Wenn bei jeder einzelnen Ausgabe von „Drunter+Drüber“, dem „Magazin für Endlichkeitskultur“, so viele Karikaturisten und Satiriker mitarbeiten, dann ist in Nr. 16 auch einmal das Thema „Humor und Tod“ dran. Auf den ersten Blick ein absolutes Tabu, denn übers Sterben macht man doch keine Scherze, oder? Sterben ist eine ernste Sache. Bestenfalls darf sich ein depressiver Prinz hinstellen und den Totenschädel anstarren: „Sein oder Nichtsein …!“

Der Prinz kommt in diesem Heft aber nicht vor. Dafür der Tod. Gleich auf dem Cover in einem jener so herrlich trockenen Dialoge mit dem Leben, das Schwarwel natürlich als lebenslustiges blondes Mädchen dargestellt hat. Im Heft gibt es dann den sehr ausführlichen Dialog von Herr Tod und Frau Leben über die tatsächlich nicht unwichtige Frage, ob man über den Tod eigentlich Witze reißen darf und – wenn ja – wo und wann und wie lange eigentlich?

Fragen, die letztlich auf eine stille Erkenntnis hinauslaufen, die die meisten Menschen in ihrer Lebensspanne lieber ausblenden: Dass das menschliche Leben verdammt kurz ist und uns tatsächlich nur diese kurze Spanne gegeben ist, Fragen zu stellen und Witze zu reißen.

Denn der Tod ist das Nichts. Die unendlich lange Zeit nach unserem Leben, in der es uns schlicht nicht mehr gibt.

Der personifizierte Tod

Eigentlich auch Herrn Tod nicht, weil der ja nur in unserer Vorstellung existiert. Aber durch seine Personifizierung wird so manches klarer und greifbarer. Er darf genau jenen gnadenlosen Fatalismus verkörpern, der uns als Menschen gar nicht möglich ist. Mit staubtrockenem Humor.

Das haben ja bekanntlich schon viele Künstler als Stil- und Arbeitsmittel für sich entdeckt. Denn die Menschen haben ein tiefes Bedürfnis, sich auch über die Endlichkeit ihres Lebens Gedanken zu machen und Geschichten zu erzählen. Bis ans Grab, bis in die Feierhalle, wo es den begabten Trauerrednerinnen und Trauerrednern (die im Heft natürlich mit eigenen Beiträgen vertreten sind) gelingt, die alte, von einer humorlosen Kirche etablierte Verbissenheit aufzulösen.

Denn was an Trauerriten in Deutschland und Österreich etabliert ist, stammt fast alles aus dem Kanon kirchlicher Verhaltensregeln, mit denen den (gläubigen) Menschen bis zum Schluss ein schlechtes Gewissen gemacht wurde. Das Paradies hat bitteschön nicht auf Erden zu sein, da habe jeder mit Schweiß und Tränen sein Brot zu verdienen und ansonsten zu beten und zu beichten. Die Erlösung gibt es erst im Jenseits.

Dass die deutschen Bestattungsriten ganz und gar keine Weltgeltung haben, muss eigentlich gar nicht extra erwähnt werden. Das haben schon frühere Hefte von „Drunter+Drüber“ gezeigt. Aber wie viel Humor, Lachen, Spaßhaben ist eigentlich „erlaubt“? Oder muss das gar keiner erlauben? Verschafft sich das Leben nicht auch am Tag des Begräbnisses sein Recht?

So wie gleich im ersten Beitrag von Christine Pernlochner-Kügler, die gleich zum Einstieg die Begegnung einer schwarz gekleideten Trauergemeinde auf dem Weg Richtung Friedhof schildert, während ihr eine in bunte Kostüme gekleidete Kindergruppe entgegenkommt und die gedrückte Stimmung mit einem Mal völlig kippen lässt. Das Leben bricht mitten hinein in einen Ritus, der Menschen eigentlich zum Trauern und Kopfhängenlassen zwingt.

Das befreiende Lachen

Aber es passiert immer wieder, oft mitten im Leichenschmaus, dass die gedrückte Stimmung auf einmal kippt, irgendjemand zu lachen anfängt und sich die ganzen aufgestauten Gefühle Bahn brechen. Meist die komplette Gefühlspalette von Heulen, dass es einen zu zerreißen droht, bis zum völlig entfesselten Lachen, als wenn einem eine Last von den Schultern genommen wäre.

Das Leben geht weiter.

Und auf einmal werden auch die Anekdoten über den Verstorbenen erzählt, seine Sonderbarkeiten benannt oder all das gegenwärtig, was ihn oder sie so ungewöhnlich und besonders gemacht hat. Und es sind gerade Trauerredner/-innen und Bestatter, die in ihren Beiträgen darauf eingehen, dass ihre Arbeit ganz und gar nicht von Trübsinn geprägt ist und selbst im Bestattungsinstitut oft befreiende Szenen passieren, weil die Trauernden auf einmal alles von sich fallen lassen und das Lachen sich Platz verschafft.

Aber hat das nicht mit fehlender Pietät zu tun? Überhaupt nicht, stellt Beitrag um Beitrag fest. Denn wie jeder trauern kann und den Abschied gestaltet, das ist immer sehr persönlich. „Das Schöne und das Traurige liegen nah beieinander“, stellt Ralph Caspers im Inteview mit Sandra Strauß fest. Er hat seinen Vater früh verloren und macht sich deshalb schon lange Gedanken darüber, wie man mit so einem Verlust umgeht.

Insbesondere, wie Kinder damit umgehen, was er in seinem Buch „Wenn Papa jetzt tot ist, muss er dann sterben?“ thematisiert hat.

Rebellische Elemente

Überhaupt diese Kinder. Sie tauchen mehrfach auf in diesem Heft und erweisen sich geradezu als rebellisches Element, das die – angelernten – Trauerriten der Erwachsenen durchbricht. Und trotzdem trauern Kinder. Das wissen alle, die früh schon geliebte Menschen verloren haben. Aber neben der Trauer lauert das Leben. Kinder wissen es. Mitten im Augenblick kann die „Pfützentrauer“ umkippen in heillos gedankenloses Spiel, Spaß und Freude.

Und gerade den Verstorbenen macht das gar nichts aus. Im Gegenteil. Sie bleiben uns ja nicht als Leiche in Erinnerung, sondern als die lebendigen Menschen, die wir geliebt haben, bewundert, verehrt. Und da Caspers auch selbst Trauerreden hält, weiß er, dass auch diese Reden nicht ersaufen sollten in Pathos und Wehleidigkeit. Das haben leider auch viele Pastoren drauf, die so auch noch am allerletzten Tag zeigen, dass sie den Toten gar nicht kannten, dass Kirche immer nur Ritus und Öffnungszeit war und nicht Gemeinschaft.

Weshalb auch die Pastoren als Aufpasser bei Trauerfeiern längst zum Atavismus geworden sind. Relikte aus einer Zeit, als die Kirche ihren Schafen jede Freude am Leben miesmachte und die permanente Reue in ihre Herzen zu pflanzen versuchte.

Wogegen Künstler schon seit Jahrhunderten rebellierten. Weshalb es im Heft mehrere Beiträge zum Schwarzen Humor gibt, gleich zwei vom Greifswalder Germanisten Oskar Ters, der sich am Ende selbst widerspricht, nachdem er erst gefragt hatte „Wer tötete den schwarzen deutschen Humor?“ Nur um dann staunend festzustellen, dass die Pflege des Schwarzen Humors auch nach Loriot im deutschen Fernsehen nicht aufgehört hat.

In der Literatur schon mal gar nicht, wo der Schwarze Humor seit der Romantik seinen festen Platz hat.

Der Tod als literarischer Held

Ganze Sammelbände kann man bestreiten mit Märchen und Erzählungen deutscher Romantiker, in denen sie den Tod persönlich auftreten lassen. Und auch die These, dass erst die Engländer kommen mussten, um den Schwarzen Humor (wieder) zum Leben zu erwecken, lässt sich nicht halten. Auch wenn sie – begonnen mit den Monty Pythons und nicht endend mit Terry Pratchett – einen ganz besonders deftigen Zynismus ins Spiel brachten.

Hinter dem natürlich dieser herrliche Fatalismus steckt. Denn wenn der Tod seine Kunden abholt, geht nichts mehr, ist tatsächlich Geschäftsschluss, kann der Held zwar in alten Novellen noch verhandeln (eine Gelegenheit, selbst in der italienischen Renaissance eine Fuhre Schwarzen Humors zu finden), um vielleicht noch einmal auf Erden eine Runde Unwesen zu treiben.

Aber Schwarwel bringt es auf den Punkt: Wenn der Sensenmann seine Arbeit macht, ist Schluss. Dann wird abgerechnet. Und zumindest die Hinterbliebenen dürfen dann wirklich einmal darüber nachdenken, wie wichtig und lieb ihnen der Verstorbene war. Und oft merken es dann die Angehörigen zu spät.

Dass die häufige Beschäftigung mit dem Tod auch aus Lebenskrisen und Depressionen helfen kann, auch das wird thematisiert. Denn mit dem Tod wird nun einmal auch das Thema Selbstbestimmung formuliert in einer Gesellschaft, in der die verknöcherten Vertreter eines „christlichen Abendlandes“ bis heute alles dafür tun, den Menschen auch die Selbstbestimmung über ihr Ende zu nehmen. So wie sie sich auch in das Kinderkriegen einmischen.

Leere Zeremonien

Die Analyse stimmt nun einmal: Die alten, von einer vormundschaftlichen Kirche geprägten Vorurteile über den Umgang mit Leben, Trauer und Tod sitzen tief, haben sich festgefressen im gesellschaftlichen Denken. Und sorgen jedes Mal, wenn die Herren der Weltkonservierung ihre Moralpredigten vom Stapel lassen, für Entsetzen.

Umso wichtiger ist so ein Magazin, das Heft für Heft die alten Muster von Sterben und Tod auflöst, aus der Trauerpraxis berichtet und aus kompetenter Erfahrung zeigt, dass die alten Riten tatsächlich nur genau das sind – Riten. Kirchlich geprägte Handlungsmuster, die oft nichts als leere Zeremonie sind, in der sich die Trauernden (und die Betrauerten) gar nicht mehr wiederfinden.

Was auch die Frage aufwirft, was eigentlich am Tag auf dem Friedhof tatsächlich „erlaubt“ ist und gestattet? Oder auch nicht. Dürfen Trauernde singen, fröhlich sein, den Abschied gar farbenfroh und lustig gestalten?

Von widersprüchlichen Gefühlen schreibt Pernlochner-Kügler. Sie liegen dicht beieinander. Und sie brechen sich meist genau dann Bahn, wenn wir am Trauertag mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert werden und merken, dass der Spaß tatsächlich ein Ende hat. Und dass wir unterwegs auf unserer Reise durchs Leben immer wieder Menschen verlieren, die wir für unverzichtbar und unersetzlich gehalten haben. Und das sind sie oft auch.

Die anarchischen Gefühle

Der Tod ist nun einmal ein zutiefst destruktives Element, das uns das Lachen im Hals stecken bleiben lässt. Weshalb die Literatur, Film und Bühne auch seit Jahrhunderten eine Gestalt pflegen, die Tod und Lachen in sich auf unheimliche Art vereint – den Trickser, den Kasper. Das unberechenbare Element, das die Spielregeln missachtet und die ganze schöne Ordnung durcheinander bringt. Immer wieder wurde versucht, es zu zähmen.

Aber so ein Element lässt sich nicht zähmen, wie Tobias Prüwer feststellt. Der Kasper steht immer wieder auf. Zeigt uns den Mittelfinger oder ein breites, rücksichtsloses Lachen. Und da lachen wir dann selbst – oft aus purem Entsetzen. Was eben auch bedeutet, dass zwischen „gesellschaftlich akzeptierter Trauer“ und den Gefühlen, die uns im Ernstfall tatsächlich von den Socken reißen, eine riesige Kluft liegt, eine Fülle nicht zu bändigender Gefühle.

Zu denen auch das unbändige Lachen gehört, in dem die völlige Verzweiflung sich entlädt.

Nur nicht bei den Leuten, die ihre eigenen Gefühle mit der Kneifzange anpacken und für Humor sowieso zu fantasielos sind. Um nicht noch stärkere Worte zu benutzen für die Leute, die einem schon im Leben jede menschliche Emotion missgönnen. Das merkt zumindest der Bestatter Eric Wrede an, der aus Arbeitserfahrung weiß, dass das Lachen am Ende auch davon erzählt, dass einer tatsächlich gelebt hat. Nicht nur zeitlebens immerzu mit vorwurfsvoller Miene herumgelaufen ist, um anderen dumme Vorwürfe zu machen.

„Friedhof ist, wenn man trotzdem lacht“, meint die Friedhofsverwalterin Lara Schink, die in ihrem Beitrag erzählt, wie oft und unerwartet sich der Humor gerade an ihrem Arbeitsplatz zeigt. Was auf Wiener Friedhöfen, wie Julia Stering zu erzählen weiß, sowieso nie vergessen wurde. Wer nicht mal dem Tod mit Humor begegnen kann, der führt tatsächlich ein armseliges Leben.

Drunter+Drüber „Humor und Tod“, Funus Stiftung, Kabelsketal 2023, 11 Euro.

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