Wie schwer es Deutschland fällt, aus dem jahrzehntelang gepflegten Automobil-Denken herauszukommen, das zeigt der Radwegebau in Sachsen. Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) ist zwar froh, dass überhaupt wieder spürbar in neue Radwege investiert wird. Aber alte Regeln und Behördengewohnheiten sorgen dafür, dass nicht einmal das vom Freistaat bereitgestellte Fördergeld in Größenordnungen abgerufen wird. Da muss sich aber was ändern, findet Marco Böhme.

Der Landtagsabgeordnete der Linken fragt regelmäßig nach, seit die SPD das Verkehrsressort in der Regierung betreut und eben auch deutlich mehr Investitionen in den Radwegebau auf den Weg gebracht hat. Mit entsprechenden Fördersummen von jeweils 4 Millionen Euro in den Jahren 2021 und 2022 im Haushalt.

Aber in ihrer Antwort auf zwei Kleine Anfragen (Drucksachen 7/14454 und 7/14700) zum Stand des Radwegeausbaus gibt die Staatsregierung zu, dass sie das im Koalitionsvertrag gesetzte Ziel, die mit in Sachsen dem Fahrrad zurückgelegten Wege bis 2025 zu verdoppeln, verfehlen wird, so Böhme.

Konkret antwortete das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA): „Die ursprüngliche Zielstellung, den mit dem Fahrrad zurückgelegten Weganteil bis 2025 zu verdoppeln, lässt sich nicht umsetzen. Erklärtes Ziel der Staatsregierung ist und bleibt es aber, den Weganteil kontinuierlich zu erhöhen.“

Konkrete Zahlen, wie viele Kilometer Radwege in den letzten Jahren an Staats- und Bundesstraßen gebaut wurden oder geplant werden, teilt das Verkehrsministerium nicht länger mit, interpretiert Marco Böhme die jüngsten Antworten aus dem Ministerium.

„Es ist alarmierend und blamierend zugleich: Die Staatsregierung gibt zu, dass sie ihre Ziele nicht erreichen wird. Einerseits lobe ich diese Ehrlichkeit. Andererseits ist dies Weckruf dafür, die Prioritäten in der Verkehrsplanung zu verschieben. Nötig sind mehr Planerinnen und Planer für den Rad- und Fußverkehr. Rad- und Fußwege müssen bei jeder Maßnahme im Straßenbau mitgedacht werden“, kommentiert Marco Böhme, mobilitätspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, die Antworten aus dem Verkehrsministerium.

„Nötig sind schlankere Verfahren, damit der Bau von Radwegen nicht länger so umfangreich ist wie die Planung einer Straße. Statt einfach von ambitionierten Zielen abzurücken, braucht es eine Ausbauoffensive für den Rad-, Fuß- und öffentlichen Personennahverkehr!“

Acht Jahre Planung für einen Radweg

Woran es liegt, dass ausgerechnet die Landesmittel nur spärlich fließen, erläutert das Verkehrsministerium in seiner Antwort vom 16. Oktober so: „Der wesentliche Grund für den unzureichenden Haushaltsmittelabruf insbesondere im Staatsstraßenbereich besteht in Wechselwirkung mit viel zu langen Planungs- und Genehmigungsabläufen (mindestens acht Jahre von Planungsbeginn bis Baubeginn) darin, dass 2021 und 2022 zu wenige Projekte die erforderliche Baureife aufwiesen.

Ein in 2021 baureifes Projekt hätte spätestens 2013 dem Planungsprozess übergeben werden müssen. Unerwartet viele Klageverfahren führten zu weiteren Verzögerungen. Ab 2023 kann von einer schrittweisen Verbesserung des Mittelabrufs ausgegangen werden.“

Das heißt: Der Aufwand zur Planung eines neuen Radweges ist genauso hoch wie der für eine neue Straße.
Dass gleichzeitig diverse Anrainer mit Klagen den Bau der Radwege verzögern, verstärkt die Malaise.

„Es ist verwunderlich, dass die Staatsregierung keine Zahlen zum Ausbaustand der Radwege an Staats- und Bundesstraßen mehr liefert. Es liegt die Vermutung nahe, dass sie die eigene Zielverfehlung nicht noch anhand der Ausbauzahlen verdeutlichen will“, so Böhme. „Noch 2022 teilte uns die Staatsregierung mit, dass nach acht Jahren SPD-Verantwortung gerade einmal zehn Prozent der benötigten Radwege gebaut wurden. Auch jetzt wird nur ein Bruchteil der im Landeshaushalt verfügbaren Gelder verbaut.“

Wobei das Verkehrsministerium auch darauf hinweist, dass die Zielbeschreibungen für den Radwegeausbau seit 2014 geändert werden mussten: „Die Umsetzung der RVK 2014 und ihrer Priorisierungen hätte bewirkt, dass viele voneinander losgelöste Einzelvorhaben entstanden wären, die keine hinreichende Gesamtwirkung für potenzielle Radfahrerinnen und Radfahrer gehabt hätten. Deshalb werden die in der RVK 2014 vorgenommenen Priorisierungen (sukzessive Kategorisierung in A/B/C) bereits seit längerer Zeit nicht mehr verfolgt.“

Es geht also bei den jüngeren genehmigten Projekten darum, tatsächliche Verbesserungen für die Radfahrer zu erzielen. Was trotzdem nichts daran ändert, dass die Planungszeiträume bis zur Fertigstellung lange acht Jahre betragen.

„Menschen wollen mehr mit dem Rad unterwegs sein, ob im Urlaub oder auf ihren alltäglichen Wegen. Dank E-Bikes können auch längere Distanzen problemlos überwunden werden – sofern ein ordentliches Radwegenetz vorhanden ist“, meint Marco Böhme.

„Mit diesem Schneckentempo gelingt es jedenfalls nicht, das Mobilitätsangebot rechtzeitig umzubauen.“

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