Am 13. Oktober entschuldigte sich der umweltpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, Jürgen Kasek, regelrecht dafür, dass er sich schon wieder für die Leipziger Bäume zu Wort meldete. Doch die Antworten, die die Grünen-Fraktion zu ihrer Anfrage zu Baumfällungen in der Brutsaison bekommen hatte, befriedigten ihn überhaupt nicht.

Und das, was Kasek auf sein Nachfragen in der Ratsversammlung von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal und Baubürgermeister Thomas Dienberg erfuhr, sichtlich auch nicht.

Denn weder konnte ihm belastbar Auskunft gegeben werden, ob das Personal im Amt für Umweltschutz tatsächlich ausreicht, um alle Anträge auch vor Ort zu prüfen, noch wurde seine Zweifel ausgeräumt, dass die Stadt ihre Möglichkeiten nutzt, Baumfällungen in der Vegetationsperiode zu unterbinden, in der normalerweise ein striktes Fällverbot gilt.

Und es gibt erstaunlich viele solche Anträge, wie das Amt für Umweltschutz auf die Anfrage der Grünen hin angegeben hatte: „Seit März 2021 wurden bei der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig (uNB) 562 Anträge auf Durchführung von Fäll- bzw. Schnittmaßnahmen während der Brutsaison eingereicht (Stand 30.09.2022)“, teilte das Umweltschutzamt mit.

„163 Anträgen wurde stattgegeben. Die naturschutzrechtlichen Befreiungen waren gemäß § 67 Abs. 1 BNatSchG zu erteilen, weil seitens der Antragsteller entweder ein überwiegendes öffentliches Interesse (Freistellung von Rettungswegen; Herstellung des Lichtraumprofils; Havarien an Wasserleitungen) oder Unzumutbarkeit (drohender Verlust von Fördermitteln; durch den Antragsteller nicht verschuldete überlange Baugenehmigungsverfahrensdauer; nicht von § 39 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 c) BNatSchG erfasste Verkehrssicherungsmaßnahmen glaubhaft gemacht werden konnte.“

Nur Kontrolle der eingereichten Unterlagen?

Wobei auf geschützte Gehölze und Arten trotzdem Rücksicht genommen werden müsse, so das Amt für Umweltschutz:

„Die Befreiungserteilung erfolgte bei Vorliegen von Anhaltspunkten auf eine mögliche Betroffenheit geschützter Arten stets unter der Bedingung, dass die Gehölze durch eine fachkundige Person vor und während des Eingriffs auf artenschutzrelevante Merkmale wie Nist- oder Ruhestätten von besonders geschützten Tierarten (z. B. Fledermausarten, Vogelarten, Eremiten, Rosenkäferarten) geprüft werden und dass der Eingriff bei einem entsprechenden Fund sofort zu unterbrechen, die Naturschutzbehörde zu informieren und deren Entscheidung zum weiteren Verfahren abzuwarten ist.“

Was aber für Kasek wieder die Frage nach dem benötigten Kontrollpersonal mit sich brachte. Und ganz offensichtlich versuchten beide antwortenden Bürgermeister, hier auszuweichen. Rosenthal wurde gleich mal „formaljuristisch“, was eben auch begründet, dass die meisten Anträge nur am Schreibtisch fachlich geprüft und entschieden werden. Auf Kaseks konkrete Frage nach benötigtem Personal sagte er: „Man kann tiefer eingehen, muss aber nicht.“

Was im Klartext heißt: Die meisten Entscheidungen sind auch deshalb Schreibtischentscheidungen, weil es an Personal für zusätzliche Prüfungen vor Ort fehlt. Dazu braucht man dann wieder Fachleute, die einschätzen können, wie wertvoll der Baum- und Gehölzbestand ist und ob wichtige Tierarten bedroht sind.

Baurecht vor Umweltrecht

Man merkte an Kaseks Ratlosigkeit schon, dass der Konflikt für ihn nicht aufgelöst ist zwischen einer Baugesetzgebung, die das Recht des Bauherren höher wertet als den Schutz von auf den Grundstücken befindlichen Biotopen.

Es ist nun einmal ein Baurecht aus dem 20. Jahrhundert, als das Retten der schwindenden Naturbestände in der Großstadt noch kein Thema war. Und der Gesetzgeber hat daran auch nichts geändert. Sodass – wie Bürgermeister Dienberg betonte – der Handlungsspielraum der Stadt sehr begrenzt ist.

Sind die Grünbestände auf dem Baugrundstück erst gar nicht geschützt, kann die Stadt erst recht nichts machen. Außer mit den Bauherren reden, sie beraten und um Verständnis werben.

Und bei den meisten Anträgen gab es auch keinen Einspruch, wie man der Antwort auf die Grünen-Anfrage entnehmen kann: „Der überwiegende Teil der eingereichten Anträge war wegen eines gemäß § 39 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 c) BNatSchG plausibel gemachten akuten Verkehrssicherungserfordernisses als bloße Anzeige zu werten. Insoweit fehlte es an einer rechtlichen Grundlage für eine Ablehnung oder Bewilligung.“

Und das eben auch in der Brutsaison.

Womit die Mahnung der Grünen aus ihrer Anfrage weiter im Raum steht:

„Immer wieder werden während der Brutsaison vom 1. März bis 30. September Gehölze von der Stadt Leipzig zur Fällung freigegeben. Was eigentlich eine Ausnahme sein sollte, scheint immer mehr zum Regelfall zu werden. Nach § 39 Bundesnaturschutzgesetz dürfen Gehölze nicht in der Brutsaison beseitigt werden.

§ 67 Bundesnaturschutzgesetz schafft dafür zwar eine Befreiung bei überwiegendem öffentlichen Interesse. Dies ist aber als Ausnahmetatbestand konstruiert, sodass zwingende Gründe vorliegen müssen. Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht hat, dass dies nicht zur Umkehrung führen darf.

Die Gehölzfällungen im Sommer haben nicht nur negative Auswirkungen auf die Tierarten wie Brutvögel, denen der Lebensraum genommen wird, sondern verschlimmern auch das Problem der Bodentrockenheit, führen zu einer verstärkten Erosion und verstärken die Überhitzung der Stadt.“

Zeit zum Umdenken, könnte man meinen.

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Es ist peinlich: Klimanotstand ausrufen und mit PR Aktionen untersetzen. Doch da wo die zuständigen Ämter was unternehmen könnten, d.h. intensivere und genauere Prüfung der Anträge, da läuft nix.
Erstmal abholzen und Baufeld frei machen auch wenn dann lange, lange erstmal nichts passiert wie z.B. auf dem östlichen Grundstück Floßplatz/Wundtstraße.
Welchen Anspruch haben diese Ämter bzw. die dort arbeitenden Kollegen/Kolleginnen denn an sich selbst? Und welche klare Meinung hat der OBM? Sachzwänge?

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