Vorhersage für die nächsten 200 Jahre – Jürgen Tallig hat in seinem wichtigen Artikel einen guten Überblick gegeben, aber die drohenden Entwicklungen eher moderat und vorsichtig dargestellt. Die letztendlichen Konsequenzen unseres heutigen Handelns sind aber absehbar wahrhaft apokalyptisch und die Rede von der drohenden Klimahölle ist keine propagandistische Übertreibung, sondern eine wissenschaftlich belegte Zukunftsoption, deren Wahrscheinlichkeit stetig zunimmt.

Die nächsten 200 Jahre

Die suchthafte Profitgier fossil-mobiler Großkonzerne verhindert mit gigantischen Desinformationskampagnen und globaler Korruption seit 50 Jahren, dass die Menschheit die globale Katastrophe verhindert, – inzwischen ist es für erfolgreiche Reaktionen mit großer Wahrscheinlichkeit zu spät.

Die Annahme einer Temperaturerhöhung im globalen Jahresmittel zwischen 4,0 und 6,5° C im Jahr 2100, im Unterschied zum angestrebten 1,5°C-Ziel (das wir bereits jetzt fast erreicht haben) ist eine realistische Hochrechnung, ebenso wie die Schätzung von etwa 2 Milliarden Klimatoten weltweit bis zur nächsten Jahrhundertwende.

Spätestens bis 2040 werden wir von der Erdwarmzeit unumkehrbar in die Erdheißzeit abgerutscht sein. Die Erderhitzung gerät durch die, sich einander verstärkender Prozesse der 15 Kipppunkte des globalen Klimas, völlig außer Kontrolle. Forscher gehen davon aus, dass zwischen 2 und 5 Kipppunkte bereits jetzt erreicht sind.

In der Erdheißzeit in der 2. Hälfte unseres Jahrhunderts wird die Klimakatastrophe noch einmal eine exponentielle Beschleunigung erfahren, die die Erde für Leben weitgehend unbewohnbar machen wird.

Es wird dann alles sehr schnell gehen: Eine noch schneller als Gletscher und Polkappen schmelzende Menschheit wird angesichts extremer Temperaturen und ständiger Naturkatastrophen in tiefe Höhlen und Bunkeranlagen umziehen müssen und die Zahl der Menschheit wird sich schnell minimieren – die 1 Milliarde wird deutlich vor 2150 unterschritten werden.

Die Industriegesellschaft, wie wir sie kennen, wird durch den absehbaren Kollaps der Finanzwirtschaft und des Klimasystems schon demnächst zusammenbrechen,- die ökologischen Kosten übersteigen schon bald den ökonomischen Nutzen.

Als Ausweg wird offenbar jetzt schon ein expansiver Kriegs- und Raubkapitalismus gesehen. Am Beginn des 22. Jahrhunderts werden die nur noch rudimentären Versorgungsstrukturen der Industriegesellschaft weniger leisten als die großen Kriegswirtschaften der Weltkriege und immer mehr Menschen werden sozial abstürzen und ums Überleben kämpfen müssen.

Degeneration

Die Infrastrukturen für unseren Entertainment-Verdrängungs-Halbschlafkonsum werden nicht mehr existieren. Mindestens die Hälfte der Menschheit (eher über 75 %) wird psychisch krank sein und nicht mehr folgerichtig agieren können.

Wir sind – zumindest in den Industriegesellschaften, die den Verlauf der globalen Entwicklung ungerechtfertigterweise bisher bestimmt haben – bereits jetzt vorwiegend emotional verhaltensgestörte Großstadtmutanten. Sonst wäre die jetzige Entwicklung gar nicht möglich.

Neben einer erschreckenden, weitgehenden Naturentfremdung gibt es eine geistige Degeneration, eine weitgehende Unfähigkeit komplexe Zusammenhänge zu erfassen und die allgegenwärtige Manipulation zu durchschauen.

Das lässt sich z. B. daran festmachen, dass die Hälfte aller Rezipienten bereits nicht mehr in der Lage ist, diesen Text zu sich zu nehmen: wegen fehlender Konzentrationsfähigkeit und dem Verlust einer einigermaßen entwickelten Sprachbeherrschung.

Angesichts von Wasser- und Nahrungsmangel wird zwischen 2140 und 2160 das Aussterben der Menschheit epidemische Ausmaße annehmen. Allerdings wird zu diesem Zeitpunkt bereits keine staatliche Statistik mehr diesen Verfall erfassen.

Desorganisierte, lose Menschengruppen werden mit Resttechnologien lokal um ihr Überleben kämpfen. Die Menschheit wird in einer Steinzeit 2.0 mit Hightechresten in Höhlen vegetieren und sich selbst bedauern – das einzige, was sie stets sehr gut konnte (anstelle von rechtzeitiger Verantwortungsübernahme).

