Das Buch selbst kommt fast bescheiden wie ein Schulbuch daher. Aber es hat es in sich. Denn der Untertitel ist ganz gewiss keine Untertreibung. Wir stecken schon mittendrin im „Jahrhundert der Dürre“. Und auf die harte Tour lernt die Menschheit jetzt gerade, wie wertvoll Trinkwasser ist. Und da ist das, was Deutschland in den Dürrejahren ab 2018 erlebt hat, noch harmlos gegen das, was Staaten in Nahost und Afrika schon seit Jahrzehnten erleben. Dort ist der Kampf ums Wasser längst entbrannt.

Auch wenn dann in Nachrichtenmeldungen, die es in europäische Medien schaffen, fast nie vom Wasser die Rede ist. Man sieht die Bürgerkriege, die Terrorgruppen, die „militärischen Konflikte“, aber nicht, dass es dabei längst um den Zugang zu Wasser geht. Gerade in jenen Regionen, die schon immer unter Wassermangel litten und die dringend auf die Fluten jener Flüsse angewiesen sind, die selbst in Geschichtsbüchern Legenden sind: der Nil, der Euphrat, der Tigris, der Jordan.

Wer über Wasser verfügt, hat auch Macht …

Jürgen Rahmig ist seit 40 Jahren tätig als Zeitungsredakteur und berichtet regelmäßig auf der Münchner Sicherheitskonferenz aus den von ihm besuchten Krisengebieten. Weshalb auch Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrates der Münchner Sicherheitskonferenz, gleich mal das Vorwort schrieb.

Denn auch ihm ist klar, worum es bei Wasser in den weltweiten Konflikten geht: „Wer über Wasser verfügt, hat auch Macht über andere und kann sie erpressen. Unsere Sicherheitspolitik muss sich auf die neuen Herausforderungen einstellen, in denen es um elementare Bedürfnisse des Menschen wie den Zugang zu Wasser und damit zu Nahrungsmitteln geht.“

Denn bei Wasser geht es nicht nur ums Trinken. Es geht um Land- und Viehwirtschaft. Ohne Wasser sind Städte nicht überlebensfähig und die Wirtschaft kollabiert. Überall wird sauberes Wasser gebraucht. Und da wird auf einmal Jürgen Rahmigs Sicht auf die Konflikte in dieser Welt deutlich, der sich genauer angeschaut hat, an welchen Stellen sich tatsächlich kriegerische Konflikte entzünden. Und immer öfter ist es der Zugang zu Wasser.

Wenn der Mensch ganze Flüsse verlegt

Wobei noch eines auffällt in der geballten Erzählung, die Rahmig hier vorlegt: Der Kampf ums Wasser begann schon Jahrzehnte vor den Dürren, den austrocknenden Seen und Flüssen. Er hat eine Menge mit dem rasanten Bevölkerungswachstum zu tun, denn mehr Menschen brauchen mehr Trinkwasser und mehr Nahrungsmittel.

Aber er hat auch mit dem gnadenlosen Denken einer Wirtschaftsart zu tun, die enormen Wasserbedarf hat und überall auf der Welt Produktionsweisen aus dem Boden gestampft hat, die riesige Wassermengen verschlingen. Ganze Flüsse, kann man sagen. Und das ist keine Ironie, sondern blanke Wirklichkeit.

Selbst aus dem All bestens zu beobachten etwa beim Aralsee, zu dem selbst Wikipedia trocken feststellt: „Die seit etwa 1960 zunehmende Austrocknung des Sees stellt weltweit eine der größten vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen dar. Mit ursprünglich rund 68.000 Quadratkilometern Ausdehnung (beinahe die Fläche Bayerns) war der Aralsee bis Anfang der 1960er Jahre der viertgrößte Binnensee der Erde.“

Doch diesen einst riesigen See gibt es praktisch nicht mehr, seit in der Stalinzeit die beiden Zuflüsse Amudarja und Syrdarja komplett umgeleitet wurden, um in der Wüstenregion riesige Baumwollkulturen zu bewässern. Das hätte man auch mit deutlich wenige Wasser hinbekommen, denn der größte Teil des Flusswassers versickert in Kanälen, die mitten durch Wüstensand gebaut wurden. Ohne Wasser aber ist der Aralsee fast völlig ausgetrocknet – eine menschengemachte Katastrophe.

