Eine Stunde der Verspätung mussten Journalisten, MDR- und Facebookzuschauer warten, bevor die Pressekonferenz des sächsischen Landeskabinetts in der Liveübertragung starten konnte. Eröffnet wurde sie dann von der Staatsministerin für Soziales, Petra Köpping (SPD), die heute einmal mehr die Aufgabe hatte, Dramatisches möglichst ruhig zu erklären. Man habe „viel besprochen“. Dabei ging es neben den SOS-funkenden Krankenhäusern Sachsens um Maßnahmen, wie man im Freistaat vor allem das Impftempo erhöhen will. Und die mutmaßliche „Überlastungssituation“ ab Freitag dieser Woche samt einem Teil-Lockdown für freiwillig Ungeimpfte.

Endlich Erster und das mit weitem Abstand. Traurig, aber wahr: Die 7-Tage-Inzidenz liegt heute in Sachsen bei 759,3, der „Zweitplatzierte“ Thüringen hat eine runde 500 zu bieten. „Sachsen ist mit weitem Abstand auf Platz 1 in Deutschland“ bei den Zahlen, die positive COVID-19-Tests pro 100.000 Menschen aufzeigen, so Sozialministerin Petra Köpping zum Einstieg in die Pressekonferenz und ließ eine Klarstellung folgen, die wohl nur noch in antiwissenschaftlichen Schwurbelkreisen negiert wird.„Das Infektionsgeschehen trifft auch weiterhin vor allem Ungeimpfte. Bei den Geimpften eine Inzidenz von 62, bei den Ungeimpften hingegen 1.718.“ Spätestens hier solle jeder sehen, dass es einen großen Unterschied zwischen den Menschen gibt, die sich haben impfen lassen und denen, die es nicht getan haben oder konnten (wie beispielsweise Kinder bis 12 Jahre).

Hinzu kamen die mittlerweile noch wichtigeren, steigenden Krankenhausbelegungszahlen. So seien, so Köpping, mittlerweile in Sachsen 1.424 normale Krankenhausbetten mit COVID-19-Patient/-innen belegt, bei den Intensivbetten sei die Zahl bei 343 angelangt. Damit ist am gestrigen 15. November 2021 der Grenzwert der Belastung bei den Normalbetten erreicht worden, aus der „Vorwarnstufe“ wurde erstmals die „Überlastungsstufe“.

Lässt die Entwicklung bis Donnerstag dieser Woche nicht nach, gelten demnach spätestens ab Montag, den 22. November 2021, eventuell auch schon ab Freitag in Teilen erneut noch schärfere Maßnahmen.

Und der Anstieg geht weiter. Vor einer Woche waren noch 1.149 „Normalbetten“ belegt und 269 Patient/-innen mit Covid19-Erkrankungen auf den ITS. Schlimmer als diese Steigerung sei der Ausblick, so die Ministerin für Soziales, wenn man auf die kommenden Wochen schaut. Die in Sachsen verantwortlichen Krankenhauskoordinator/-innen hätten Köpping mitgeteilt, dass „die Zahlen, die sie vor sich sehen, steil nach oben schießen.“

Sozialministerin Petra Köpping (SPD). Foto: Pawel Sosnowski

Die Dimension des anstehenden Problems für das Krankenhauspersonal wird wohl klar, wenn man der jetzigen deutlich schlimmeren Situation die Zustände der zweiten Coronawelle 2020 gegenüberstellt. Bereits da musste das Land Sachsen 50 Patient/-innen aufgrund Platzmangels in andere Bundesländer verlegen. Die jetzige Welle der Delta-Variante jedoch ist deutlich größer und hat – wenn man auf die Inzidenzwerte der Ungeimpften schaut – vor allem jene im Griff, die sich nicht haben impfen lassen (wollen) oder können.

Sie sind es nun, die etwa zehnmal öfter schwer an COVID-19 erkranken und nun auf eine Situation nach fast zwei Jahren Pandemie in den Krankenhäusern treffen, wo sich so manche Pflegekraft aufgrund der Dauerbelastungen aus dem Job verabschiedet hat, was die betriebsfähigen ITS-Bettenzahl für alle Notpatienten hat sinken lassen. Dass im Verlauf der Pandemie in Deutschland 90 Ärzte und medizinisches Personal selbst an COVID-19 verstorben sind, wird zudem gern übersehen.