Am Ende des 22. Jh. werden wahrscheinlich auf der Erde keine Menschen mehr existieren. Ich denke am Ende des 23. Jh. auch kein höheres Leben mehr. Jedoch die Evolution ist zäh: im mikrobiologischen Bereich könnte der Keim des Lebens tief in der Erde noch Jahrtausende erhalten bleiben.

Wer ist schuld?

Weil wir angesichts der heraufziehenden Katastrophe Leugnung und Verdrängung zum globalen Volkssport gemacht haben, sterben wir – nicht, weil das Problem nicht lösbar war. Und das ist unendlich beschämend, weil es abgrundtief dumm ist. Natürlich sind die Reichen – insbesondere die Milliardäre – die Wanderheuschrecken, die mit ihrer Gier das Leben aussaugen und verwüsten, schuld.

Geld und Macht korrumpieren – und maximales Geld und absolute Macht korrumpieren maximal – das ist seit der Antike schon so und gut bekannt.

Doch wir alle sind schuld, denn wir sind der SOUVERÄN und damit ist unser Job als Bürgerschaft bereits umfassend beschrieben: Wir haben – auch zwischen den Wahlen – souverän zu sein und unsere Macht auszuüben – die wir den „Volksvertretern“ nur leihweise überlassen, damit sie UNSERE Interessen wahrnehmen.

Wir haben uns kaufen, fraktionieren und einlullen lassen: mit mehr oder minder „guten“ Gehältern (lächerlich im Vergleich zu dem Reichtum, den 0,1 % der Menschheit zusammengestohlen hat), Rund-um-die-Uhr-Entertainment (Brot und Spiele) und massiver Desinformation und informeller Chaotisierung der Öffentlichkeit.

Sie haben die Milliarden und wir sind die Milliarden – dank Energieerhaltungssatz waren die globalen Machtverhältnisse stets ausgeglichen. Dank „Teile und Herrsche“ haben wir uns teilen lassen, uns über unsere eigenen wirklichen Interessen desinformieren lassen, und waren zunehmend unfähig unsere Interessen zu vertreten, uns als Menschheit zu organisieren und – mindestens in existenziellen Fragen – mit einer Stimme zu sprechen.

So mündet eine 5.000-jährige entfremdete „Kultur- und Zivilisationsgeschichte“, die IMMER ein Blutbad mit über die Jahrhunderte zunehmender Intensität war, folgerichtig in virtuelle Parallelwelten und Massendepression und schließlich in den Untergang einer eigentlich begabten Spezies mit viel Potenzial.

Eine Spezies, die sich nicht darauf einigen kann, angesichts des Zuges, der da angerast kommt, erst mal vom Gleis zu gehen und dann weiter zu diskutieren, hat selbstverständlich nicht verdient, weiterzuexistieren.

Unser dekadenter Verbrauchs-Exzess, mit dem wir unseren Mangel an Vitalität und Lebendigkeit kompensieren, zerstört nicht nur die Welt, sondern verhindert auch, dass wir zu einem angemessenen Bewusstsein der Realität kommen. Unsere universelle Selbstlüge von unserer Unsterblichkeit, unserer Unfehlbarkeit (im Ganzen) und unserer Großartigkeit ist ein Traum.

Nichts davon ist real. Wir haben Talente (in Übereinstimmung mit den evolutionären Gesetzen) aus denen wir aber nichts machen. Und wir sind Massenmörder am globalen Lebenssystem, uns selbst eingeschlossen. Der Mensch ist jämmerlich und das permanente Fremdschämen ist mittlerweile unerträglich. Wir sind Hightech-Barbaren am Vorabend unseres Ausscheidens aus dem Spiel des Lebens. Das ist schwer erträglich, aber die Wahrheit.

Eine Spezies, die das Paradies nach dem Tode ersehnt – während sie das Paradies Erde, auf und in dem sie leben darf, nicht wahrnimmt und blind darauf herumtrampelt und alles zerstört und schleift und ihr heiliges Leben meistenteils mit Schund, Kitsch und Tand vergeudet – ohne Phantasie, ohne Demut, ohne Staunen vor der kosmischen Sensation, derer sie teilhaftig werden darf.

Die sich in das Exil virtueller Parallelwelten geflüchtet hat, vor der sterbenden analogen Wirklichkeit um uns herum, der einzigen und wirklichen Welt.

Schade eigentlich!

Zum Autor des Artikels Vollbremsung oder Klimacrash? Klimaschutz ist nicht „systemrelevant“: Jürgen Tallig war 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig. Weitere Informationen findet man hier.

Der Artikel ist in Kurzfassung in der Berliner Umweltzeitung „Der Rabe Ralf“ August/September 2023

Teil 1 des Beitrags „Vollbremsung oder Klimacrash? Das Zeitfenster zur Begrenzung der Klimakatastrophe schließt sich“ findet man hier.

Teil 2 des Beitrags „Vollbremsung oder Klimacrash? Wenn wir global bei 3 Grad landen, drohen Deutschland etwa 6 Grad“ findet man hier.

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