Irgendwann muss sich Politik einfach bewegen. Dann muss gehandelt werden. Dann genügt es nicht mehr, die Kritik der Opposition einfach nur kleinzureden, abzutun mit der Haltung, die wüssten eh nicht, worum es ginge. Eine ganze Menge Frust sprach am Freitag, 6. November, aus der Rede des grünen Fraktionsvorsitzenden in Sachsen, Volkmar Zschocke, zum Auftakt des Grünen-Parteitags in Großenhain.

Denn natürlich frustriert es auch nach dem ersten Jahr der Regierungskoalition von CDU und SPD in Sachsen, wenn die durchaus emsige Arbeit der Opposition immer noch so behandelt wird, als sei das alles nur lästig – egal, ob es die Mahnungen zum Kohlebergbau sind, zum Personalmangel bei der Polizei, zur klemmenden Bildungspolitik oder zu den Notwendigkeiten in der Flüchtlingspolitik.

Statt zu handeln und spätestens ab dem Frühjahr mit allen Kräften in die Schaffung von Erstaufnahmeeinrichtungen und eines funktionierenden Integrationsprogramms zu gehen, haben die entscheidenden Minister in Sachsen Zeit vertrödelt und die Medien genutzt, um den immer lauteren Fremdenfeinden in Dresden und Umgebung noch halb und halb zuzustimmen. Da war Zschocke wohl zu Recht frustriert, dass die berechtigten Mahnungen aus seiner Fraktion einfach kein Gehör fanden.

“Wenn Petra Zais dafür wirbt, dass die Staatsregierung sich rechtzeitig auf den Anstieg Asylsuchender vorbereitet, dass sie entschlossen gegen Rassismus vorgeht, dass sie ein Sicherheitskonzept vorlegt, um Flüchtende zu schützen, weil das Gefahrenpotential in Sachsen hoch ist, dann hören alle aufmerksam zu. Sie spüren, dass Zais genau weiß, wovon sie spricht. Trotzdem lehnt die Koalition all unsere Anträge ab, um ein halbes Jahr später selber genau dieses Sicherheitskonzept zu fordern. Allerdings erst, nachdem die Situation eskaliert ist, Menschen verletzt wurden”, sagte Zschocke. Und er hat wohl Recht. Denn genau dieses halbe Jahr fehlt jetzt. Die Probleme, die vorm Sommer hätten angepackt werden können, geraten nun mitten in den Winterbeginn. Und sie stoßen auf ein immer radikaleres Demonstrationspublikum, das sich gerade durch die Zunahme der Probleme bestätigt glaubt, dass etwas schieflaufe.

Aus politischer Halbheit und Untätigkeit erwächst aber erst die Angst.

Die immer öfter auch in öffentlichen Hass und in Gewalt umschlägt. Und der Boden dafür wurde in Sachsen schon seit Jahren bereitet, denn das Phänomen des sich radikalisierenden Rechtsextremismus (Stichworte: NSU, Skinheads Sächsische Schweiz, Netzwerk Blood & Honour usw.) haben die Verantwortlichen in sächsischen Ministerien und Behörden über Jahre verharmlost und stets nur mit Unwillen darauf reagiert. Motto – frei nach Kurt Biedenkopf – “Unsere Sachsen haben kein Problem mit dem Rechtsextremismus.” In einigen Regionen haben sie das unübersehbar eben doch.

Volkmar Zschocke: “Wir erleben gerade die schlimmste Welle rassistischer Gewalt seit den Neunzigern. Sachsen steht dabei im Zentrum. Alle reden von der Flüchtlingskrise, wir haben aber zuallererst eine rechtsextreme Gewalt-Krise! – Dass jahrelange Verharmlosung und Untätigkeit zur Gefahr werden, zeigen die häufigen polizeilichen Notstände. Da muss der junge Abgeordnete Lippmann von den Grünen dem CDU-Innenminister erklären, den Abbau von Polizeistellen umgehend zu beenden, um das staatliche Gewaltmonopol zu sichern. Doch der rudert monatelang hilflos herum, um dann – viel zu spät – selbst einen Stellenabbaustopp zu fordern. Ohne allerdings zu erklären, wie er das umsetzen will. – In puncto innere Sicherheit haben wir funktionierende Polizeiarbeit, Rechtsstaatlichkeit, Freiheits- und Bürgerrechte klar im Blick. Die Koalition hingegen taumelt zwischen verantwortungslosen Entscheidungen und halbherzigen Korrekturen hin und her.”