Darunter Spezialisten und gut ausgebildete Menschen, die binnen so kurzer Zeit aufgrund der Ausbildungszeiten und dem generellen Personalmangel in Deutschland kaum zu ersetzen waren.

Gleichzeitig verwies Köpping darauf, dass dieses Mal auch die anderen Bundesländer, aktuell vor allem Bayern und der Osten der Republik, für Verlegungen ausfallen könnten, da auch da die Zahlen deutlich zu hoch seien und die Kapazitäten nicht unendlich. Im Zweifel und bei weiterem drastischem Verlauf der vierten Welle in Deutschland bleibt so in einer oder zwei Wochen unter Umständen keine Ausweichmöglichkeit mehr für ITS-Patient/-innen – egal mit welcher Erkrankung – in die umliegenden Bundesländer.

Die Impfquote steigt nur moderat und zu langsam

Zahlen, bei denen Sachsen ebenfalls vorn liegt, dreht man die Tabelle auf den Kopf, sind die Impfquoten. So gibt es in Sachsen nach wie vor laut Petra Köpping heute nur 59,6 Prozent Erstgeimpfte und 57,5 Prozent vollständig geimpfte Menschen. Rund 150.000 Menschen (3,6 Prozent bei 8,3 Prozent bei den über 60-Jährigen) haben die Boosterimpfung bereits erhalten können.

Nur 30 bis 35 Prozent, so Köpping, würden sich jedoch aktuell die Erst- und Zweitimpfung geben lassen – das Impftempo ist demnach in der Gruppe der bislang Ungeimpften in Sachsen trotz der stetig steigenden Zahlen unvermindert niedrig.

Kurz gesagt: der Anteil von 42,5 Prozent in Sachsen ohne eine Corona-Schutzimpfung schmilzt zu langsam und zu spät ab, um noch eine signifikante Wirkung in den kommenden vier Wochen zu entfalten. Die Erkrankungswelle rollt bereits, während der Impfzug durch Sachsen zuckelt.

Hinzu kommt der kapitale Fehler, bundeseinheitlich geregelt die Impfzentren geschlossen zu haben. Somit liegt die Impfsituation aktuell allein auf der Landesebene, in Sachsen auf den Schultern der mittlerweile 1.800 Arztpraxen (von 4.000), welche bereits mitimpfen und den mobilen Impfteams, die täglich unterwegs sind.

Dennoch müssen diese aktuell sogar impfwillige Menschen wieder wegschicken, weil sie angesichts des neuen Andrangs personell unterbesetzt sind. Zudem seien die mobilen Impfteams eigentlich nur als ein ergänzendes Angebot des Freistaates gedacht gewesen, so Köpping.

Eine Ergänzung, die zunehmend die Hauptlast der aktuellen Impfungen schultert, während sich so mancher niedergelassene Arzt noch immer gepflegt heraushält und der Bund zwar wieder über Impfzentren spricht, doch bislang keine öffnet.

Deshalb würde man die bislang 30 mobilen Impfteams noch in dieser Woche personell verdoppeln, versprach die Staatsministerin. Dabei wachse nicht die Zahl der Teams, sondern es sollen mehr Ärzte und Ärztinnen sowie Helfer/-innen in die bestehenden Teams geholt werden. Bis zum 1. Dezember 2021 sollen dann die Teams noch weiter ausgebaut werden.

Pro Landkreis will man dann ein weiteres Team stellen und eine nochmalige Verdoppelung bei den Mitarbeiter/-innen in den mobilen Impfteams in den Kreisfreien Städten, also Leipzig, Dresden, Chemnitz erreichen. Zudem sollen die Impfstationen ab dem 22. November 2021 mit einer ähnlichen Terminvergabe funktionieren, wie zuvor die Impfzentren.

64 Millionen extra für Impf-Maßnahmen

Als weitere Maßnahme will die Landesebene insgesamt zwei Millionen Euro an die Landkreise und vier Millionen in die Kreisfreien Städte zahlen, damit diese noch weitere, eigene Impfteams aufstellen können. Erneut solle und könne man hier zum Beispiel auf Ärzte im Ruhestand zurückgreifen, wo immer möglich. Insgesamt sollen für alle Maßnahmen zusammen 64 Millionen Euro, je zur Hälfte vom Bund und dem Land Sachsen, in die Impfkampagne fließen.

Das scheint beim weiteren Ausbleiben der Impfzentren auch bitter nötig, denn aktuell schaffe man mit den derzeitigen Maßnahmen inklusive der Arztpraxen „am Tag 15.000 Impfungen“, so Köpping, die in diesem Zusammenhang intensiv an jene niedergelassenen Ärzt/-innen, Betriebsärzte und Krankenhäuser, welche noch keine Impfungen oder nur wenige anbieten, die Bitte richtete, hier stärker mitzuhelfen.

Gezuckert wird diese Bitte damit, dass der Bund die Vergütung für Impfärzte pro Impfung von 20 auf 28 Euro hochgesetzt hat und zusätzliche Wochenend- und Feiertagszuschläge für jene Mediziner/-innen auszahlen wird, die auch am Wochenende impfen.

Der „öffentliche Gesundheitsdienst“, darunter unter anderem Veterinärämter, Amtsärzte und der Infektionsschutz darf nach dem heutigen Kabinettsbeschluss zudem eigene, zusätzliche Impfangebote unterbreiten.

Ab „Überlastungsstufe“ kommt der Teil-Lockdown für Ungeimpfte

Dass vor allem Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen im Falle der ab Freitag, 19. November 2021 eintretenden „Überlastungsstufe“ besonders geschützt werden müssen, folgte in der heutigen Pressekonferenz logisch auf dem Fuße. Noch immer Petra Köpping dazu: „Wir haben eine Testpflicht in besonders gefährdeten Einrichtungen vorgesehen. Und zwar für Besucher und Beschäftigte.“

Heißt im Klartext, ab spätestens Montag darauf könnte man ein Krankenhaus nur noch betreten, wenn man sich zuvor hat testen lassen.

Am Arbeitsplatz hingegen kann eine neue Regelung erst erfolgen, wenn der Bund neue, einheitliche Arbeitsschutzmaßnahmen beschlossen hat. Dann soll nach Willen der sächsischen Landesregierung eine generelle Testpflicht auch am Arbeitsplatz in Unternehmen gelten, auch für Genesene und Geimpfte.

Ohne Bund und als Land Sachsen allein hingegen wird nun höchstwahrscheinlich die „2G-Regel“ im Einzelhandel eingeführt. Demnach geht’s zum Shoppen dann nur noch für Genesene und Geimpfte, während die Grundversorgung mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfes selbstverständlich für alle möglich bleibt. Somit können natürlich auch weiterhin freiwillig Ungeimpfte und sonstige Ungeimpfte in die Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte bis hin zu Drogerien und Apotheken.

Für Veranstaltungen im Innenbereich, also in Gastronomien, Veranstaltungshäusern und Clubs wird es ebenfalls zu einem Ausschluss ungeimpfter Menschen kommen. Hier gilt dann die neue „2GPlus“-Regelung für Veranstaltungen ab 50 Personen, welche nur noch den Eintritt Genesener und Geimpfter unter einem vorherigen Test gewährleistet. Allerdings ist auch diese Neuregelung noch unter den Vorbehalt gestellt, was der Bund zum Thema „2GPlus“ entscheiden wird.

Wer hingegen zum Essen und Trinken demnächst auf den Weihnachtsmarkt gehen möchte, muss ab der eintretenden „Überlastungsstufe“ ebenfalls dafür genesen oder geimpft sein. Dies sieht die Neuregelung des Landes Sachsen für alle Märkte egal welcher Größe vor, was letztlich für Ungeimpfte bedeutet: bisschen an der frischen Luft shoppen ja, Bratwurst nein.

In Bahn und Bussen gilt dann erneut die FFP2-Maskenpflicht für Fahrgäste. Das Personal der Verkehrsbetriebe darf ohne diese Fahrkarten kontrollieren oder im Fahrerhäuschen sitzen.

Private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum hingegen sind dann jedoch nur noch den Angehörigen eines Hausstandes, in Begleitung der Partnerin oder des Partners und von Personen, für die ein Sorge- oder Umgangsrecht besteht, gestattet.

Oder man trifft sich mit einer weiteren Person, gern einer, welche auf ihren Impfschutz genauso achtet, wie man selbst.

Weitere Informationen zur Lage unter Corona Sachsen im Netz.

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