Nicht nur die Städte Schkeuditz und Leipzig haben das aktuelle Planverfahren zum Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle abgelehnt und verlangen dringende Überarbeitungen. Auch Dr. Wolf Carius findet die Vorlagen völlig indiskutabel. Denn der Flughafen hat auch diesmal die nötigen Bewertungsgrundlagen für die Lärmbelastung schlicht ignoriert.

Prof. Wolfgang Carius ist nicht irgendwer, sondern vertritt die Bundesvereinigung gegen Fluglärm in der Fluglärmkommission des Flughafens Leipzig/Halle. Damit auch die Leipziger Fluglärminitiativen. Und live im „Kaffeekränzchen“ bekommt er mit, wie Flughafengesellschaft und Verkehrsministerium mauern und tricksen, wenn es um die tatsächliche Lärmbelastung der Anwohner rund um den Flughafen geht.

Was auch wieder Thema in der 57. Sitzung der Fluglärmkommission am 10. Oktober wurde, in der – na so eine Überraschung – festgestellt wurde, dass ausgerechnet die Lärmmessstelle in Lützschena viel höhere Lärmwerte ausweist, als sie nach den Lärmberechnungen des Flughafens hätten auftreten dürfen.

In der Pressenotiz dazu hieß es: „Bei der Auswertung mobiler Fluglärmmessungen im Bereich Lützschena wurde für diesen Messstandort eine lärmphysikalische Besonderheit festgestellt. Entgegen den Ergebnissen durchgeführter Lärmberechnungen ergaben die Messungen teilweise höhere Lärmbelastungen. Durch weitere Untersuchungen, welche durch das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie begleitet werden, soll der Wirkbereich dieser lärmphysikalischen Besonderheit abgegrenzt werden. Die FLK wird über die Ergebnisse weiter informiert.“

Das ist der sächsische Umgang mit überhöhten Lärmwerten. Da stellt man lieber die Messungen infrage, als die Ursachen der Lärmspitzen zu untersuchen. Denn dann würde man ja schnell feststellen, dass die veröffentlichten Messungen zur Lärmbelastung mit der Realität im Flughafenumfeld nicht viel zu tun haben.

Und erstaunlicherweise stimmte auch das sächsische Umweltministerium in diesen Ton ein, als es auf eine Anfrage am 29. Dezember Auskunft gab: „Leider sind die Daten der Messstelle bisher nicht für eine weitere Beurteilung verfügbar, da die Auswertung aufgrund von Kurzarbeit noch nicht abgeschlossen werden konnte.“

Was so nicht ganz zutrifft, denn die Kurzarbeit ist eben nicht die Ursache dafür, dass die Messwerte nicht zur Verfügung stehen. Genau das war nämlich Grund für den Antrag von Carius, das Planfeststellungsverfahren zur Flughafenerweiterung sofort auszusetzen: die seit Jahren gepflegte Weigerung des Flughafens Leipzig/Halle, gemäß Fluglärmgesetz Ergebnisse der Lärmmessungen zu veröffentlichen.

Aus einem ähnlichen Grund hatte bereits die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ am 2. Januar 2021 einen bisher unbeantworteten Antrag auf Aussetzung des PFV gestellt. Hier ging es konkret um die in der Fluglärmkommission angesprochenen Fluglärmmessungen in Lützschena von 2019 und 2020, die für eine qualifizierte Stellungnahmen zum Planfeststellungsbeschluss nun einmal benötigt werden.

Clarius hat seinen Antrag am 12. Januar gestellt.

„Ich beantrage die sofortige Unterbrechung des Planfeststellungsverfahrens zur Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle, bis die Flughafengesellschaft ihren gesetzlichen Auflagen aus §19a LuftVG nachkommt und auch die Ergebnisse der Lärmmessungen (mindestens seit 2018) veröffentlicht“, schreibt er darin und fordert damit im Grunde das Gleiche wie die Stadt Leipzig in ihrer Stellungnahme zum Planfeststellungsbeschluss. Wer die wichtigsten Messwerte zur konkreten Fluglärmbelastung zurückhält, kann nicht wirklich erwarten, dass die Lärmbetroffenen dem Vorhaben einfach blindlings zustimmen.

Carius in seiner Begründung: „Bisher werden von der Flughafengesellschaft nur die Ergebnisse der Auswertung der Lärmmessungen veröffentlicht. In §19a sind aber beide Ergebnisse benannt und dem Flughafen zur Veröffentlichung beauflagt. Die Auflage ,und regelmäßig zu veröffentlichen‘ kam erst mit der Novelle zum Fluglärmgesetz 2007 hinzu in den §19a LuftVG. In der damaligen BT-Drucksache wurde diese Ergänzung begründet mit der Forderung nach Transparenz.“

Der Flughafen veröffentlicht aber nur die Auswertungsergebnisse, nicht die gesamten Messergebnisse. Man erfährt nichts über die Flugintensitäten im Verlauf eines Tages und der Nacht, nichts über das Auftreten der „besonderen Geräuschereignisse“, die Einsatzzeiten der besonders lauten Flugzeuge oder gar die Häufigkeiten von Grenzwertüberschreitungen. Die Zahlen erscheinen sauber geglättet, sodass sie auf den ersten Blick aussehen, als läge der Geräuschpegel im gesetzlichen Maximalbereich und nicht immer wieder darüber.

Carius: „Gerade im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens ist es geboten, die bisherigen Ergebnisse der Lärmmessungen einer gezielten Analyse zu unterziehen, z.B. die lauteste Stunde der Nacht zu ermitteln mit ihrem Mittelungspegel, oder welchen Anteil die Luftfahrzeuge mit dem schlechtesten Lärmzertifikat an der Aufwachwahrscheinlichkeit einer Nacht haben. Die Verfügbarkeit des Flugspur & Fluglärmwerkzeugs TRAVIS stellt keine Alternative zur Veröffentlichung der Dateien mit den Ergebnissen der Fluglärmmessungen dar.“

Solche sauber redigierten Zahlen sind schlicht keine Grundlage für eine Planung des eh schon lauten Nachtflugbetriebes. Denn sie bedingen dann auch völlig unzureichende Schallschutzmaßnahmen. 2003/2004 ist der Freistaat mit diesem diffusen Verfahren durchgekommen. Diesmal können sich die Beteiligten wenigstens auf geänderte Rahmengesetze berufen, die ihnen das Recht geben, die realen Zahlen zur aktuellen und zur geplanten Lärmbelastung zu erfahren.

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