Das war schon schräg, was da am 17. Mai im Stadtrat zu erleben war: Die erwachsenen Mitglieder der Ratsversammlung stritten sich in völliger Enthemmung um ein simples verkehrsorganisatorisches Thema wie Radwege vor dem Hauptbahnhof und benahmen sich dabei zum Teil wie zornige kleine Kinder. Und dann geht Oskar Teufert für das Jugendparlament ans Rednerpult und erinnert daran, dass die Kinder und Jugendlichen in Leipzig bis heute seelisch unter den drei Corona-Jahren leiden. Und das ruhig und souverän.

Natürlich gehört das zusammen, wenn Erwachsene aus dem Quengelmodus nicht mehr herauskommen und sich benehmen wie Sandkastenkinder, die um ihre Sandburgen balgen, ohne Respekt für die Position der Gegenseite.

Und dann diese jungen Leute, die in dieser Erwachsenenwelt heimisch zu werden versuchen und aushalten müssen, wenn immerzu über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Denn neben den ins Homeoffice verbannten Familien waren es vor allem die Schülerinnen und Schüler, die besonders unter den Corona-Einschränkungen gelitten haben. Monatelang waren ihre Schulen geschlossen, mussten sie versuchen, irgendwie im Video-Unterricht dranzubleiben.

Die mentalen Folgen der Corona-Jahre

Aber das war immer nur die eine Seite der Medaille. Die andere war das komplette Zerreißen wichtiger Kontakte. In der Schule lernen Kinder nicht nur, wie man sich in einer Gemeinschaft platziert. Dort bauen sie auch die ersten wichtigen Freundschaften und Beziehungen auf. Und das ist gerade für Heranwachsende elementar. Mit Einsamkeit und Abkapselung können sie schlecht umgehen.

Als das Jugendparlament seinen Antrag „Konzept Mentale Gesundheit Jugend“ schrieb, konnten die jungen Parlamentarier nur aus dem Bauchgefühl heraus das Thema umschreiben. So wie sie es aus den Schulen kannten und im Freundeskreis erlebt haben. Inzwischen aber ist auch die wichtige „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlicht worden, die das Bauchgefühl der Jugendparlamentarier vollumfänglich bestätigte.

Der Antrag des Jugendparlaments „Konzept Mentale Gesundheit Jugend“.

In vielen Aspekten – insbesondere mit Blick auf die jungen Mädchen – waren die Ergebnisse sogar noch dramatischer und machten deutlich, wie sehr die jungen Leute nach diesem einschneidenden Erlebnis psychische Unterstützung brauchen. In jeder nur verfügbaren Form.

Auch Gesundheitsamt sieht die Dramatik

„Für die Generation Z war eine der dramatischsten Auswirkungen der Coronapandemie der
flächendeckende Verlust der mentalen Gesundheit. Depressionen, Suizid, Essstörungen,
Verhaltensstörungen und noch viel mehr: Alle hatten in den vergangenen Jahren Hochkonjunktur unter Kinder und Jugendlichen“, hatte das Jugendparlament das Problem in seinem Antrag zusammengefasst.

„Dabei ist gerade eine gesunde, mentale Entwicklung in diesen Jahren wichtig für eine gesunde und stabile Persönlichkeit im Alter. Es ist nicht möglich, die Zeit umzustellen und die absolut devastierenden Einflüsse des Internets und der sozialen Medien sind auch nicht angesprochen, aber die Hilfe zur Gesundung oder zum Erhalt der Gesundheit ist eine kluge Investition in unsere Generation.“

Eine Einschätzung, die auch das Gesundheitsamt vollumfänglich teilt, obgleich die Stadt die „Erfordernis der Bedarfsermittlung mittels einer durch die Stadt Leipzig zu beauftragenden Studie/Umfrage“ nicht sieht.

Aber dafür liegen längst genug andere Studien vor, die aufzeigen, wie die jungen Leute unter den Corona-Folgen leiden.

Mit Bezug auf die von Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) ins Leben gerufenen interministeriellen Arbeitsgruppe (IMA) fasst das Gesundheitsamt in der Stellungnahme der Stadt zusammen: „Kinder und Jugendliche wurden durch die sozialen Einschränkungen der Corona-Pandemie besonders stark belastet – vor allem diejenigen, die bereits vor der Corona-Pandemie in sozial benachteiligen Verhältnissen aufwuchsen.“

Was aber kann eine Stadt wie Leipzig da tun?

