Ganz so vergessen ist die Epoche, in der Eberhard von Bodenhausen lebte und wirkte, heute noch nicht. Viele seiner Freunde und Weggefährten sind noch heute berühmt und nicht von der Zeit verschlungen – Hugo von Hofmannsthal etwa, Henry van de Velde oder Harry Graf Kessler. Die beiden Letzgenannten gehörten zum sogenannten „Silbernen Zeitalter“ in Weimar, wo auch Eberhard von Bodenhausen beinah einen Platz gefunden hätte, hätte ihm der Großherzog nur eine gut bezahlte Funktion anbieten können. Denn auch ein Adeliger wie von Bodenhausen musste sehen, wo er den Unterhalt für seine Familie verdienen konnte.
Und er stand – wie jeder Bürgerliche auch – mehrfach in seinem Leben vor der unbarmherzigen Frage, ob er nun seinen Lebenstraum erfüllen könnte, in einer Position im Kulturleben seine Zukunft zu finden. Oder ob er den harten Weg gehen musste in eine gut dotierte Stelle in der Industrie – mit drastischen Folgen.
Hans-Reinhard Meißner, der jetzt seit einigen Jahren versucht hat, „nach Wurzeln und Verdiensten jenes geheimnisvollen Barons“ zu suchen, geht wohl auch nicht unberechtigt davon aus, dass Eberhard von Bodenhausen den meisten Kunstinteressierten heute wohl eher noch ein Begriff ist, weil er 1895 mit dabei half, die legendäre Kunstzeitschrift „Pan“ in Berlin aus der Taufe zu heben und bis 1900 auch am Leben zu erhalten. „PAN gilt als das wichtigste Organ des Jugendstils in Deutschland“, kann man kurz und knapp auf Wikipedia dazu lesen.
Zumindest der Begriff Jugendstil dürft Kunstkennern heute noch ein Begriff sein. Eberhard von Bodenhausen ist zwar im Heft auch mit einigen beeindruckenden Aufsätzen vertreten, aber seine eigentliche Stärke war etwas, was Künstlern oft genug abgeht: das Kaufmännische. Einer muss sich nun einmal ums Geld kümmern und Spender werben und möglichst trotzdem brennen für das, was er da tut. Ohne solche Menschen haben auch neue Kunstrichtungen keine Chance, bekommen begabte Künstler keine Aufträge, kauft niemand ihre Arbeiten.
Ein Obelisk im Landschaftspark Degenershausen
Und auch wenn er – auch auf Wunsch seines Vaters – zuerst Jura studierte, um eventuell eine dem Adel angemessene Laufbahn im Staatsdienst antreten zu können, reizte das Eberhard von Bodenhausen nur manchmal. Da tickte er eher wie van de Velde und Kessler, war begeistert von der jungen Kunst seiner Zeit, wollte als Förderer und Gestalter tätig werden.
Und studierte nach dem Ende seiner ersten Anstellung bei einem Industrieunternehmen auch extra noch Kunstgeschichte in Heidelberg. In der Hoffnung, vielleicht doch eine Berufslaufbahn in seinem Interessengebiet aufnehmen zu können. Doch die Hoffnungen zerschlugen sich und er musste in den sauren Apfel beißen und eine Verwaltungslaufbahn erst bei der Deutschen Bank, dann bei Krupp in Essen aufnehmen. Deutlich besser bezahlt. Seine finanziellen Nöte war er damit los.
Aber diese Entscheidungen hatten dafür heftige gesundheitliche Folgen für den Mann, über den auch Meißner eigentlich noch nichts wusste, bevor er im Landschaftspark Degenershausen am Harzostrand auf den Obelisken stieß, der an den 1918 mit gerade einmal 50 Jahren Verstorbenen erinnert. Genauso wie der Park, der heute zu den besterhaltenen Parks in Sachsen-Anhalt gehört.
Und so machte er sich daran, das Schicksal dieses Mannes nach den verfügbaren Quellen akribisch zusammenzutragen und am Ende eine Biografie zu schreiben, die in größeren Verlagen so keine Chance hatte. Auch nicht zum 100. Todestag des Gewürdigten. Dazu war er nicht berühmt genug.
Was natürlich ein Problem ist – nicht nur für die Autoren solcher Biografien, wenn sie Menschen wieder ins Bewusstsein der Gegenwart holen wollen, die von der (Kunst-)Geschichte fast vergessen sind, deren Wirken aber mehr als nur erinnerungswert ist. Die aber schnell aus dem Blick geraten, weil sie – anders als Henry van de Velde – keine Kunstwerke oder legendären Villen hinterlassen.
Auch keine Romane. Nur so einen Aufmerksamkeit erregenden Obelisken an einem Ort, an dem der völlig überarbeitete Eberhard von Bodenhausen seine letzte Ruhe finden wollte. In einem Park, den er noch nach eigenen Vorstellungen gestalten ließ und der heute eine echte Attraktion im Umfeld der Gemeinde Falkenstein ist.
