Es ist wie so oft, wenn Leipzigs Verwaltung große Pläne vorantreibt: Am Ende sind schon lange vor der ersten Bürgerbeteiligung so viele Dinge festgelegt, dass eigentlich kein „Nein“ aus der Bürgerschaft mehr Erfolg haben kann. Der Zug rollt. Und am Ende wundern sich Leipzigs Architekten, wer eigentlich dafür gesorgt hat, dass der hässliche Stasi-Bau auf dem Matthäikirchhof auch in fast allen städtebaulichen Entwürfen stehen bleibt, die jetzt der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Das vornehmliche Ziel des städtebaulichen Wettbewerbes war, für die Bauleitplanung einen Entwurfsansatz zu finden, bei dem das Problem des Umgangs mit den Stasibauten von 1985 im Zentrum steht.

Doch genau das ist dann doch nicht passiert. Schon in der Bürgerbefragung 2021 wurde dafür gesorgt, dass der Sitz der Stasi weiterhin im Programm blieb und die keineswegs repräsentativ befragten Bürger mit 54 Prozent angaben, der Bau aus den 1980er Jahren solle stehen bleiben. Wenn man den aber erst einmal setzt, ist an eine offene Gestaltung des Areals Matthäikrchhof nicht mehr zu denken.

Von der Jury für den städtebaulichen Wettbewerb sind nun vier Beiträge mit weitestgehendem Erhalt, vier Beiträge mit Teilerhalt und nur ein Beitrag ohne Erhalt der Stasibauten von 1985 zur weiteren Bearbeitung zugelassen worden.

Architekten plädieren für den Rückbau

„Eine Wichtung, die sich aus der Formulierung der Aufgabenstellung herleiten lässt, aber im krassen Gegensatz zu den zuvor erfolgten Umfragen in der Bevölkerung und Meinungsäußerungen von ortsansässigen Fachleuten steht“, kritisierte die ILA – Initiative Leipziger Architekten schon am 29. September. „Wir, die Mitglieder der Initiative Leipziger Architekten, plädieren wie nunmehr der Großteil der Kommentierenden nach Kenntnisnahme der Zwischenergebnisse auf der Internetplattform für den Rückbau der umstrittenen Gebäude. Denn die Wettbewerbsergebnisse belegen, dass dies befreiend zu einer eindeutig besseren städtebaulichen Lösung führt.“

Die zweite Stufe, vom Verfahrensträger als sogenanntes kooperatives Verfahren unter Aufhebung der Anonymität mit Bürgerbeteiligung bezeichnet, sollte jetzt wirksam durch bürgerschaftliches Engagement genutzt werden, um mögliche städtebauliche Schäden von der Stadt abzuwenden, wünscht sich die ILA.

„Dazu sehen wir es als erforderlich an, dass im Rahmen der Bürgerbeteiligung sofort alle 66 Wettbewerbsbeiträge und die Beweggründe der Entscheide veröffentlicht werden, damit die Bevölkerung demokratisch informiert wird. Darüber hinaus sollte das geplante Forum am 19. Oktober nicht nur für eine ‚Hofhaltung‘ (Eigenbezeichnung der Veranstaltung) der Wettbewerbsteilnehmer genutzt werden, sondern in Anbetracht der Zwischenergebnisse einen ernsthaften und wirkträchtigen Disput mit dem Verfahrensträger und den Mitgliedern der Jury als Entscheider in dieser Sache ermöglichen.“

Die in der ILA versammelten Leipziger Architektinnen und Architekten haben nun auch einen Offenen Brief verfasst, um auf die verbaute Situation aufmerksam zu machen, die dadurch entsteht, dass insbesondere an dem quer über den einstigen Matthäikirchhof gebauten Stasi-Riegel festgehalten wird.

Der Offene Brief der ILA zum Matthäikirchhof.

Der Offene Brief

Leipzig, den 28. September 2023

Offener Brief
Zur Bürgerbeteiligung – Städtebaulicher Wettbewerb Matthäikirchhof

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

nun liegen die Ergebnisse der ersten Stufe des Wettbewerbs zur städtebaulichen Neugestaltung
des Matthäikirchhofs vor und auf dem Online-Schauplatz des Öffentlichen Beteiligungsprozesses
findet eine außerordentlich rege und kontroverse Diskussion statt.

Von den eingereichten 66 Beiträgen wurden neun von der Jury ausgewählt, die in einer zweiten
Runde weiterentwickelt werden sollen. Von diesen neun Beiträgen gehen vier vom Gesamterhalt
und vier vom Teilerhalt des Stasikomplexes aus, nur ein Entwurf beseitigt den umstrittenen Bau
planerisch in Gänze und erhält dafür mehrheitlich Lob auf dem Online-Schauplatz.

Um nun die Vielfalt aller kreativen Ideen für den Ort aufzuzeigen, möchten wir Sie bitten, jetzt die
Veröffentlichung aller Beiträge zu veranlassen. Nur so kann es gelingen, ein komplettes Bild der
vorentscheidenden ersten Stufe des Wettbewerbs entstehen zu lassen, die Intentionen und
Beweggründe der Jury zu erhellen und einen demokratischen Meinungsaustausch im Rahmen der
Bürgerbeteiligung zu führen.

Die Entwürfe sollten mindestens drei Tage vor der am 19. Oktober 2023 geplanten Veranstaltung
der Bürgerbeteiligung öffentlich präsentiert und umgehend ins Netz gestellt werden.
Dies erst nach Abschluss des Verfahrens zu tun, hieße, den am laufenden Prozess beteiligten
Bürgern interessante Aspekte vorzuenthalten und so den Disput einzuengen.

Angesichts des Vorhabens, am Matthäikirchhof ein Forum für Freiheit und Bürgerrechte
einzurichten, sollte es selbstverständlich sein, das städtebauliche Wettbewerbsverfahren in
größtmöglicher Transparenz und Offenheit durchzuführen.

Mit freundlichen Grüßen

ILA – Initiative Leipziger Architekten

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

So ein Krampf kommt halt heraus, wenn man irgendwelchen Leuten eine Stimme gibt, die keinen müden Euro dort investieren, von Baumaßnahmen an dieser Stelle auch nicht betroffen sind, aber zu allem eine Meinung haben, bevorzugt nach dem Motto “wie es war zu alter Zeit, so auch bis in Ewigkeit”. Man kann es mit der Bürgerbeteiligung auch übertreiben.

Schreiben Sie einen Kommentar