD-Mitglieder nicht abfinden.

Die Klimafachgruppe SPD.Klima.Gerecht meldet sich jetzt mit deutlichen Worten: „2019 hat die SPD in der Großen Koalition ein wirksames Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) durchgesetzt, mit dem erstmals in Deutschland verbindliche Klimaschutzziele und Instrumente sowie Verantwortlichkeiten zur Erreichung dieser Ziele und die Einrichtung eines unabhängigen Expert/-innenrates beschlossen wurden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2021 hat die SPD erreicht, dass die Auflagen des Gerichtes schnell umgesetzt und darüber hinaus die Ziele deutlich verschärft werden.

Dieser sozialdemokratische Erfolg soll nun entkernt werden, indem die Verantwortung der Minister/-innen für konkrete Sektoren abgeschafft wird. Zukünftig sollen nach Plänen des Kabinetts alle Minister/-innen irgendwie und damit konkret niemand verantwortlich sein, bei Zielverfehlungen soll erst später nachgesteuert werden müssen, die Bewertung des Expert/-innenrates wird aus dem Fokus gedrängt.“

Der Expert/-innenrat hat erst am 22. August ein dramatisches Urteil über die deutsche Klimapolitik gefällt. Die deutschen Klimaziele werden voraussichtlich nicht erfüllt werden und damit kommen wir unseren Verpflichtungen innerhalb der EU nicht nach.

Deswegen fordert SPD.Klima.Gerecht in Übereinstimmung mit sozialdemokratischen Grundsatzpositionen eine Stärkung des KSG statt der geplanten Abschwächung.

Und vom Bundeskanzler zeigt sich die Gruppe enttäuscht: „Olaf Scholz äußerte sich zum Bericht nur mit der Aussage, die Reduktion von 65 % bis 2030 sei erreichbar, auch wenn der Expert/-innenrat das anders sieht.“

Massive Strafzahlungen drohen

Dazu sagt Klaus Mindrup, Co-Autor des Klimaschutzgesetzes (KSG) als Bundestagsabgeordneter im Podcast „Sozialdemokratie und Klima” des SPD.Klima.Gerecht und FFF Aktivisten Paul Schilling: „Im Kanzleramt wurde das KSG anscheinend nicht verstanden. Es geht nicht um eine Punktlandung 2030, sondern um die Summe an Klimagasen, die wir bis dahin ausstoßen. Wenn wir die Kurve nicht kriegen, kommen durch das Europarecht massive Strafzahlungen auf uns zu. Deswegen ist es aus finanz-, wirtschafts- und klimapolitischen Gründen unklug, das KSG abzuschwächen und die Sektorverantwortung zu streichen. Stattdessen müssen das Parlament und der Expert/-innenrat gestärkt werden.“

Durch die zu erwartenden Strafzahlungen werde Geld fehlen, das dringend für Investitionen in die Energie-, Wärme- und Mobilitätswende sowie deren soziale Unterstützung benötigt wird.

Porträtfoto Klaus Mindrup. Foto: Klaus Mindrup
Klaus Mindrup. Foto: Klaus Mindrup

„Der Versuch, dem Bundes-Klimaschutzgesetz die Zähne zu ziehen, sobald es unangenehm wird, ist ein fatales Signal für die deutsche Klimapolitik und das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit“, kommentiert SPD.Klima.Gerecht diesen Vorgang.

„Anstatt die drohende Gefahr ernst zu nehmen und die benötigten Maßnahmen umzusetzen, sollen Kritik und Handlungsdruck durch Verschleierung von Verantwortung unterbunden werden. Wir sprechen für weite Teile der SPD an der Basis und in den Fraktionen in Gemeinden, Städten und Ländern, wenn wir sagen, dass das im Angesicht der sich zuspitzenden Klimakrise keine sozialdemokratische Politik sein kann und keinem SPD-Mitglied gut zu Gesicht steht.“

SPD.Klima.Gerecht fordert Olaf Scholz und die Bundesregierung auf, „den Ansprüchen dieser Krisenzeit gerecht zu werden und als Kanzler mit Initiativen voranzugehen, mit denen unsere Klimaziele erreicht werden können, statt weiter von ihnen abzurücken. Für das KSG fordern wir eine Veränderung des Gesetzentwurfs im parlamentarischen Verfahren, welche Minister/-innen für ihre Sektoren verantwortlich hält, politische Verweigerung mit Sanktionen bis hin zum Streichen von Haushaltsmitteln belegt und dem Expert/-innenrat ein Initiativrecht zur Beurteilung der Klimapolitik gibt.“

„Im Wahlkampf 2021 hat Olaf Scholz angekündigt, als ‚Kanzler für Klimaschutz‘ regieren zu wollen. Wie ein Klimakanzler verantworten kann, dass unsere Klimaambitionen weiter geschwächt werden, ist uns unerklärlich.“, so Yasin Duman von SPD.Klima.Gerecht.

Und Annabel Schumacher von SPD.Klima.Gerecht findet: „Unsere Fraktion im Bundestag muss sich nun ernsthaft fragen, ob die SPD geführte ‚Fortschritts-Ampel‘ beim Klimaschutzgesetz hinter den Ambitionen der ‚Stillstands-Groko‘ zurückbleiben möchte.“

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