Wenn die neue Bundesregierung nur ein bisschen Mumm in den Knochen hat und sich von den ganzen Phrasen einer falsch verstandenen Freiheit nicht ins Bockshorn jagen lässt, dann wird sie die Impfpflicht auch für Corona einführen. Und zwar schnell und eindeutig. Denn eine Freiheit, die Leben und Gesundheit einer ganzen Gesellschaft gefährdet, ist keine Freiheit. Bestenfalls Unvernunft und Verantwortungslosigkeit. Aber es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung.

Dass das den Führungsfiguren der FDP, die ja extra das Wörtchen Freiheit im Namen führt, nicht einmal ansatzweise klar ist, zeigen die seltsamen Argumentationsmuster, die Männer wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki an den Tag legen. Über beide berichtete am Samstag, 13. November, der „Spiegel“. Über Lindners Herumeierei unter dem Titel „Lindner bedauert missverständliche Aussagen zu Kontaktbeschränkungen“. Und über Kubickis Herfumirrlichterei unter dem Titel „Wir dürfen Ungeimpfte nicht schlechterstellen“.Doch, genau das dürfen wir. Müssen wir sogar, wenn wir unsere Gesellschaft auch nur ein bisschen schützen wollen vor den Folgen der Impfverweigerung. Denn die sind längst drastisch und eigentlich nicht mehr akzeptabel. Von der Überlastung der Intensivstationen und ihres schon seit anderthalb Jahren überforderten Personals bis hin zu den nicht mehr akzeptierbaren Einschnitten von Schulschließungen und Lockdowns, die jetzt wieder mit aller Wucht uns allen ins Haus stehen.

Statt diese Pandemie mit allen ja zum Glück vorhandenen Mitteln in den Griff zu bekommen, bestimmen selbst ernannte Querdenker die Debatte, denen Leute wie Kubicki letztlich nach dem Mund reden. Es gibt bei einer derart heftigen Pandemie kein Entweder/Oder. Und auch die sich mehrenden Verweise auf die vermehrt erkrankenden Geimpften ziehen nicht. Was wirklich hinter den Erkrankungszahlen steckt, hat „Die Zeit“ am Wochenende mal in Zahlen aufbereitet.

Und auch diese Zahlen zeigen, dass eine möglichst vollständige Impfung der ganzen Bevölkerung – plus Auffrischung der alten Impfungen – der einzige und sinnvolle Weg ist, die Pandemie einigermaßen in den Griff zu bekommen. Und Freiheit überhaupt erst einmal zu ermöglichen. Freiheit, die es ohne Solidarität und Rücksichtnahme nicht geben kann.

Erstaunlich, dass das unsere Liberalen immer noch nicht begriffen haben.

Die Masern-Impfpflicht

Dass die Impfpflicht immer positive Wirkungen hat, zeigt das seit Corona so seltsam verstummte Thema der Masern-Impfpflicht. Auch gegen die hatten seinerzeit die selbst ernannten Impfgegner mobil gemacht. In diesem Fall aber ohne Erfolg

„Um eine weitere gefährliche Infektionskrankheit ist es hingegen still geworden“, stellt das Amt für Statistik und Wahlen im neuen Quartalsbericht fest: „Am 1. März des vergangenen Jahres trat, nach längerer Diskussion um eine Impfpflicht, das Masernschutzgesetz in Kraft. Seitdem müssen Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr eine Masern-Impfung vorweisen, wenn sie eine Kindertageseinrichtung besuchen wollen. Gab es 2017 noch 54 und 2018 noch 6 Masernfälle in Leipzig, wurden dem Gesundheitsamt in den vergangenen beiden Jahren keine entsprechenden Erkrankungen mehr gemeldet.“

Die Impfung – die früher in der DDR schon mal Pflicht war – hat sofort Wirkung gezeigt, wie der kurze Bericht im Heft erzählt: „Seit Frühjahr 2019 wurde über die Einführung einer Masern-Impfpflicht diskutiert, am 1. März 2020 trat schließlich das Masernschutzgesetz in Kraft. Seitdem müssen Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr die von der Ständigen Impfkommission empfohlene Masern-Impfung vorweisen, wenn sie eine Kindereinrichtung besuchen wollen. Die Nachweispflicht gilt ebenso für schulpflichtige Kinder und für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen tätig sind. Ziel des Gesetzes ist, durch die Schließung von Impflücken die in der Vergangenheit beobachteten Masernausbrüche zu verhindern.“

Denn bei Masern gilt dasselbe wie bei Corona: Je mehr Menschen geimpft sind, umso seltener kann das Masernvirus übertragen werden. Wenn aber die Bevölkerung nicht geimpft ist, kommt es zu Ausbrüchen. Auf solche Ausbrüche reagierten mehrere europäische Staaten in den letzten Jahren mit der (Wieder-)Einführung der Impfpflicht.

Und die zeigte auch in Leipzig sofort Effekte: „Sowohl im Jahr 2020 als auch schon im Jahr 2019 traten in Leipzig keine Masernfälle mehr auf. 2018 gab es noch 6 Erkrankungsfälle. Der letzte große Masernausbruch fand 2017 statt. Damals erkrankten 54 Leipzigerinnen und Leipziger an dieser gefährlichen Infektionskrankheit. 2016 traten 6 Fälle auf und 2015 erkrankten sogar 74 Personen in Leipzig.“

Impfdebatten machen gesellschaftlich wenig Sinn

Wobei auch der Weg zu einer vollständigen Impfquote bei Kindern einen jahrelangen Vorlauf hatte. Im Grunde war auch das so ähnlich wie in der Corona-Diskussion: Zuerst reagierten alle Eltern, die den Sinn der Impfung begriffen und die Impfung der Kinder als vernünftigen Schutz sahen. Andere zweifelten und schwankten länger.

Andere warteten tatsächlich bis zur Einführung der Impfpflicht und bestätigten damit auch die Erkenntnis, dass eine ausufernde gesellschaftliche Debatte über Impfungen, die ihre Wirksamkeit längst gezeigt haben, keinen Sinn ergibt.

Das schafft nur Raum für Leute, die für Verunsicherung und Ausufern der Debatte sorgen und ablenken wollen von der Tatsache, dass eine Gesellschaft auch manchmal geschlossen vernünftig handeln muss, um gemeinsam ein Problem zu bewältigen. „Jeder für sich“ ist in so einem Fall eine denkbar falsche Strategie.

Und so konnten auch die Statistiker zuschauen, wie die Masernimpfquote in Leipzig sichtbar anstieg: „Die Impfquote ist bei Schulanfängern in Leipzig in den letzten 15 Jahren kontinuierlich gestiegen. Während im Schuljahr 2004/2005 nur 47,6 Prozent der Kinder in Schulaufnahmeuntersuchungen über einen vollständigen Masernimpfschutz verfügten, sind es 2019/2020 bereits 87,1 Prozent. Werte für die Impfquote nach Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes liegen noch nicht vor.“

Aber die Quote von 87 Prozent hat augenscheinlich schon gereicht, die Ansteckungsgefahr bei Masern drastisch zu senken. Und in dieser Größenordnung liegt auch die notwendige Impfquote beim Coronavirus, wenn wir die Pandemie endlich in den Griff bekommen wollen. Aktuell liegt die Impfquote in Sachsen (vollständig geimpft) nur bei 57,4 Prozent.

Das Ganze mit Betonung auf „wir“. Ein wir, das immer wieder vergessen wird, wenn falsche Begriffe von Freiheit öffentlich ausgehängt werden. Eine Gesellschaft, die in einer unbewältigten Pandemie steckt, ist nicht frei, sondern steht massiv unter Druck.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

 

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 7 Kommentare

Übrigens, scheint nicht so gut zu klappen mit Impfen als Weg aus der Pandemie:

“Wegen steigender Fallzahlen müssen sich die Menschen in Irland wieder auf strengere Corona-Maßnahmen einstellen. Ab Donnerstag sind alle Bars, Restaurants und Clubs angehalten, wieder spätestens um Mitternacht schließen, wie der irische Sender RTÉ berichtet. Ab Freitag soll außerdem wieder die Empfehlung gelten, wenn möglich von Zuhause aus zu arbeiten. Premierminister Micheál Martin ruft dem Sender zufolge die Irinnen und Iren dazu auf, ihre sozialen Kontakte wieder zu reduzieren. In den vergangenen Tagen war die Zahl der Corona-Fälle in Irland wieder deutlich angestiegen – auch die Covid-Patienten auf den Intensivstationen des Landes wurden wieder deutlich zahlreicher. Von den impfberechtigen Bürgern über zwölf Jahren sind in Irland aktuell knapp 90 Prozent vollständig geimpft.”

https://www.n-tv.de/panorama/19-59-Baden-Wuerttemberg-mit-hoechstem-Tageszuwachs-bei-Neuinfektionen–article21626512.html

Die letzten 10% nicht Geimpfte Menschen in Irland dürften wahrscheinlich diejenigen sein, die sich wirklich nicht impfen lassen können.

