Ein Treffen mit Gabriele Sergel im Clara-Park. Sie war die letzte Chefin vom „Kino der Jugend“ in der Eisenbahnstraße 162: Von 1985 bis zur Schließung 1987 verantwortete sie dort ein Programm, das im besten Sinne eine Gratwanderung war: „Die verordneten Filme zeigen und drumherum in fröhlicher Anarchie agieren“, sagt die Frau mit dem feuerroten Haarschopf, die alle nur Gabi nennen.

Tino Standhaft und seine Band waren die letzten, die das historische und schon damals heruntergerockte Kino beehrten. 35 Jahre später werden sie wieder hier spielen. Darauf ist Gabi stolz: „Ich habe einfach angerufen, man hat sich an uns erinnert und ich bekam ohne Umschweife eine Zusage!“

Der Anlass für das erneute Gastspiel der Kultband sind die „Bauhelm-Festspiele“, die der IG Fortuna e. V. an den ersten beiden Septemberwochenenden im und um das über 130 Jahre alte Gebäude organisiert hat.

Die Schar der Unermüdlichen um Katrin Haucke, Thomas Szabo, Daniel Schade, René Zieprich, Jörg Werner, Ina Prutzer, Thomas Noack, Winfried Endres und Gabi Schergel, die sich in der IG Fortuna zum Erhalt des alten Kinos zusammengeschlossen haben, hatten im November 2020 allen Grund zum Feiern: „Unser aufwendig erstelltes Konzept eines kulturellen Stadtteilzentrums für den Leipziger Osten überzeugte und von der Stadt kam die Zusage, dass wir das ehemalige „Kino der Jugend“ in Erbbaupacht entwickeln dürfen. Im März 2021 folgte dann die Schlüsselübergabe“, berichtet Gabi.

Vor einem reichlichen Jahr nutzten fünf Künstler/-innen die vom Kulturamt und der Leipzig-Stiftung geförderten Mini-Residenzen, um sich mit dem alten Kinopalast auf künstlerischer Ebene auseinander zu setzen. Im Foyer zeigt eine Ausstellung die Geschichte des Gebäudes vom Generatorenhaus der Gasanstalt (1889) über den Kinopalast Fortuna (1928) bis zum DDR-„Kino der Jugend“, das 1987 dichtgemacht wurde.

Bestuhlung aus dem Krystallpalast für das "Kino der Jugend". Foto: Marlene Wessel
Bestuhlung aus dem Krystallpalast für das „Kino der Jugend“. Foto: Marlene Wessel

Mittlerweile ist der gröbste Schutt aus dem Großen Saal geräumt und das Dach abgedichtet. Doch die Statik des alten Gemäuers bleibt fragil, dem nächsten Winter schauen die Fortuna-Aktivist/-innen mit gemischten Gefühlen entgegen.

„Die Mühlen der Stadt mahlen langsam – aber still abwarten wollen wir auf keinen Fall und schmieden munter weiter Ideen und Pläne“, sagt Gabi und fügt schmunzelnd hinzu: „Mein ganzes Leben besteht aus Neuanfängen, der Suche nach Alternativen und schrägen Wegen.“

Nach der Schließung „ihres“ Kinos arbeitete sie bei der Filmschule, erfand die Visionale mit, setzte sich für das Jugendmedienzentrum ein, verfolgte die Entwicklung vom Werk II und des Kristallpalastes usw. Und die alten Verbindungen funktionieren noch: „Erst vor kurzem haben wir 200 Stühle vom Kristallpalast bekommen – die können wir jetzt zu den Festspielen bestens gebrauchen. Auch wenn wir danach noch nicht wissen, wo wir sie trocken und sicher lagern können.“

Der aktuelle Coup aus der Fortuna-Ideenquelle startet am 2. September mit einer Filmvorführung, es gibt u. a. den Auftritt eines Arbeiterchors (4.9.) und spektakuläre audiovisuelle Performances mit 3-D-Animationen und Sound (10.9.) und klingt am 11. September – dem Tag des offenen Denkmals – mit besagtem Konzert von Standhaft aus. Das komplette Programm gibt’s hier.

Gabis Hilferuf: „Wir brauchen dringend noch helfende Hände, um aufwendig gestalteten Veranstaltungen gut über die Bühnen und Leinwände zu bringen.“ Egal ob Techniksupport, Bänke schleppen, Bardienste, Einlass oder einfach nur Gute-Laune-Management – wer Zeit und Lust hat meldet sich bitte mit Kontaktdaten (E-Mail/ Mobilnummer) und Angeboten bei katrin.haucke@ig-fortuna.de

Die ehrenamtlichen Aktiven des IG Fortuna e. V. sind froh über die Unterstützung vom Liegenschaftsamt und dem Kulturamt der Stadt Leipzig sowie der Leipzig-Stiftung.

„Damit es aber sichtbar vorwärtsgeht und wir schneller sind als der Verfall, muss die Entwicklung des Kino-Areals zur Chefsache gemacht werden“, fordert Gabi Sergel energisch. Ein kulturelles Zentrum für die bunt gemischte Bürgerschaft im Leipziger Osten wäre in der Tat ein Gewinn für die ganze Stadt.

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