Die Bewohner Mitteldeutschlands sind wahrscheinlich auch nicht närrischer als die Bewohner anderer Landesteile. Sie sehen sehr wohl, welche Gefahren mit dem Klimawandel auf sie zukommen. Aber wenn es darum geht, das eigene Verhalten wirklich zu überdenken, weichen auch sie aus. Das belegte einmal mehr die am 28. Oktober veröffentlichte Umfrage des MDR. „Über drei Viertel geben an, die Komplexität des Klimawandels zu verstehen“, stellte dieser fest. Die Umfragewerte strafen diese Aussage Lüge. Das hat Folgen.

Denn wer glaubt, die Komplexität des Klimawandels verstanden zu haben, aber nicht bereit ist, sein eigenes Verhalten zu verändern, hat nichts verstanden, glaubt noch an Märchen. Zum Beispiel an das Märchen von der Rettung durch Technologie. „76 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind der Meinung, dass neue Technologien beim Kampf gegen den Klimawandel helfen können. Ein Fünftel (21 %) meint das nicht“, heißt es in der Auswertung des MDR-Meinungsbarometers.Was auch durch eine andere Aussage bestärkt wird, in der es um den Kohleausstieg geht: „Beim Kohleausstieg sind die Meinungen sehr unterschiedlich. Die meisten (28 %) sind für den Kohleausstieg vor 2038, dem bisher geplanten Termin. Jeweils ein knappes Viertel ist für den Ausstieg bis 2038 (24 %) bzw. generell gegen den Kohleausstieg (23 %). Und weniger als ein Fünftel (18 %) sind für einen späteren Ausstieg als 2028.“

Es ist nicht die einzige Aussage, die ziemlich deutlich zeigt, dass der Klimawandel und seine Auslöser tatsächlich von der Mehrheit nicht begriffen wurde. Selbst dann nicht, wenn eine Mehrheit trotzdem meint, Energiesektor und Verkehr müssten mehr zum Klimaschutz beitragen.

Der MDR: „Die Industrie ist der Bereich, bei dem sich die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer (71 %) wünschen, dass es mehr Veränderungen im Sinne des Klimaschutzes gibt. An zweiter Stelle nennen sie den Verkehr (57 %), an dritter die Energiegewinnung (54 %). Etwas weniger wichtig sind in den Augen der Teilnehmenden die Bereiche Tourismus (43 %), Landwirtschaft (41 %) und Gebäude/Wohnen (30 %). Nur 20 Prozent meinen, dass es die meisten Veränderungen in den Privathaushalten geben sollte. Und nur acht Prozent meinen, dass es in gar keinen Bereichen Veränderungen geben sollte.“

Persönliche Verhaltensänderung? Na ja, ein bisschen…

Und scheinen auch die meisten Befragten nicht zu sehen, wie sehr das mit dem eigenen Verhalten zu tun hat. Etwa bei der Frage: Was sollte teurer werden, um die Klimaerwärmung zu stoppen?

Der MDR: „Danach befragt, was für einen effektiven Klimaschutz teurer werden müsste, sprechen sich die meisten für Plastik aus (59 %), knapp danach kommt das Fliegen (56 %) und an dritter Stelle die Flächenversiegelung (52 %). Weniger wichtig finden die befragten MDRfragt-Mitglieder dagegen höhere Kosten für Fleisch- und Milchprodukte (28 %), für Lebensmittel aus konventioneller Landschaft (26 %) und Strom und Energie aus fossilen Quellen (22 %). Auch finden nur 15 Prozent, dass generell jeglicher CO2-Verbrauch teurer werden sollte und nur elf Prozent sagen das beim Sprit.“

Hier wird sehr offenkundig, dass die Rolle der Emissionen klimaschädlicher Gase nicht wirklich begriffen wurde. Und auch nicht die zentrale Steuerungsfunktion über CO2-Zertifikate.

Und erst recht nicht die Rolle des motorisierten Verkehrs. Was einerseits verständlich ist: Viele – insbesondere Pendler – können ihr Leben in Mitteldeutschland ohne Auto gar nicht organisieren. Sämtliche Wirtschaftsstrukturen sind auf eine flexible, automobilisierte Gesellschaft ausgerichtet. Die meisten Arbeitsplätze sind ohne Auto gar nicht erreichbar, Leben auf dem Land nicht organisierbar.

Wenn Sprit teurer wird, schlägt das bei vielen Menschen ins Kontor, die trotz Automobilität nicht über viel Geld verfügen. Alternativen fehlen.

Wo bleibt der sächsische Radwegeausbau?

Das ist der Punkt, an dem der ADFC Sachsen die Umfrage aufgreift und darauf hinweist, dass Sachsens Verkehrspolitik noch immer nicht die richtigen Weichen gestellt hat.

„73 % der Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wünschen sich einen engagierteren Kampf gegen den Klimawandel. Das ist das Ergebnis einer Befragung des MDR. 69 % sehen den Klimawandel als große Bedrohung. 57 % der Befragten verlangen mehr Anstrengungen für Klimaschutz im Verkehrssektor“, formuliert der ADFC seine Einschätzung der Umfrage.

„Das ist ein höherer Wert als im Energiesektor, wo sich 54 % mehr Anstrengungen für eine klimafreundliche Ausrichtung wünschen. Fast jeder Fünfte befürchtet, dass kommende Generationen stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden.“

Für Konrad Krause, Geschäftsführer des ADFC Sachsen, ist damit klar, dass eine deutliche Mehrheit der Sachsen Veränderungen in der Verkehrspolitik des Freistaates Sachsen erwartet.

„Die meisten Sachsen wünschen sich wirksame Schritte gegen den Klimawandel. Das Fahrrad ist für viele kurze Wege eine völlig unterschätzte Lösung. Doch es fehlt an sicheren Wegen: Drei von vier Sachsen fühlen sich gefährdet, wenn sie mit dem Rad unterwegs sind“, geht Krause auf den letzten Fahrrad-Klimatest ein.

„Wenn den Leuten endlich ein funktionierendes Netz sicherer Radwege angeboten würde, könnte Sachsen seine Emissionen im Verkehrssektor viel leichter mindern“, sagt Krause. „Verkehrsminister Dulig muss endlich den Radwegebau hochfahren, statt weiter aus der Zeit gefallene klimaschädliche Projekte zu forcieren.“

Kleckern statt Klotzen bei Radwegebau

Der Freistaat Sachsen hat in seiner Radverkehrskonzeption eigentlich das Ziel, bis 2025 noch 500 Kilometer Radwege außerorts zu bauen. Tatsächlich droht beim Radwegebau in Sachsen aber kompletter Stillstand: 2019 stellte der Freistaat nur 11 Kilometer Radwege fertig, im letzten Jahr sank der Wert auf 6,5 Kilometer ab. Das ist das Ergebnis einer Kleinen Anfrage im Landtag.

„Verkehrsminister Dulig muss viel mehr Geld und Personal für den Radwegebau bereitstellen. Die Sachsen wünschen sich sichere Schulwege, weniger Straßenlärm und eben auch einen entschiedenen Kampf gegen den Klimawandel. Das kann nur mit einer 180-Grad-Wende beim Radwegebau gelingen“, erklärt Krause.

Der Verkehrssektor ist in Sachsen für mehr als 28 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Während in anderen Sektoren der Ausstoß klimaschädlicher Gase reduziert werden konnte, stiegen die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich in Sachsen zwischen 2012 und 2017 sogar an, um 6,7 %.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar