Die kommende Bundestagswahl dürfte spannend werden – auch in den beiden Leipziger Wahlkreisen. Etwas mehr als zwei Monate vor der Wahl hat sich die Leipziger Zeitung (LZ) mit Kandidat/-innen aus dem nördlichen Wahlkreis 152 zum Gespräch getroffen. Im ersten Teil des Interviews mit Nina Treu spricht die Kandidatin der Linkspartei über ihre Motivation, in die etablierte Politik zu gehen, über die Wichtigkeit, Klima- und Gerechtigkeitsfragen miteinander zu verbinden, und über den Begriff „Sozialismus“.

Sie sind 2018 in die Linkspartei eingetreten, davor fand Ihre politische Arbeit in aktivistischen Gruppen und vor allem im Bereich der Bildungsarbeit statt. Wodurch reifte die Entscheidung, in die etablierte Politik zu gehen?

Ich versuche mit meiner Kandidatur die Inhalte, für die ich schon seit Jahren stehe, in andere Sphären zu bringen. Mein Ziel ist es nicht, im Bundestag die besten realpolitischen Gesetze für den Klimaschutz vorzulegen oder die profilierteste Frau in einem ganz wichtigen Ausschuss zu sein. Mein Ziel ist es, deutlich zu machen, dass wir dringend Lösungen brauchen, die ein anderes Wirtschaftssystem beinhalten. Ich möchte diese radikale Klimagerechtigkeitsperspektive in dieses Gremium bringen.

Meine Erfahrung ist, dass das, was realpolitisch besprochen wird, und das, was sowohl soziale Bewegungen als auch wissenschaftliche Institute fordern, völlig auseinandergedriftet ist. Mein Verständnis von Wandel ist nach wie vor, dass wir starke soziale Bewegungen und Gewerkschaften brauchen. Doch wir brauchen auch die Verbindung zu den Parteien.

Ihr zentrales Thema ist eine klimagerechte Wirtschaft. Wären Sie nicht bei den Grünen besser aufgehoben?

Der Brückenschlag von sozialen Bewegungen in die Politik funktioniert in der Linken am besten. In der Linkspartei sind viele Leute, die sich um gute Bewegungskontakte bemühen. Bei den Grünen gibt es zwar auch vereinzelt solche Leute, aber das könnte viel stärker sein.

Außerdem ist die Linke inhaltlich sehr nah an den Themen, die mich bisher beschäftigt haben, beispielsweise der Widerstand gegen G8, gegen die NATO, gegen Studiengebühren und eben auch der Einsatz für Klimagerechtigkeit.

Einer meiner ausschlaggebenden Gründe, in die Linke einzutreten, ist mein Wille, Politik jenseits der Blase zu machen. Bei den Grünen sind vor allem ökologisch sehr aktivierte Akademiker/-innen organisiert. Für einen klassenübergreifenden Ansatz ist die Linke viel sinnvoller, da dort Menschen aus unterschiedlichen Milieus organisiert sind. Und ich nehme die Linke vor Ort als viel glaubwürdigere Stimme des Ostens wahr.

Mein Ziel ist ja, Klima- und Gerechtigkeitsfragen miteinander zu verbinden. Ich sehe ein viel stärkeres Potenzial, Ökologiefragen in die Linke zu tragen, als Gerechtigkeitsfragen in die Grünen, die gerade auf einem totalen Realokurs sind.

Die Linke steht zwar nicht konkret für ein anderes Wirtschaftssystem, aber für einen Sozialismus, der ausbuchstabiert werden muss, und gegen den Kapitalismus. Das ist bei den Grünen nicht mehr so. An der Basis gibt es bei Grünen und Linken, glaube ich, viele ähnliche Debatten. Aber der Kurs, den die Grünen auf höherer Ebene gerade fahren, bewegt sich weg von dem, was ich gut finde.

Sie haben gerade schon das Stichwort „Sozialismus“ genannt. Auf Ihrer Website und in weiteren Wahlkampftexten sprechen Sie immer vom „sozial-ökologischen Umbau“, das Wort „Sozialismus“ kommt selten bis nie vor. Ist das eine bewusste Entscheidung?

Es ist mein Ziel, dass wir diesen Begriff nutzen können, weil er hilft, eine Vision zu haben. Doch das Wort „Sozialismus“ schreckt viele Leute ab. Deswegen rede ich lieber davon, dass wir die Wirtschaft sozial-ökologisch umbauen müssen. Das Problem mit Begriffen wie „der Sozialismus“ oder „der Kommunismus“ ist, dass die Leute oft denken, dass es um einen Endzustand geht, dass wir irgendwann das perfekte System erreicht haben. Dabei ist eine Gesellschaft ein fließendes System.

Sie kommen aus einem akademischen, progressiven Milieu, verlinken auf Ihrer Website wissenschaftliche Papiere, Ihre politischen Schlagworte sind „Degrowth“ und „Postwachstum“. Gleichzeitig wollen Sie im Namen der Linkspartei Politik für die „kleinen Leute“ machen. Wie stellen Sie sicher, dass Sie diese Menschen erreichen?