Tschadsee, Nil, Jordan …

Und ähnliche Schicksale erleiden auch andere große Seen auf der Erde – so wie der Tschadsee. „In den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet der See in den letzten Jahrzehnten durch ein dramatisches Absinken des Wasserspiegels, wie die nebenstehenden Satellitenaufnahmen zeigen; seine Fläche schrumpfte seit 1963 um mehr als 90 %“, heißt es auf Wikipedia. Hier ist es die massiv erhöhte Wasserentnahme aus den Zuflüssen, die dem See das nötige Wasser entzieht.

Auch am Nil ist längst der Kampf ums Wasser dieses längsten Flusses auf Erden entbrannt. Und insbesondere Ägypten kommt massiv unter Druck, seit Äthiopien seinen eigenen Riesenstaudamm baut und Ägypten flussab befürchten muss, dass am Unterlauf nicht mehr genug Wasser ankommt, um die wachsende Bevölkerung noch versorgen zu können.

Denn der Staat an der Nilmündung ist zu 90 Prozent direkt vom Nilwasser abhängig. Und damit ist Ägypten nicht das einzige Land, das von der Existenz eines einzigen Flusses abhängt.

Genauso abhängig sind Länder wie Jordanien, Israel und die palästinensischen Siedlungsgebiete vom Wasser des Jordan. Eine Geschichte, die Rahmig natürlich genauso akribisch erzählt, sodass überhaupt erst einmal deutlich wird, dass es in allen Konflikten seit dem Sechstagekrieg 1967 um Wasser ging – konkret um den direkten Zugriff auf die Quellflüsse des Jordan, die sich Israel gesichert hat.

Natürlich zuallererst zur Sicherung der eigenen Existenz. Aber auch hier gilt Ischingers Feststellung: „Wer über Wasser verfügt, hat auch Macht über andere …“ Wer die Quellen kontrolliert, kann die Nachbarn auch dazu zwingen, Verträge über gesicherte Wassermengen zu unterschreiben. Am Jordan funktioniert das – auch wenn die Palästinenser bis heute die schwächste Position in diesem Ringen haben.

Das Drama von Euphrat und Tigris

Was freilich passiert, wenn ein Land seine machtvolle Position ausnutzt, ohne wirklich Rücksicht auf die anderen Flussanrainer zu nehmen, ist an Euphrat und Tigris zu sehen, deren Wassermengen sich dramatisch verringert haben – aber nicht wegen Dürren und ausbleibender Regenfälle, sondern weil die Türkei am Oberlauf der Flüsse ein ganzes System von Stauwerken errichtet hat, mit denen einerseits Strom produziert wird und zum anderen eine direkt im Kurdengebiet aus dem Boden gestampfte Baumwollwirtschaft bewässert wird.

Auch hier wird – wie in der einstigen Sowjetunion – wertvolles Flusswasser in riesigen Mengen zur Bewässerung einer Pflanze benutzt, die zu den Schluckspechten unter den Nutzpflanzen gehört.

Das Ergebnis: Weite Teile des südlichen Irak verwandeln sich inzwischen in Wüste, weil Euphrat und Tigris kaum noch Wasser mit sich bringen, das jahrtausendealte Kanalsystem trockenfällt und damit eine Kultur zu Ende geht, die seit Ur und Uruk immer funktioniert hat. Die Bauern verlieren ihre Existenzgrundlage und wandern in die Städte ab, wo sie die Wassernot verschärfen.

