Die von der Stadt installierte wissenschaftliche Beratungskommission zu Straßenbenennungen hat jetzt zwar drei Gutachten vorgelegt zur Benennung der Arndststraße, der Jahnallee und der Pinkertstraße. Aber gerade das Gutachten zu Ernst Moritz Arndt lässt an Wattigkeit nichts zu wünschen übrig. Eine wirkliche Entscheidungsgrundlage für den Stadtrat ist es nicht. Und der Verweis auf den „traditionellen Antijudaismus“ bringt nicht nur Thomas Kumbernuß ins Grübeln.

„Im ‚Gutachten zur historischen Einordnung der Person Ernst Moritz Arndt im Kontext der Straßenbenennung‘ der ‚Wissenschaftlichen Beratungskommission zur Straßenbenennung‘ (Informationsvorlage – VII-Ifo-07109) heißt es auf Seite 3 ‚Arndt bleibt dabei im Rahmen des traditionellen Antijudaismus …’“, stellt der Stadtrat der PARTEI in seiner Anfrage zu dieser Aussage fest.

Ganz so, als würde eine traditionell und von der Kirche geschürte Judenfeindlichkeit entschuldbar sein, nur weil Arndt diese Ressentiments ansprechen konnte.

Aber der Passus im Gutachten enthält noch andere seltsame Formulierungen, mit denen die Autor/-innen versuchen, Arndts verbale (und gedruckte) Äußerungen zu entschuldigen.

„In seinen Äußerungen zur Stellung der Juden nach 1806 finden sich typische Formeln und Begriffe der damaligen Diskussionen über die jüdische Minderheit, deren gesellschaftlicher Standort sich verändert in der sich ebenfalls im fundamentalen politischen und sozialen Umbruch und im Krieg befindlichen Umwelt“, heißt es da.

„Arndt bleibt dabei im Rahmen des traditionellen Antijudaismus, nicht ohne Toleranzargumente (landesväterliche Fürsorge) zu integrieren. Arndt reagierte wie viele andere im frühen 19. Jahrhundert auf die Spannung zwischen der erhofften nationalen Gleichheit und Einheit einerseits und der religiösen und kulturellen Verschiedenheit andererseits mit der politischen Forderung nach Begrenzung von Zuwanderung von Juden und der Hoffnung auf den religiösen Übertritt, der aber nicht als Zwang gefordert wurde. Ein Vorläufer oder gar Vordenker des späteren biologistisch argumentierenden Rasseantisemitismus war er nicht.“

Der letzte Satz ist übrigens falsch.

Schon der „traditionelle Antijudaismus“ ist wesentliche Grundlage des modernen Antisemitismus. Um einfach nur aus dem zugehörigen Wikipedia-Artikel zu zitieren:

„Der Antijudaismus der Alten Kirche untermauerte großenteils überkommene judenfeindliche Stereotype, wie in Ägypten verbreitet waren, mit einer Ideologie, die aus der Bibel hergeleitet, in gesamtkirchliche Lehren integriert, offiziell geschürt, europaweit verbreitet und so zu einem kulturellen Dauerzustand in der Geschichte Europas wurde. Er gilt deshalb als historische Voraussetzung des neuzeitlichen Antisemitismus. Das Verhältnis beider Formen zueinander und damit die Definition von Antisemitismus werden in der Antisemitismusforschung diskutiert.“

Es waren genau diese über Jahrhunderte von der Kirche geprägten judenfeindlichen Vorstellungen, auf die der moderne Antisemitismus mit seiner Blut- und Rasselehre aufsetzen konnte. Die Vorstellungen waren zu Arndts Zeit weit verbreitet und einer der „wohl öffentlichkeitswirksamste Publizisten der frühen Nationalbewegung“, wie ihn das Gutachten nennt, wusste ganz genau, dass er auf diese kirchlich geschürten Vorurteile, die über Jahrhunderte für Judenverfolgungen, Pogromen und Vertreibungen instrumentalisiert wurden, zugreifen konnte.

Und dass die Schriften von Ernst-Moritz-Arndt nicht zu den Vorläufern des modernen Antisemitismus gehören, stimmt ebenso wenig. In „Noch ein Wort über die Franzosen und über uns“ (veröffentlicht 1814 in Leipzig) schrieb er zum Beispiel:

„Ein Artikel, der mehr der Ueppigkeit dient, als der Viehzucht schadet, wird jährlich in Teutschland eingeführt, nemlich Franzosen und Juden. Doch der teutschen Menschenzucht ist er äußerst schädlich, sowohl in Hinsicht der Vergiftung der ächten teutschen Sitten, als der Verschlechterung des edlen teutschen Stammes.“

Da fehlt kein Schritt mehr zum Antisemitismus. Da steckt er nämlich schon in voller Boshaftigkeit drin.

Im Grunde zeigt das Gutachten, dass es historische Ignoranz ist, wenn man einen Mann wie Arndt einfach nur „aus seiner Zeit heraus“ verstehen will. Und das dann augenscheinlich auch noch mit dem Verweis auf den scheinbar harmloseren Antijudaismus, der in seiner Geschichte niemals harmlos war.

Logisch, dass Kumbernuß da ein paar Fragen hat, die er von Leipzigs Verwaltung beantwortet haben möchte.

Diese sind es:
1. Wird seitens der Stadt Leipzig traditioneller Antijudaismus als gut oder als schlecht beurteilt?
2. Wenn traditioneller Antijudaismus als gut bewertet wird: Was unternimmt die Stadt Leipzig, um ihn aufzuwerten?
3. Wenn traditioneller Antijudaismus als schlecht bewertet wird: Was unternimmt die Stadt Leipzig, um ihm entgegenzuwirken?
4. Gibt es Formate seitens der Stadt Leipzig, die über Chancen (bei guter Bewertung) bzw. Gefahren (bei schlechter Bewertung) aufklären? Wenn ja: Welche Formate sind das? Wenn nein: Warum geschieht das nicht?
5. Wer sind bedeutende Vertreter/-innen eines traditionellen Antijudaismus?
6. Sollte traditioneller Antijudaismus als positiv gewertet werden: Wird das Wirken der entsprechenden Vertreter/-innen diesbezüglich gebührend gewürdigt?
7. Sollte traditioneller Antijudaismus als negativ gewertet werden: Wird das Wirken der entsprechenden Vertreter/-innen diesbezüglich kritisch hinterfragt oder eher ignoriert?
8. Sollte das entsprechende Wirken der Protagonist:innen des traditionellen Antijudaismus kritisch hinterfragt werden: Wie und in welchen Formaten geschieht dies?
9. Sollte das entsprechende Wirken ignoriert werden: Warum unternimmt die Stadt Leipzig nichts? Sieht sie traditionellen Antijudaismus als harmlos oder zu vernachlässigend an?

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