Hätte Leipzig tatsächlich einen Wohnungsmarkt, auf dem alle Suchenden auch die Wohnung finden und bekommen, die sie brauchen, hätte es den Antrag der Grünen-Fraktion im Stadtrat „Teilhabe auf dem Wohnungsmarkt für alle – Diskriminierung beenden!“ nicht gebraucht. Und auch nicht die kleine und doch sehr lehrreiche Debatte am 13. April in der Ratsversammlung.

Eine Debatte, die sich direkt an die Debatte zum Listenverfahren bei der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft LWB in der Ratsversammlung vom März anschloss. Und natürlich stimmt es: Das Listenverfahren, das gerade Bewerbern mit Migrationshintergrund besseren Zugang zu LWB-Wohnungen ermöglichen sollte, hat sich in der Praxis geradezu als Hemmnis dafür erwiesen. Die Abschaffung war folgerichtig.

Aber eingeführt wurde es nun einmal, weil ziemlich viele Wohnungssuchende gerade mit Migrationshintergrund die Erfahrung machten und machen, dass sie deutlich schlechtere Chancen haben, eine geeignete und bezahlbare Wohnung zu bekommen.

Ein Wohnungsmarkt mit Zugangsschwierigkeiten

Und das trifft eben auch auf andere Wohnungssuchende mit Marktzugangsschwierigkeiten zu. Denn wenn sich das Angebot gerade für bezahlbare Wohnungen im niedrigen Preissegment so stark verknappt, wie das in Leipzig in den vergangenen fünf Jahren passiert ist, dann gibt es für die Menschen, die gerade solche Wohnungen brauchen, keinen freien Markt mehr. Dann stehen sie – wie SPD-Stadträtin Heike Böhm erklärte – eben nicht allein da und müssen sich vor dem Vermieter finanziell komplett entblößen, sondern hinter ihnen steht schon eine lange Schlange von Menschen, die ebenso dringend so eine Wohnung brauchen.

Und das hat nach all den Diskussionen im Stadtrat mittlerweile auch Leipzigs Verwaltung begriffen, dass es hier nicht um ein Blümchenthema geht oder eines, bei dem man mal ein bisschen Menschenfreundlichkeit zeigen kann, sondern dass es um Wohnungssuchende geht, die auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich Benachteiligung erfahren.

Denn tatsächlich ist es so, dass etliche Vermieter ihre Marktmacht nutzen, um sich die Bewerber auszusuchen, die zahlungskräftiger und „angenehmer“ sind. Auch das wurde in der Debatte am 13. April deutlich, dass Diskriminierung oft ganz unbewusst passiert. Oft merkt man erst, dass das gehäuft passiert, wenn man Betroffener ist und immer wieder abgelehnt wird, obwohl man alle Auskünfte und Bescheinigungen vorlegen kann.

Es ist ja nicht so, dass Leipziger Vermieter von vornherein Menschen sind, die edel und gut im goetheschen Sinne sind. Sie haben finanzielle Interessen, wollen auf Nummer sicher gegen, möchten auch gern Frieden in ihrem Haus, fürchten sich also vor Konflikten.

Und da unsere randalierenden Medien alles dafür tun, die üblichen Vorurteile in den Köpfen zu schüren, sind auch Vermieter nicht frei davon. Und entscheiden dann – sogar verständlicherweise – für die scheinbar konfliktlosere Lösung.

Die Zahlen fehlen im Sozialreport

Wie viele Menschen so auf die freundliche Art erleben, dass sie unausgesprochene Schwierigkeiten beim Anmieten einer Wohnung haben, weiß die Stadt nicht. Es ist auch im Sozialreport nicht ausgewiesen, obwohl das Thema Gentrifizierung und Fehlen von Sozialwohnungen ja nun schon seit Jahren die Stadtgesellschaft bewegt.

Weshalb der erste Antragspunkt der Grünen auch gleich eine bessere Berichterstattung dazu fordert: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, beginnend mit dem Sozialreport 2022, die Versorgung mit Wohnraum von Personen und Haushalten mit sogenannten besonderen Marktzugangsschwierigkeiten aufzuzeigen. Dazu werden die im Sozialamt vorliegenden aktuellen Daten verwendet.“

Denn solange das nicht mit Zahlen untermauert ist, steht auch das Argument von FDP-Stadtrat Sven Morlok im Raum, dass die meisten Vermieter in Leipzig diskriminierungsfrei vermieten würden. Und immerhin seien private Vermieter ja die Mehrzahl.

Dabei sprach er durchaus selbst aus Vermieterperspektive, auch wenn er die vermietete Eigentumswohnung in Dresden hat.

