Manchmal fallen Entscheidungen in geschlossenen Gremien, die auf den ersten Blick klug und logisch wirken. So wie die Entscheidung im Zweckverband für den Nahverkehr Leipzig (ZVNL), mit der Einführung des neuen S-Bahn-Netzes 2026 statt der bisher von Leipzig nach Weimar, Erfurt und Eisenach durchfahrenden Regionalbahn RB 20 die S-Bahnlinie S6 zu verlängern, diese aber nur bis Naumburg fahren zu lassen.

Ein Plus für die S-Bahn, aber eine Verschlechterung für alle, die eigentlich von Leipzig nach Thüringen wollen. Entsprechend deutlich formulierte die Freie Fraktion deshalb ihre Nachfrage an die Stadt. Die muss ja irgendwie mitentschieden haben.

„Stattdessen soll die neue S-Bahn-Linie S 6 stündlich zwischen Leipzig und Naumburg verkehren“, stellte die Freie Faktion in ihrer Anfrage fest. „Diese Änderung hat zur Folge, dass Fahrgäste aus Leipzig und dem Umland keine durchgehende Direktverbindung mehr zu thüringischen Städten wie Weimar, Erfurt und Eisenach haben. Stattdessen ist ein Umstieg in Naumburg erforderlich.

Es wird befürchtet, dass diese Verschlechterung der Direktanbindung zu einem Rückgang der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs führen wird, da eine Nutzung mit beispielsweise Deutschlandticket und Sachsenticket für Direktverbindungen in IC- bzw. ICE-Verbindungen nicht möglich ist.

Besonders besorgniserregend ist, dass die Entscheidung ohne transparente Kommunikation oder Beteiligung der betroffenen Kommunen getroffen zu sein scheint.“

Das Mobilitäts- und Tiefbauamt (MTA) gab sich dann zwar alle Mühe, die Fragen zu beantworten. Aber wirklich zufrieden war Thomas Kumbernuß, der für die Freie Fraktion dann nachfragte, überhaupt nicht. Die Perspektive stimmte für ihn nicht. Leipzig hat hier ganz offensichtlich so agiert, dass man vor allem Städte im Leipziger Umland besser an den Leipziger City-Tunnel anbinden wollte. Aber man hat dafür eine wertvolle Direktverbindung nach Thüringen geopfert.

Da hatten auch Sachsen-Anhalt und Thüringen mitzureden

In der Antwort der Stadt klang das so: „Die Linie RB20 durchläuft die Bundesländer Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen und unterliegt somit der Zuständigkeit mehrerer Aufgabenträger für den Schienen-personen­nahverkehr (SPNV). Auf sächsischem Gebiet und somit in der Zuständigkeit des ZVNL liegt dabei der geringste Streckenanteil.

Die neue Linienführung der RB20 respektive S6 war ausdrücklicher Wunsch der Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt. Die Stadt Leipzig wurde im Rahmen der Gremiensitzungen (Arbeitsgremium, Verwaltungsrat, Verbandsversamm­lung) laufend zur Ausschreibung MDSB2025plus und den damit verbundenen Maßnahmen informiert.

Mit Neuausschreibung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes (MDSB2025plus) vor ca. 5 Jahren wurde der ZVNL über ein neues Zielkonzept der RB20 bzw. S6 durch die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen informiert und der dringende Wunsch, eine S-Bahn-Anbindung bis Naumburg anzubieten, berücksichtigt.

Mit der Einführung der S-Bahn-Linie S6 ab Dezember 2025 wird somit den Wünschen des Umlandes nach einer direkten Anbindung in den Leipziger Citytunnel Rechnung getragen. Im Gegensatz zum aktuellen RB 20-Angebot ermöglicht die S6 ein umsteigefreies Erreichen weiterer innerstädtischer Stationen, wie zum Beispiel Markt, Bayerischer Bahnhof/Uniklinikum und MDR.“

Die Stadt denke sogar noch weiter, heißt es in der Antwort der Stadt. Naumburg soll gar nicht das Ende de S6 bleiben, die Linie soll später noch weiter geführt werden: „Die Stadt Leipzig hat die Neuausschreibung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes intensiv verfolgt. Die Veränderungen in Richtung Markranstädt haben Vor- und Nachteile. Dabei überwiegen langfristig die Vorteile, wenn der noch fehlende Teil der S6 einmal nach Merseburg fährt.“

Wobei die Stadt eben auch darauf hinweist, dass das S-Bahn-Netz zwar im ZVNL gestrickt wird, aber überall dort, wo die S-Bahn in andere Bundesländer fährt (in diesem Fall Sachsen-Anhalt) diese ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen, weil sie ja diesen Teil der Ausschreibung selbst bezahlen müssen.

Nicht mit dem Deutschlandticket gerechnet

Dass man sich da 2020 womöglich trotzdem geirrt haben könnte, merkt das MTA dennoch an: „Zum Zeitpunkt der Entscheidung einer Umstellung von RB 20 auf S6 gab es zudem noch kein Deutschlandticket und die Bedeutung der Linie insbesondere für überregionale Relationen war deutlich geringer. Zwischen 2019 und 2024 hat sich die Nachfrage auf der RB 20 im Verbandsgebiet des ZVNL in etwa verdoppelt, wobei der Freizeitverkehr eine viel größere Rolle spielt.“

Aber eben nicht nur der Freizeitverkehr. Das D-Ticket sorgt auch an den Wochentagen für deutlich höhere Auslastung bis Überfüllung der Züge, weil gleich dutzende wichtige Knotenpunkte an der Strecke liegen. Im Grunde hat das Deutschlandticket erst richtig sichtbar gemacht, wie enorm der Ausbaubedarf im Regionalverkehr ist – jahrzehntelang war das vertrödelt und weggespart worden. Nun trifft die höhere Auslastung auf ein System, in dem an allen Ecken und Enden das Geld fehlt.

Das MTA vertröstet zwar, dass auf der Strecke Leipzig – Erfurt / Eisenach auch künftig Direktverbindungen angeboten werden. Nur eben im teureren Fernverkehr. Aber im Grunde hatte die Anfrage der Freien Fraktion recht deutlich gemacht, dass die tatsächliche Einbuße eben auf Fahrgäste entfällt, die mit dem D-Ticket endlich eine spürbare Verbesserung im Mobilitätsangebot bekommen haben, die aber eher nicht das Geld für Fernzüge haben. Und die jetzt in Naumburg werden umsteigen müssen, wenn sie zu Nietzsche nach Weimar wollen.

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