Eine App kann helfen

„Im Angesicht dieser Erkenntnisse wird, das positive Votum der Ratsversammlung vorausgesetzt, in einem ersten Schritt geprüft, wie die bereits bestehende Leipziger Landschaft an Beratungs- und Hilfsangeboten zur (mentalen) Gesundheit für Kinder und Jugendliche besser zugänglich gemacht werden kann“, schlug das Gesundheitsamt vor.

„Dabei sollen sowohl die städtischen als auch die Angebote in nichtstädtischer Trägerschaft berücksichtigt werden. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen möglichst unkompliziert Zugang zu Beratung und Hilfe zu verschaffen. Eine mögliche Option zur Realisierung dieses Vorhabens stellt die App ‚Between The Lines’ dar, deren Einführung durch die Stadt Leipzig geprüft werden soll.“

Gerade die Einführung dieser App begrüßte Oskar Teufert, denn sie ist genau auf die Zielgruppe zugeschnitten und gibt den jungen Leuten – wenn sie für Leipzig programmiert ist – eine einfache Wegweisung zu den in der Stadt existierenden Hilfsangeboten.

Der Linke-Stadtrat Volker Külow konnte dann in seiner Rede schon darauf verweisen, dass die Stadt Leipzig tatsächlich bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KVS) schon einen Antrag auf Förderung der App gestellt hat, deren Einführung wahrscheinlich 30.000 Euro kostet. Und die KVS habe den Förderantrag bereits positiv beschieden.

Reichen die Leipziger Hilfsangebote?

Aber natürlich müssen auch die Hilfsangebote ausreichend sein, wenn die jungen Menschen mit ihren psychischen Belastungen mit der App ein solches Angebot suchen.

Das wieder liegt nicht in der Hand der Stadt, hatte das Gesundheitsamt mitgeteilt. Aber man habe es trotzdem im Blick.

„Zwar kann die Stadt Leipzig auf die ambulante psychotherapeutische Versorgung keinen unmittelbaren Einfluss nehmen, da es in den Zuständigkeitsbereich der KVS fällt, mögliche erhöhte Versorgungsbedarfe zu erfassen und die im Bedarfsfall notwendige Nutzung dieser Instrumente zu befördern. Dennoch fand bereits im Dezember 2022 ein Gespräch zwischen der KVS und dem Gesundheitsamt statt, bei dem unter anderem die gegenwärtige Versorgungssituation in Leipzig besprochen wurde.“

Parallel habe man außerdem geprüft, „an welchen Stellen die Vielzahl an städtischen Beratungs- und Hilfsangeboten zur (mentalen) Gesundheit ausgeweitet und intensiviert werden kann. So lässt sich beispielsweise mit Blick auf die Lebenswelt ‚Schule‘ festhalten, dass gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bereiche Hort- und Schulsozialarbeit die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche wahrnehmen.

Eine Reaktion erfolgt dann im Rahmen der jeweiligen Fachlichkeit mit Beratung bzw. mit einem Verweis an entsprechend spezialisierte Beratungsstellen. Derzeit bestehen dahingehend Überlegungen, diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch gezielter zum Themenfeld der (mentalen) Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schulen.

Entscheidend ist jedoch weniger das Angebot in Schule/Hort direkt, sondern eine gut aufgestellte Struktur für Verweisberatungen und eine entsprechende Kapazität in den spezialisierten Einrichtungen und insbesondere im Bereich der Schulpsychologie.“

Einstimmiger Beschluss gefasst

Die Linke hatte dann noch eine Berichterstattung bis zum zweiten Quartal beantragt. Oskar Teufert ließ diesen Änderungsantrag zusammen mit dem Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung stellen. Und diesmal herrschte in der Ratsversammlung tatsächlich erstaunliche Einigkeit: Der Beschluss wurde einstimmig gefasst.

Jetzt geht es freilich auch noch darum, die App in Leipzigs Schulen bekannt zu machen, wenn sie für Leipzig programmiert ist. Damit wirklich alle Schülerinnen und Schüler, die Hilfe suchen, auch wissen, wie sie mit ihrem Handy den richtigen Weg zur Beratung finden.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar