Mit einem Chiu-witt vom Himmel begrüßt ein vom Aussterben bedrohter Vertreter der sächsischen Vogelwelt an diesem 19. April 2021 die Rundgangsteilnehmer um den sächsischen Umweltminister Wolfram Günther. Noch bevor die Augen gen Himmel blicken und die markant schwarz-weißen Vögel erfassen, erkennt Ralf Donat die Art an ihrem typischen Ruf – Kiebitze.

Damit war klar, hier am Südufer des Störmthaler Sees gibt es gefährdete Vogelarten. Der Experte für Braunkohlefolgelandschaften von der Sielmann Stiftung war auf Einladung des UferLeben Störmthaler See e. V. extra aus der Lausitz angereist, um sich gemeinsam mit anderen Teilnehmern ein Bild von einer Konfliktsituation vor Ort zu machen.

Naturinitiativen sehen Biotope durch touristische Erschließungsmaßnahmen bedroht

Planungen mit intensiven Erschließungsmaßnahmen und die touristische Nutzung bedrohen wertvolle Biotope der Tagebaufolgelandschaft. So sieht es zumindest eine Bürgerinitiative und der lokal ansässige Verein UferLeben e. V. am Südufer des Störmthaler Sees. Die Naturinitiativen setzen sich seit nunmehr 5 Jahren für eine naturnahe touristische Entwicklung am See ein.

Daraus entstand ein Konflikt mit der Gemeindeverwaltung Großpösna, welcher sich zuletzt mit der Petition „Andere Wege am Störmthaler See gehen – kein Wegebau für KFZ!“ zuspitzte. Zusätzlich gibt es deutliche Kritik an verschiedenen Bürgerbeteiligungsprozessen und dem kürzlich übereilten Aufstellungsbeschluss zum B-Planverfahren „Östlich Grunaer Bucht“.

Umweltminister Wolfram Günther vermittelt im Konflikt zwischen Naturschützern und Verwaltung

Da traf es sich gut, dass der sächsische Umweltminister Wolfram Günther gerade in Großpösna weilte. Der Minister hatte der Gemeinde Großpösna und dem Landkreis Nordsachsen den European Energy Award 2020 überreicht. Großpösna ist eine von knapp 30 Gemeinden in Sachsen, die an einem europäischen Zertifizierungs- und Qualitätsmanagementsystem teilnehmen, das Kommunen dabei unterstützt, ihre Klimaschutzarbeit ganzheitlich zu organisieren.

In dieses Bild einer klimafreundlichen Gemeinde passt so gar nicht der Umgang mit sensiblen Naturarealen sowie mit den Bevölkerungsteilen, die sich für Biotop- und Artenschutz einsetzen und Natur erlebbar machen wollen. Fragt man die Besucher des Störmthaler Sees, ist es für viele genau dieses unverbaute Naturerlebnis, das wertgeschätzt wird und zur individuellen Erholung beiträgt.

Der Rundgang, an dem neben Staatsminister Wolfram Günther auch der Landrat des Landkreises Leipzig Henry Graichen und Großpösnas Bürgermeisterin Dr. Gabriela Lantzsch teilnahmen, führte über ein 30 Hektar umfassendes und in Planung befindliches Campingplatzareal bis zum Seeufer. Hier erläuterte die Bürgermeisterin die Planungen zu einem überörtlichen Strandbad und einem universitären Wassersportzentrum sowie deren verkehrstechnischen Zuwegungen.

In unmittelbarer Nähe des Naturschutzgebietes Bockwitzer See plant die Stadtverwaltung Borna ein Surfpark mit jährlich über 200.000 Besuchern. Foto: Ökostation Borna-Birkenhain
In unmittelbarer Nähe des Naturschutzgebietes Bockwitzer See plant die Stadtverwaltung Borna einen Surfpark mit jährlich über 200.000 Besuchern. Foto: Ökostation Borna-Birkenhain

Die umfangreichen Vorhaben sollen in einem bisher unerschlossenen Uferbereich umgesetzt werden. Hier befinden sich der längste zusammenhängende Schilfzug des Sees und ausgedehnte Magerrasenareale mit nachweislich mehreren geschützten Tier- und Pflanzenarten. So haben sich neuerlich auch Blaukehlchen angesiedelt, eine extrem seltene Vogelart mit hohem Schutzstatus gemäß der Roten Liste Sachsens.

Die Wertigkeit für Artenschutz und Biodiversität auf der einen Seite sowie die Wertschätzung der Bevölkerung für Naturerleben, Erholung und Gesunderhaltung auf der anderen Seite waren für alle Teilnehmenden des Rundgangs ersichtlich. Bürgermeisterin Frau Dr. Lantzsch und das zuständige Planungsbüro haben in Anbetracht des bestehenden Konfliktes bereits Stellschrauben identifiziert, um die umstrittenen Aspekte im Projektbeirat detaillierter diskutieren zu können.