Und ganz ähnliche Machtkämpfe um das Wasser der großen Flüsse finden in Tibet statt, wo die großen Flüsse Südostasiens entspringen. Vom Wasser des Mekong hängen allein schon die Länder Myanmar, Laos, Kambodscha und Vietnam ab.

Wenn China den Mekong in Tibet aufstaut oder gar ableitet, bekommen alle vier Länder massive Wasserprobleme. Dasselbe droht beim Brahmaputra, der Ostindien und Bangladesch durchfließt. Doch anders als andere Länder hat China bis heute mit keinem einzigen Nachbarland ein Wasserabkommen geschlossen.

Die Länder flussabwärts befürchten also zu Recht, dass ihnen der ökonomische Riese im Norden einfach das Wasser abgräbt.

Wenn die Grundwasser leergepumpt werden

Aus dem Zugriff auf Wasser und Gletscher entspringt auch der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen Indien und Pakistan.

Aber es muss nicht einmal rigide Machtpolitik sein, die Länder in Wassernot stürzt. Das beschreibt Jürgen Rahmig etwa am Beispiel der USA. „Dem Mittleren Westen geht das Wasser aus“, betitelt er das kurzerhand. Die Staaten rund um die Great Plains waren in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Kornkammer für die USA. Auf den einstigen Prärien sind riesige landwirtschaftliche Betriebe entstanden.

Nur haben sie die Felder nicht mit Flusswasser bewässert, sondern das einst riesige Ogallala-Grundwasservorkommen angezapft. Das ist längst zu 70 Prozent aufgebraucht. Aber wie jedes große Grundwasservorkommen stammt sein Wasser im Wesentlichen aus der letzten Eiszeit. Es wird sich also – selbst wenn das Abpumpen aufhört, in Generationen nicht wieder auffüllen. Das Ende der Landwirtschaft im Mittleren Westen ist damit absehbar.

Und das wird nicht die einzige „Kornkammer“ sein, die in absehbarer Zeit aufhören wird, Nahrungsmittel zu produzieren. Denn ganz ähnliche Probleme hat längst auch Spanien, das Land, das mit ungeheurem Wasseraufwand die schönen dicken Erdbeeren für deutsche Supermärkte produziert.

Doch das Land ist größtenteils schon knochentrocken. Das Wasser wird aus oft schon hunderte Meter tiefen Brunnen heraufgepumpt. Brunnen, die natürlich immer tiefer werden, je mehr uraltes Grundwasser abgepumpt wird.

Berge ohne Gletscher

Ein Großteil der Wasserprobleme, die heute einst blühende Landschaften in Steppen und Wüsten verwandeln, ist also menschengemacht. Auch die riesige Wassernot in Syrien war es, die 2011 zum Aufstand führte und am Beginn jenes Bürgerkriegs stand, in dem der rabiat vorgehende Herrscher, ein fanatischer IS und ein russischer „Waffenbruder“ Millionen Syrier zur Flucht zwangen.

Die meisten davon leben in der benachbarten Türkei, die nicht ganz unschuldig an dieser Katastrophe ist, denn die verringerten Wassermengen über den Euphrat fehlten dann natürlich in der Dürreperiode 2007 bis 2010, die hunderttausende syrische Bauern zum Aufgeben zwang und sie in die Städte trieb, wo die Proteste gegen das Assad-Regime begannen.

Die Dürre selbst ist meist nicht das Problem. Daran sind die Bewohner der Region gewöhnt. Aber wenn dann die Flüsse weniger Wasser aus den Bergen liefern, wird aus der Not eine Katastrophe.

Und viele Flüsse werden schon aus einem simplen Grund bald viel weniger Wasser liefern oder in den heißen Monaten ganz austrocknen, denn das weltweite Abtauen der Gletscher bedeutet nun einmal auch, dass vielen großen Flüssen künftig der Schmelzwasserzufluss fehlt.

