Männlichkeit steht auf dem Prüfstand. Wo Strukturen und Muster über Jahrhunderte hinweg klar aufgeteilt waren – der Mann als Versorger mit einer Frau an seiner Seite, die ihm den Rücken freihält – gerät die „Welt der Geschlechterrollen“ ins Wanken. Während auf der einen Seite die Forderung an Männer lauter wird, sich mit den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen für emotionale (Beziehungs-) Arbeit, tauchen andere immer tiefer ab in die sogenannte „Manosphere.“
Sie fordern aktiv dazu auf, sich auf „traditionelle“ Werte zu besinnen – Härte, Aggressivität, Bestimmtheit. Wie sich zurechtfinden in der ganz persönlichen Definition der eigenen Männlichkeit? Und was heißt das überhaupt?
Neue Männlichkeit braucht das Land
„Wenn wir heute über Männlichkeit sprechen, dann oft in einem problemzentrierten Ton“, ist die Beobachtung von Leonard Landau. Leonard bietet ein Mentoring-Programm in Leipzig an für Männer, die lernen wollen, emotionalen Zugang zu sich selbst zu erlangen und ihre Beziehungen zu verbessern. Wir haben uns zum Gespräch verabredet in den Räumlichkeiten von „BE!COME“ in der Lützner Straße, um uns auszutauschen über seine Arbeit, seine eigenen Erfahrungen und gesellschaftliche Strukturen.
„Wir nehmen Männlichkeit wahr, wenn sie zum Problem wird: toxische Männlichkeit, Dominanz etc. Auch in der Berichterstattung über Migration liegt die Betonung oft auf jungen, alleinstehenden Männern. Es geht viel um Gewalt, häusliche Gewalt, die von Männern ausgeht. All diese Probleme existieren, das ist statistisch nachweisbar.
Deshalb ist es aus feministischer Sicht ganz klar, dass wir darüber sprechen müssen. Dass Männer Selbstregulation lernen müssen, dass sie einen besseren Kontakt zu sich selbst herstellen und sich besser in die Gesellschaft einfügen müssen.“
Auch durch die sozialen Medien seien diese Problemstellungen sichtbarer und feministische Perspektiven stärker geworden.
„Man muss anerkennen, dass Frauen auf der Ebene einfach weiter sind, differenzierter. Und sie leiden unter dem Verhalten von Männern. Was viele Männer wiederum nicht sehen, ist, dass sie genauso unter patriarchalen Strukturen leiden – weil ihnen immer noch von klein auf beigebracht wird, ihre Gefühle stärker zu kontrollieren. Das erlaubt größere Leistung im Job, aber kostet gleichzeitig Nähe zu sich selbst und in Beziehungen.“
Die Angst vorm Weichsein
In seinen Coachings trifft Leonard oft auf Männer, die sich in dieser Polarisierung hin- und hergerissen fühlen. „Der softe Mann, der Alpha-Mann, das sind relativ klare Bilder – Männer fühlen sich oft dazwischen. Dieser Zwischenraum ist die Motivation für meine Arbeit.“ Viele seiner Gesprächspartner würden die „neue Softness“ sogar befürworten, hätten gleichzeitig aber Schwierigkeiten und auch Hemmungen, sich selbst darin zu verorten – aus Angst vor Kontrollverlust?
Denn „Weichsein“ kann in langjährig gepflegten patriarchalen Strukturen schmerzhafte Konsequenzen haben. Noch immer werde Jungen oftmals das Bild vermittelt, Stärke und Härte zeigen zu müssen. „Ich höre oft von Klienten, dass sie früher Angst hatten, soft zu wirken – dass das nicht erwünscht war. Weil man so schnell Zielscheibe von Spott wurde. Das ging manchmal auch mit physischer Gewalt einher.“
Und trotzdem: Etwas haut nicht mehr hin. Schon längst sind FLINTA*-Personen nicht mehr auf die Männer als Versorger, als Beschützer angewiesen. Sie haben keine Lust mehr, nach von Männern erschaffenen Regeln zu spielen. Viele wünschen sich eine Partnerschaft auf Augenhöhe, emotionalen Austausch und Verletzlichkeit – Menschlichkeit.