Vom Job verschlungen
Natürlich widmet Meißner auch Krankheit und Tod seines Helden ein ganzes Kapitel. Denn vieles deutet darauf hin, dass es wohl das anerzogene Arbeitsethos war, dass Eberhard von Bodenhausen bei seiner Arbeit für Krupp über seine körperlichen Grenzen gehen ließ – immer auf Achse, selten mal Tage der Erholung zulassend. Und selbst in Zeiten, in denen er schon krank war, immer dabei, schnellstmöglich wieder in Aktion zu treten. Was der Konzern durchaus honorierte.
Die Berufung in den Aufsichtsrat von Krupp war auch Anerkennung für seine aufopferungsvolle Arbeit für den Konzern, dessen Friedensproduktion von Bodenhausen verantwortete. Das war bei Krupp ordentlich sortiert, auch wenn man heute eher an dessen Kriegsproduktion denkt, mit der Krupp zur Waffenschmiede für das kriegführende Deutschland wurde.
Zeit für die Kunst oder gar eine Würdigung der noch jüngeren Kunstrichtungen wie dem Expressionismus hatte von Bodenhausen da eigentlich nicht mehr. Und viel Zeit für seine Familie war da wohl auch nicht. Stattdessen begegnet man einem Manager, der nach heutigen Maßstäben wohl am Ende unter Burnout litt, aber nie gelernt hatte, kürzerzutreten, der sich für das Unternehmen aufopferte und sich dabei einen exzellenten Ruf als Netzwerker erarbeitete, der ihn am Ende sogar zu einem möglichen Kandidaten für das Amt des Reichskanzlers oder einen Ministerposten machte.
Was ihm wohl glücklicherweise erspart blieb, wie Meißner feststellt. Was er sich aus gesundheitliche Gründen aber auch nicht mehr zutraute.
Meißner hatte – anders als seinerzeit Bodenhausens Freund Hugo von Hofmannsthal – das Glück, schon auf mehrere Veröffentlichungen und Arbeiten zu Eberhard von Bodenhausen zurückgreifen zu können. Allein seine Briefwechsel mit Hofmannsthal, Kessler, van de Velde sind ein lebendiges Zeugnis dieser Zeit und Kunstepoche. Maler wie Munch und Liebermann haben ihn porträtiert.
In Vergessenheit geriet er auch, weil die Güter seiner Familie nach 1945 alle im Osten lagen und auch das Gutshaus in Degenershausen für andere Zwecke genutzt wurde und noch zum Ende des 20. Jahrhunderts abgerissen wurde. Sodass es heute wirklich nur der Park, der Obelisk und eine erhaltene Scheune sind, die an sei Wirken in Degenershausen erinnern.
Eine zentrale Gestalt seiner Kunstepoche
Und so unwichtig ist Eberhard von Bodenhausen nicht, findet Meißner. Wer sich ernsthaft mit den Künstler- und Förderernetzwerken um 1900 in Deutschland beschäftigt, kommt um den Mann nicht herum. Seinen schriftlichen Nachlass hat seine Frau Dora dem Deutschen Literaturarchiv Marbach überlassen. Und wirklich vergessen und überholt ist die Kunstepoche, die ihn bewegte, auch heute nicht.
Man begegnet ihr in Weimar und Chemnitz mit van de Velde und Kessler. Und natürlich kann man sich in Degenershausen auf die Spuren dieses Mannes begeben, der eine ganz zentrale Gestalt in der deutschen Kulturgeschichte um 1900 war. Ein Mann mit Träumen, die er am Ende nicht verwirklichen konnte, der aber zeitlebens intensive Freundschaften mit Männern pflegte, die dieses Stück Kunstepoche geprägt haben.
Anders als von Hofmannsthal, der am Schreiben einer Biografie seines Freundes Eberhard von Bodenhausen scheiterte, arbeitet Meißner das Werk dieses „Kulturpioniers“ systematisch und akribisch heraus und macht sichtbar, in welchem Zeitgefüge er lebte und intensive Kontakte zum kulturellen Deutschland seiner Zeit pflegte. Ein Adliger, der zeitlebens auch gegen die Vorstellungen seines Vaters rebellierte – und deshalb auch kein „langweiliger Landrat“ wurde.
Der aber ebenso in Zwängen agieren musste, die auch heute jeder erfährt, der seine Liebe zur Kunst mit einem sicheren Broterwerb unter einen Hut bringen muss. Oft genug schließt das zweite das erste radikal aus, weil es Zeit, Kraft und Gesundheit frisst.
Und so bleibt am Ende die Tragik eines Mannes, der wohl auch ein begabter Manager war, aber sein Leben doch lieber der Kunst und ihrer Förderung gewidmet hätte. Und der dann wohl auch aus Überarbeitung am Ende frühzeitig verstarb und nicht einmal das Ende des Weltkrieges erlebte, von dem er bis zuletzt meinte, Deutschland könne ihn doch noch gewinnen. Aber da halfen auch keine Kanonen von Krupp mehr.
Hans-Reinhard Meißner „Eberhard von Bodenhausen“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2024, 24,80 Euro.
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