Was die Italiener mit dem fast ausgetrockneten Po gerade erlebt haben, wird künftig mit immer mehr Flüssen passieren, die in den Gletscherzonen der Hochgebirge ihren Ursprung haben.

Das betrifft in Deutschland zum Beispiel den Rhein. Für die Zukunft des Bodensees, für den der Rhein der wichtigste Zufluss ist, sieht Rahmig schwarz. Er hätte sich bestimmt gefreut, wenn er wenigstens für den Musterknaben Deutschland Entwarnung hätte geben können.

Aber auch hier gibt es keine Entwarnung. 93 Prozent der hiesigen Flüsse befinden sich in einem schlechten Zustand, sind kanalisiert, besitzen keine funktionierende Fauna und Flora und sind massiv überdüngt, während die Bergwälder, die normalerweise Wasser speichern, gerade verdursten, weil die falschen Bäume gepflanzt wurden und schon drei Jahre Dürre genügen, die Bestände vertrocknen zu lassen.

Ein geballtes Problem

Und gleichzeitig sind auch in Deutschland die Grundwasserstände gesunken und die Verteilungskämpfe um manche Grundwasserkörper haben längst auch hier begonnen. Das ist auf staatlicher Ebene oft noch nicht einmal begriffen worden, wenn man an die Ansiedlung des Tesla-Werks in einer im Prinzip wasserlosen Gegend Brandenburgs denkt. Der Versuch etlicher Mineralwasserfirmen, sich den Zugriff auf Grundwasser zu sichern, hat längst da und dort den Zorn der Bürger heraufbeschworen.

Rahmigs Buch liest sich wie eine kompakte Mahnung in Manifestform, so kompakt, dass er die fast 900 Quellenangaben gleich komplett aus dem Buch ausgelagert hat. Mit einem QR-Code kann man sie im Internet aufrufen. Und die Textballung erschlägt natürlich auf den ersten Blick, als wäre es wirklich nur ein trockenes Lehrbuch. Was es aber nicht ist.

Ein paar wenige Karten zu einigen der größten Konfliktpunkte beim Zugriff auf Wasser machen deutlich, dass dieses Buch auch eine Menge großer, viel detailgenauerer Karten vertragen hätte, die auch sichtbar gemacht hätten, wo sich all die Konflikte entzünden, in denen es nur scheinbar um Religion oder ähnliche Dinge geht, tatsächlich aber um Flüsse, Talsperren, Seen, Gletscher, Wasserstellen und Brunnen.

Gerade im mittleren Afrika, wo die alten Wirtschaftsweisen der dort lebenden Bauern und Viehnomaden unter Druck geraten, weil Wasser verloren geht, immer mehr Nahrung für eine wachsende Bevölkerung gebraucht wird und die Staaten erodieren, sodass die Fachleute mit immer mehr von Bürgerkrieg und Terror zerstörten Ländern rechnen.

Spätestens da ist dann die deutsche Politik gefragt, völlig neue Strategien zu entwickeln, denn der Kollaps von ganzen Staaten in Nahost und Afrika hat eine ganz direkt spürbare Folge: Millionen von Menschen, die aus den verdurstenden Regionen fliehen, um anderswo ein neues Zuhause zu finden. Weshalb der Begriff Wirtschaftsflüchtling auf viele der Menschen, die versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, schon lange nicht mehr zutrifft.

Oft hat man es schon mit Wasserflüchtlingen zu tun. Und das braucht völlig andere Lösungen als die ignorante und letztlich gnadenlose Abschottungspolitik der EU, die die tatsächlichen Probleme nicht löst und damit sehenden Auges zuschaut, wie sich die Konflikte immer weiter aufschaukeln. Und ganz am Anfang geht es fast überall um nichts anderes als um – möglichst sauberes – Wasser.

Jürgen Rahmig Der Kampf ums Wasser Hirzel Verlag, Stuttgart 2023, 26 Euro.

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