Und natürlich sind die Perspektiven völlig gegensätzlich: Vermieter sehen völlig anders auf das Thema als die Wohnungssuchenden. Und es ist nur zu menschlich, wenn sie die Sorgen und Erfahrungen der Wohnungssuchenden nicht teilen.

Sozialwohnungen fehlen

Wie aber bekommt man das Problem dann gelöst, wenn die eigentliche Lösung schlichtweg nicht vorankommt, wie Heike Böhm anmerkt: nämlich der Bau von Sozialwohnungen. 1.300 müssten in Leipzig jedes Jahr gebaut werden, um den Bedarf zu decken. Es entstehen aber gerade einmal 300 bis 400. Für mehr reichen die vom Freistaat ausgereichten Fördergelder schlichtweg nicht.

Und natürlich wollen Vermieter ihre Investitionen refinanzieren und kostendeckend vermieten und bevorzugen aus ihrer Sicht solventere Mieter. Das ist nur zu verständlich.

Aber wenn sich dies mit unbewussten Vorurteilen gegen bestimmte Bewerbergruppen verbindet, wird es genau für diese Gruppen zum Problem.

Und deshalb wollen die Grünen nicht nur die Aufmerksamkeit für das Problem erhöhen, sondern greifen auch einen Vorschlag der Verwaltung selbst auf, der in ihrem zweiten Antragspunkt steckt: „Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V. wird sowie der Prüfung beauftragt, ob durch die Einführung eines Siegels für eine diskriminierungsfreie Vermietung der Zugang zu Wohnungen für Wohnungssuchende, die Benachteiligung erfahren, verbessert wird.  – Sollte ein entsprechendes Siegel zu einem verbesserten Zugang zum Wohnungsmarkt führen, erarbeitet das Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V. gemeinsam mit den Wohnungsmarktakteuren einen Vorschlag für die Einführung eines Siegels für das Stadtgebiet Leipzig. Das Siegel ist im Bündnis für Wohnen bekannt zu machen und zu bewerben.“

Dar das Fehlen eines Siegels peinlich sein?

Ein Satz aus der Rede von Dr. Tobias Peter, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, der den Antrag in die Ratsversammlung einbrachte, sorgte dann freilich für eine kleine Verschärfung der Debatte. Vermieter sollten sich schämen, wenn sie künftig dieses Siegel nicht hätten.

Aber wahrscheinlich hat an der Stelle Sven Morlok recht, dass gerade die kleineren Vermieter da eher keine Rolle spielen. Aber für „die großen Vermieter sollte es peinlich sein“, bestärkte Peter das Ansinnen bei einer weiteren Wortmeldung noch einmal.

Denn natürlich sind sie – so wie die LWB und die Wohnungsgenossenschaften – am ehesten in der Lage, Wohnungen für Menschen bereitzustellen, die sonst auf dem Leipziger Wohnungsmarkt große Marktzugangsschwierigkeiten haben. Mit dem Siegel, würden sie auch öffentlich zeigen, dass sie sich besonders engagieren. Was sie ja in der Regel schon tun.

Aber zu erinnern ist auch daran, dass die Gentrifizierung in Leipzig ja trotzdem weitergeht. Und zwar schon deshalb, weil Personen mit „Marktzugangsschwierigkeiten“ gerade in innerstädtischen Quartieren kaum noch bezahlbare Wohnungen finden. Hier wirkt nun einmal die Attraktivität der Lage auch auf die Miete.

Und das wird selbst bei einer Analyse im letzten Quartalsbericht sichtbar. Wer nicht mithalten kann bei höheren Mieten, muss sowieso schon ausweichen. Was dann logischerweise den Druck auf die preiswerteren Wohnungen erhöht.

Und auch wenn man in der Diskussion am 13. April manchmal das Gefühl haben konnte, hier würden Vermieter zu Unrecht an den Pranger gestellt (obwohl das in der Vorlage gar nicht der Fall ist), zeigte sich in der Abstimmung, dass die Stadtratsmehrheit sehr wohl verstanden hat, dass Leipzig die Augen vor den Problemen derer, die in Leipzig immer mehr Schwierigkeiten vorfinden, eine bezahlbare Wohnung zu bekommen, nicht mehr verschließen kann.

Es braucht mehr Zahlen. Und da der Antrag mit 32:17 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine klare Mehrheit fand, könnte es auch künftig ein Siegel geben, das jene Vermieter bekommen, die eine „diskriminierungsfreie Vermietung“ von Wohnungen gewährleisten können, weil sie für das Thema sensibilisiert sind.

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