Darum geht es letztendlich auch Leonard mit seiner Arbeit: „Am Ende liegt der Fokus meiner Arbeit vor allem darauf, dass sich meine Klienten als Persönlichkeit entwickeln können. Diese Entwicklung soll weniger an einem festen Bild vom ‚Mannsein‘ hängen, sondern mehr aus der Innerlichkeit heraus entstehen.“
Dennoch benutzt er in seiner Arbeit den Begriff ‚Männlichkeit” – vor allem, weil sich viele Männer sich davon angesprochen fühlen. Weil es vielen leichter fällt, über „Männlichkeit“ zu sprechen, als über Emotionen.

Mit seinem Angebot hat sich Leonard auf das Thema „Beziehungen“ spezialisiert. Er selbst, erzählt er, hatte nach einer Partnerschaft, die in die Brüche gegangen war, erkannt, dass er etwas ändern müsse. „Ich bemerkte, dass ich zu meiner Partnerin nie diese tiefgehende Bindung entwickeln konnte, die ich eigentlich wollte – obwohl wir eine sehr enge Beziehung geführt haben.
Das lag vor allem daran, dass mir ein Stück Selbstsicherheit fehlte, um mich emotional komplett fallen zu lassen. Um diese Selbstsicherheit entwickeln zu können, musste ich mich mit Gefühlen auseinandersetzen, von denen ich lange abgetrennt gewesen war.“
Damit ist er nicht allein. Bei vielen seiner Klienten erlebe er, dass Emotionen vor allem rational verarbeitet würden. „Das wird zum Teil so stark unterdrückt, dass man weiß, welches Gefühl – zum Beispiel Trauer – in einem Gespräch angebracht wäre, eine körperliche Reaktion – etwa wie Tränen – aber ausbleibt.“
Und wie kommt man ins Fühlen? „Ich achte darauf, was körperlich bei der Person passiert, während sie erzählt. Sei es Anspannung, Unruhe, ein verklärter Blick. Ich versuche in dem Moment, ein Bewusstsein dafür herzustellen – um zu zeigen, dass es Signale gibt für Gefühle, die die Person vielleicht leichter sehen kann und die ihr zuvor nicht bewusst waren. Das kann helfen, dass sich ein Gefühl nicht mehr so überwältigend anfühlt.
Es geht um eine Ausdifferenzierung emotionalen Erlebens und darum, den Wert einer Emotion anzuerkennen und gleichzeitig genug Abstand von ihr zu gewinnen, um mit der Energie, die sie freisetzt, umgehen zu können. Ich sage dabei aber niemandem, was er fühlen soll. Über welche Themen wir in welcher Tiefe sprechen, entscheiden meine Klienten allein. Außerdem ist meine Haltung als Coach, dass die Person, die zu mir kommt, bereits alle Antworten in sich hat. Ich gebe den Rahmen dafür und unterstütze den Prozess.“
Männer, helft euch selbst!
Auch der Austausch mit anderen kann diese Arbeit enorm unterstützen. Die Erfahrung, dass andere sich mit ganz ähnlichen Problemen herumschlagen, nimmt oft ein Stück der Ohnmacht und empfundenen Handlungsunfähigkeit. Für viele Frauen sei es weitaus selbstverständlicher, Situationen zu erleben, in denen sie ‚unter sich‘ sprechen würden. „Auch für viele Männer hat das einen Wert, zumindest bekomme ich das oft gespiegelt.“
Ab November möchte Leonard deshalb mit einem Gruppenformat für Männer an den Start gehen. „Ich möchte Raum bieten zum Sprechen, ohne dass es sich nach Therapie anfühlen muss.“ Diese Männerrunden sollen im besten Falle langfristig und regelmäßig stattfinden.
„Sodass eine Gewohnheit entsteht, dass es diesen Raum gibt, in dem man sich mitteilen kann. Das Wichtigste ist, einen sicheren Rahmen zu setzen: Es gibt keinen Druck. Man kann nichts Falsches sagen. Man darf auch erst einmal nur zuhören.“
Wer Teil dieses Formats sein möchte oder interessiert an einem Coaching ist, kann sich hier weiterführend informieren.
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Habe 15 Jahre in den Niederlanden gelebt. Diese gehen der sozialen Entwicklung oft um 20 Jahre voraus. Ein entscheidender Parameter war der Mord am Homo-Aktivisten Pim FORTYUN 2002 durch den grünen Aktivisten Volkert VAN DER GRAAF:
(https://de.wikipedia.org/wiki/Pim_Fortuyn). Pim FORTUYN war in jeder Hinsicht männlich. Und das gerne. Er war Kämpfer für die Rechte der Homos, des freien Worts, der Freiheit des Landes, kannte keine Tabus. Solche Männer brauchen wir.