Umweltminister Wolfram Günther verwies in diesem Zusammenhang auf das Vermeidungs- und Minimierungsgebot, das im Bundesnaturschutzgesetz und Baugesetzbuch verankert ist. Diese Eingriffsregelungen sollen negative Folgen von Eingriffen in Natur und Landschaft vermeiden und minimieren. Die Grundidee ist ein generelles Verschlechterungsverbot für Natur und Landschaft.

Die ökologische Qualität einer Fläche kommt der touristischen Nutzung zugute
„Man muss das Ganze als Prozess betrachten, um die großen Potenziale für eine naturnahe Entwicklung zu heben. Die Entwicklung von Lebensräumen und die Entwicklung von Naherholungsgebieten gehen nicht nur zusammen, sondern bedingen sich. Die ökologische Qualität einer Fläche kommt der touristischen Nutzung zugute“, so Günther. Der Minister hob dabei auch die besondere Verantwortung der einzelnen Gremien in diesem Prozess hervor. Er rief Projektbeirat, Planungsbüro, Verwaltung und Gemeinderat zu einer ökologisch orientierten Zusammenarbeit auf.

„Wir können nur schützen, was wir auch kennen“ (Heinz Sielmann)

Die Attraktivität der Natur einer Tagebaulandschaft erschließt sich vielleicht nicht jedem auf den ersten Blick. Sie beinhaltet jedoch besonders vielseitige und dynamische Aspekte, die es zu entdecken lohnt. Ralf Donat von der Sielmann-Stiftung berichtet von diesem Entdeckungspotential und von erfolgreichen Beispielen aus der Lausitz. Besondere Orte wie hier am Störmthaler See bieten eine Chance zum generationsübergreifenden Naturerleben sowie für Natur- und Umweltbildung.

Dies funktioniert erfahrungsgemäß dort am besten, wo ansässige Menschen sich aktiv für den Naturerhalt und die authentische Verknüpfung zum Umland einsetzen. „Diese stadtnahen Naturoasen gilt es zu bewahren und achtsam zu entwickeln, für naturentrückte Städter und ländliche Anwohner gleichermaßen“, resümiert Matthias Vialon, Gemeinderat in Großpösna und Bündnis90 / Die Grünen Kandidat für die Bundestagswahl 2021.

Ähnliche Konflikte um einen Surfpark am Naturschutzgebiet Bockwitzer See

Anschließend ging es für den Umweltminister, den Landrat und die UferLeben-Akteure zu einer weiteren Begehung in das Naturschutzgebiet Bockwitzer See. Am Rande des Natura 2000-Gebietes gibt es wiederum umstrittene Pläne für die Realisierung eines Surfparks mit bis zu 230.000 jährlichen Besuchern. Auf dem geplanten Baufeld, einer idyllischen Wiese, grasen aktuell schottische Hochlandrinder, um die Landschaft offenzuhalten. Hier traf man sich mit Bornas Oberbürgermeisterin Simone Luedtke und dem Leiter der Ökostation Borna-Birkenhain Martin Graichen.

Der Stadtrat Borna hatte im Februar 2020 die Änderung des Bebauungsplanes für das Gebiet zugunsten des Surfparks beschlossen. Der perspektivische Konflikt zwischen touristischem Nutzungsdruck und Naturschutz ist in seiner anzunehmenden Ausprägung einmalig im Leipziger Neuseenland. Das Projekt stößt daher auf massiven Gegenwind von verschiedenen lokalen Akteuren. Auch der NABU Sachsen, Bündnis90/Die Grünen und UferLeben e. V. sehen ein Funsportprojekt dieser Dimension in einem ökologisch so wichtigen und gleichzeitig sensiblen Areal fehlplatziert.

Wolfram Günther schlug vor, das Vorhaben aufgrund der zu erwartenden überregionalen Besucherströme an einen Standort mit Bahnanbindung zu legen. Bei den prognostizierten Besucherzahlen müsse man in der Surfsaison Mai bis Oktober mit weit über 1.000 Besuchern täglich rechnen.

In Kürze plant die Stadtverwaltung Borna, das Baden für ausgewiesene Bereiche am Bockwitzer See außerhalb der Naturschutzzonen freizugeben. Dies sei unbedingt notwendig, betonte die Oberbürgermeisterin, da Borna keinen eigenen Badesee hat. Wenn man sich nun vorstellt, dass sich Bornaer Badegäste die Badestelle mit den vielen Besuchern des Surfparks teilen müssen, kommen Zweifel an der Freude über das geteilte und beengte Badevergnügen auf. Dass derartige Besuchermassen auch einen Einfluss auf das Natura 2000-Schutzgebiet haben werden, erschließt sich jedem Naturfreund und nicht nur Martin Graichen, Leiter der Ökostation, blickt mit Sorge in eine derartige Zukunft.