Tut mir leid, Herr Julke, aber ich denke wirklich, wir haben zu hohe Hoffnungen auf Impfen und Konzepte wie 2G gesetzt, entweder man macht es so wie Schweden und geht einmal durchs Feuer oder man muss halt doch flächendeckend nochmal das Kontaktverhalten ändern (alle! Geimpfte, Genesene und der Rest). Das Impfen wird manches mildern können, ist aber kein Zaubermittel.

Mit der Masernimpfung ist die Corona-Impfung auch nicht vergleichbar. Die Masern-Impfung hält ein Leben lang, die Corona-Imfpung dagegen maximal ein paar Monate. Masern sind übrigens auch weitaus gefährlicher als Corona. Irgendwie werden hier also Äpfel mit Birnen verglichen.

Ja, ich kann den Wunsch nach so einem Zaubermittel verstehen, aber es gibt hier eben kein Zaubermittel.

Ich frage mich auch, wie das gehen sollte. Würde es eine Impfpflicht geben, wo sollen die Leute sich den impfen lassen? Wichtig wäre doch, dass die Leute Ü60 an ihre Boosterimpfungen kommen, so war es zumindestens zu lesen und zu hören. Und es wird auch berichtet, dass diese Leute nicht an ihre Booster-Impfungen kommen. Das wird auch so bleiben, weil es schlicht nicht genug medizinische Fachkräfte zum impfen gibt, die lassen sich ja nicht klonen. Und es wird den ganzen Winter über Menschen geben, die Boosterimpfungen brauchen und manche, die diese auch wollen. Wie sollte das alles logistisch gehen? Im Frühjahr, wenn die Zahlen dann sowieso wegen der Saisonalität runter gehen, kommen dann die letzten dran? Dann brauchen die aber keine Impfung mehr, bis dahin sind die alle doppelt und dreifach genesen oder im schlimmsten Falle gestorben.

Das finde ich seltsam:

“Und auch diese Zahlen zeigen, dass eine möglichst vollständige Impfung der ganzen Bevölkerung – plus Auffrischung der alten Impfungen – der einzige und sinnvolle Weg ist, die Pandemie einigermaßen in den Griff zu bekommen.”

Was ist mit den Genesenen? Warum sollte ich mich als Genesener noch mal impfen lassen, wo es wissenschaftlich erwiesen ist, dass die natürlich erworbene Immunität sogar länger und besser schützt als eine Impfung?

Warum werden die Genesenen hier nicht berücksichtigt?

PS: Und man kann auch seinen Antikörperstatus messen lassen, dann weiß man es auch und hat es Brief auf Siegel – auch wenn dieser nicht mal aussagekräftig sein muss, weil man auch ohne besonders viele Antikörper einen guten Schutz haben kann (durch die T-Zellen).

Kann mich daran erinnern, daß es in der DDR eine Imppflicht gegen Masern gab. Die wurde ja erst mit dem Bundesdeutschen Unfug gestrichen. Somit müssten gerade die älteren immunisiert sein. Sofern sie nicht aus den gebrauchten Ländern kommen.

Im Gesundheitswesen beispielsweise ist die Impfpflicht auch relevant, oder Erziehungsbevollmächtigte in Betreuungseinrichtungen.

Liebe Redaktion, gibt es wirklich keine Möglichkeit, die Doppelvergabe von Usernamen zu verhindern?

Die Impfflicht bei Masern betrifft am Ende nur Kinder, damit diese Zugang zu Betreuungsangeboten haben. Für ältere Menschen besteht keine Impfpflicht. Wenn Sie für eine Impfpflicht sind, dann bitte auch bei Corona eine altersspezifische Impfpflicht in Betracht ziehen. Schaut man sich mal die Altersstruktur der intensivpflichtigen Patienten an, dann sind dort 80% der Patienten über 50 Jahre alt. Wir würden also das Gesundheitssystem extrem entlasten (und darum soll es ja gehen, oder?), wenn wir altersspezifisch priorisieren würden.

Bei aller Freude darüber: Und die besonderen Corona-Bedingungen haben keinerlei Einfluss gehabt??
Wie die bspw. ausgebliebene Grippewelle?
Warten wir mal lieber die Zeit nach Corona ab; es wäre schön, bliebe die “Masernlage” so.

Schreiben Sie einen Kommentar