Nur der sächsische Innenminister hatte augenscheinlich überhaupt nicht mehr im Blick, dass man eine Demokratie gegen Extremisten und Gewalttäter schützen muss und dafür genug Polizisten braucht. Übrigens nicht nur zur Sicherung von eskalierenden Demonstrationen. Viel mehr fehlen sie noch in der Aufklärung, denn um solche gewalttätigen Netzwerke auszuermitteln, braucht man auch genug Kriminalpolizisten und – auch das ein echtes Ulbig-Problem – genug IT-Spezialisten, die auch soziale Netzwerke auseinandernehmen können.

Wo bleibt die SPD?

“Und die Demokratie ist in Sachsen schon länger in der Krise. Die langjährig regierende Staatspartei ist nicht mal ansatzweise bereit zu fragen, welchen Anteil sie an dieser Krise hat”, ging Zschocke explizit auf die Selbsttäuschungen der sächsischen CDU ein. “Eva (Jähnigen, d.Red.) hat uns zwei Dinge ins Stammbuch geschrieben: Ein neuer demokratischer Aufbruch braucht mehr direkte Demokratie mit niedrigeren Hürden und ein selbstbewusstes Parlament mit starken Abgeordnetenrechten. Beides scheitert derzeit an der sächsischen CDU.”

Und wo bleibt die SPD? – Eine Frage, die auch Zschocke umtreibt: “Sozialverbände haben die sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag gelobt – jetzt kommt die Ernüchterung. Gut klingende Ansätze werden in den Mühlen der Bürokratie zermahlen, teilweise kommt neue Förderung vor Ort nicht an, viele angekündigte Projekte können nicht umgesetzt werden. Ich erschrecke über die gravierende Diskrepanz zwischen Ankündigung und Umsetzung. Das ist auch sozialdemokratische Handschrift.”

Oder sollte man einfach sagen: Die SPD ist leider (noch) nicht stark genug, um die CDU aus ihrer 25-jährigen Behäbigkeit zu erwecken?

Das wäre tragisch und ist es wohl auch. Denn während die Christdemokraten versuchen, sich möglichst gar nicht zu bewegen, damit nur ja nichts passiert, passiert an ihrem rechten Rand eine Menge. Die AfD hat vor allem von den erzkonservativen Hardlinern in der CDU profitiert. Und sie gewinnt auch immer mehr Wählerzustimmung, je öfter ausgerechnet Christdemokraten ihre Argumente wiederholen oder bestätigten.

Links-Rechts-Eindrücke in Sachsen

Das Ergebnis ist dann ein Eindruck, der selbst die Grünen verblüfft. Zschocke: “Einige versuchen uns einen Linksruck anzudichten. Und mal ehrlich – das sieht ja auch so aus: wenn die CDU immer mehr nach rechts rückt, wenn wechselseitige Zustimmungsbekundungen zwischen CDU und AfD im Plenum zunehmen, wenn die Meißner CDU es seit zwei Jahren nicht schafft, sich von Mitgliedern zu trennen, die rassistisch gegen Flüchtende hetzen, wenn die ersten CDU-Wahlkreisabgeordneten bei ‘Nein-zum-Heim-Initiativen’ mitlaufen, wenn selbst der sozialdemokratische Wirtschaftsminister in der Asyldebatte gern mal auf Abschottungsrhetorik umschaltet. Also, wenn sich das politische Feld nach rechts verschiebt und wir die einzigen sind, die von Anfang an klare Kante gegen AfD, Pegida und Co zeigen, sieht das natürlich so aus, als wären wir nach links gerückt. – Aber wir rücken nicht, wir stehen, wo wir immer standen. Für bürger- und menschenrechtsorientierte Politik mit klarem ökologischen Profil mit dem Fokus auf gerechte Verhältnisse in der Welt und für die nächsten Generationen.”

So weit Zschocke. Vielleicht schauen sächsische Christdemokraten deshalb zurzeit so ratlos drein, weil sie sich nicht trauen, konsequent die Sache der Demokratie und unserer Grundwerte aufs Tapet zu setzen und den Radikalen auf der Straße deutlich zu sagen: So nicht. Das braucht eine Ecke politischen Mutes, keine Frage. Und der kleine Unterschied zum stets zitierten Bayern ist: Der dortige Ministerpräsident poltert zwar ganz rechts am politischen Rand – aber auf Landesebene wird gearbeitet, so gut es unter hohem Druck geht.

Da muss sich was ändern. Und Zschocke hat nun mal Recht: Ein halbes Jahr wurde einfach verplempert. Das hat Sachsen gar nicht gut getan.

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