Aktuell sind die Surfparkentwickler noch auf der Suche nach Investoren. Hierfür hat der Stadtrat Zeit bis zum Juni 2021 eingeräumt. Über eine Verlängerung der Frist wird dann neu entschieden. Dieser Zustand lässt alternativen und deutlich nachhaltigeren Projektideen für den Standort aktuell keinen Raum.

Lokale Akteure mit authentischen und nachhaltigeren Ideen bleiben chancenlos

Lokal ansässige Akteure unterbreiten den Vorschlag, auf dem Gelände ein ‚Gut Bockwitz‘ zu etablieren. Möglich wäre dabei die Neuaufforstung einer Streuobstwiese als Grundlage für ein Ausflugsziel mit regionaler Gastronomie und einen Campingplatz. Überbaut würden nur 0,5 ha des 10 ha umfassenden Areales. Die Konzeption für das Vorhaben steht, eine Machbarkeitsstudie wurde erarbeitet und kürzlich ein Förderantrag eingereicht. Jedoch finden diese Pläne aufgrund der Surfparkeuphorie keine Beachtung.

Damit ähnelt die Situation am Bockwitzer See der am Störmthaler See. An beiden Seen haben lokale Akteure authentische und naturverträgliche Konzepte vorgelegt, die mit invasiven Leuchtturmprojekten konkurrieren bzw. chancenlos bleiben.

„Warum machen wir immer weiter Dinge, von denen wir wissen, dass sie uns, vielleicht unwiderruflich, schaden werden? Was ist mit uns los?“ (Doris Lessing)

Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten in der Lokalpolitik mehr Beachtung finden
Gerade in diesem Monat ist wieder eine wissenschaftliche Arbeit erschienen, an der auch Leipziger Forscher des Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Max-Planck-Institutes (MPI) für evolutionäre Anthropologie beteiligt waren. In „Where Might We Find Ecologically Intact Communities?“ machen die Verfasser darauf aufmerksam, dass nur noch 3 % der globalen Landfläche unberührte intakte Natur sind. Sie zeigen aber auch, dass durch gezielte Renaturierung Flächen mit voller ökologischer Integrität wiederherstellbar und vermehrbar sind.

Schaut man nach Sachsen, sind gerade mal 3 % der Landesfläche Naturschutzgebiete und Sachsen liegt damit sogar 50 % unter dem Bundesdurchschnitt. Die EU-Biodiversitätsstrategie hat sich zum Ziel gesetzt, 30 % der Landmasse bis 2030 zu Schutzgebieten zu erklären. Wie will Sachsen dieses Ziel mit einer weiteren Verbauung der letzten unberührten Natur erreichen?

Es scheint wenig zielführend, weltweit anerkannte Institute wie MPI, iDiv, Helmholtz und andere anzusiedeln und zu fördern und auf der anderen Seite deren Erkenntnisse und Warnungen nicht ernst zu nehmen bzw. keine Schlüsse daraus zu ziehen.

Der Wunsch nach WENIGER menschlicher Invasivität in den Naturraum und MEHR Entfaltungsmöglichkeiten sowie Erlebbarkeit der Natur im Leipziger Neuseenland ist durch verschiedene Umfragen, Beteiligungsverfahren und Bürgerinitiativen unterlegt. Diesen Wunsch, gilt es auch von den politischen Entscheidungsträgern zu respektieren und zu fördern. Halten wir es doch im Leipziger Neuseenland wie Heinz Sielmann: „Naturschutz als positive Lebensphilosophie“.

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“Die ökologische Qualität einer Fläche kommt der touristischen Nutzung zugute“ sagt der Grüne Minister. Die am Störmthaler See durch einen Höhensprung in den See und ein unkontrolliertes Abfließen der Gösel entstandene Erosionsrinne ist in Bezug auf die Seltenheit seiner Habitatbedingungen für wertgebende Arten (wie Bienenfresser, Uferschwalben, Eisvogel Rohbodenbesiedler) fast einmalig im Landkreis Leipzig. Das sollte unser Minister, der ja über das entsprechende Fachwissen verfügt, erkannt haben. Die touristischen letztendlich wirtschaftlichen Absichten greifen hier sowohl direkt (bauliche Veränderungen, als auch indirekt (touristisches Begehen) in die Flächen ein. Herr Günther hat früher als RA solche Konflikte als Rechtsbeistand ausgefochten. Jetzt ist als Minister ein Kompromiss gefragt. Vielleicht kann man die wertvollsten Bereiche, die ihre Wertigkeit als Offenland besitzen, wolfssicher dauerhaft einzäunen und extensiv (Schafe, Ziegen) beweiden lassen, eine touristische Nutzung als Schaufläche wäre denkbar, analog zum Porschenaturschutzgelände im Norden Leipzigs. Die Kosten könnten über die sowieso notwendige Kompensation der Eingriffe durch die Lagovidaerweiterung übernommen werden.

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