Genau deshalb rede ich vom sozial-ökologischen Umbau. Viele Menschen haben ein gutes Alltagsverständnis dafür, dass das jetzige System ausgedient hat. Die Leute wissen, dass der Kapitalismus ihnen nicht mehr das bringt, was er ihnen verspricht, und dass wir das Klima gerade verheizen. Sie wissen, dass wir uns alle auf die Suche machen müssen. Ein Teil der Politikverdrossenheit kommt daher, dass die Politik keine alternativen Lösungen bietet, wohin es bei dieser Suche gehen sollte.

Deshalb spreche ich gezielt an, dass soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammenhängen. Ich habe das Gefühl, die Leute sind dafür total offen. Die Postwachstumsperspektive sagt, dass in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum möglich ist. Das verstehen die Leute. Sie wissen, dass der Planet begrenzt ist und dass wir immer mehr Produkte haben, deren Laufzeiten immer kürzer werden.

Gleichzeitig ist es auch ein Experiment und das Einzigartige an meiner Kandidatur, dieses Thema im Wahlkampf unterzubringen.

Der zweite Teil des Interviews erscheint am Mittwoch, dem 28. Juli.

Auf dieser Seite sammeln wir alle Interviews mit den Kandidat/-innen.

In der kommenden Print-Ausgabe der Leipziger Zeitung (LZ) (erhältlich ab Freitag, dem 30. Juli) finden Sie einen Schwerpunkt zur Bundestagswahl.

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Es gibt 8 Kommentare

Schön gesucht.

Dieses buzzing “volle Verfügungsmacht” über Privateigentum steht gerade so nicht im Grundgesetz. Art. 14 ist schon sehr gut.

Weiß nicht, was Sie am Kapitalismus so toll finden. Im echten Kapitalismus haben Sie für alles selbst zu zahlen. Da wird zB ein Arztbesuch sehr teuer. In den USA Alltag…

“Das deutsche Grundgesetz lässt formal jede Wirtschaftsordnung zu, sofern sie das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet. Die Grundrechte der Handlungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit, Berufsfreiheit und des mit voller Verfügungsmacht verbundenen Privateigentums auch an Produktionsmitteln sind mit einer voll entwickelten und dauerhaften Zentralverwaltungswirtschaft unvereinbar (Sozialismus/ Planwirtschaft). “https://www.kas.de/de/web/soziale-marktwirtschaft/grundrechte-grundgesetz-und-soziale-marktwirtschaft

>Soziale Marktwirtschaft laut Grundgesetz und Sozialismus als Planwirtschaft sind zwei völlig verschiedene antagonistische Wirtschafts- und Sozialsysteme.

Buzzwords ohne Ende. Besonders dieses “antagonistisch” soll hier wohl beeindrucken.

Die Soziale Marktwirtschaft steht so gar nicht im Grundgesetz, und eine Planwirtschaft macht jede Firma und jede Regierung.

Wahrscheinlich mögen Sie und viele andere die Silben “so-zi-al” halt nicht, egal in welchem Wort.

Soziale Marktwirtschaft laut Grundgesetz und Sozialismus als Planwirtschaft sind zwei völlig verschiedene antagonistische Wirtschafts- und Sozialsysteme.

Leider liest sich die berufliche Laufbahn von Frau Treu wie die von zahlreichen Berufspolitikermenschen. Studium der Politikwissenschaft und “durchgefüttert” im parteinahen Dunstkreis von Stiftungen und Co.

Was unternimmt sie denn, um sich dann trotzdem in die Lage und Nöte von beispielsweise normalverdienenden Familien hineinversetzen zu können?
Denn das ist ein Punkt, an dem viele Berufspolitikermenschen, egal welcher Partei, leider scheitern.

Die “ökonomischen Grundlagen des Grundgesetzes der BRD” (liest sich ja richtig ostig) sind nicht klar kapitalistisch.

Das fängt schon bei Artikel 14 GG an. Und Ludwig Erhard – der mit der Sozialen Marktwirtschaft – wurde nicht als Verfassungsfeind verfolgt.

Mal davon abgesehen, dass es umgekehrt ist: Diese “Ökonomie” der BRD hat klar das Grundgesetz zur Grundlage zu haben. Art. 20 Absatz 1 GG steht dafür ein.

Bitte beim Bundestag ein kostenloses Exemplar des Grundgesetzes bestellen und unter einem Bundestagswahlplakat (kann frei ausgesucht werden) durchschmökern. Da gibt es viele tolle Sachen zu entdecken.

@saschok: Wo steht im Grundgesetz etwas zum Kapitalismus?
Der Klimawandel widerspricht auch dem Grundgesetz, trotzdem wird das GG nicht angepasst 🙂 Also handelt die Regierung verfassungsfeindlich. Haben ja die Richter bestätigt, als das Klimagesetz zurückgewiesen wurde.

Verfassungsfeindliches Benehmen ist, wenn ein Leipziger Bundestagsabgeordneter der CDU sein Mandat mit Sprüchen wie: “Ich schliesse mich meinen Vorrednern an” ausfüllt und zum Schutze der seiner CDU-Kameraden in der Landesregierung (Finanz- und Innenminister) nicht offensiv für die Förderung einer Sporthalle in Leipzig eintritt. Der ist zudem auch noch Mitglied im Ausschuss Sport!

LRR

Verstehe ich dass jetzt richtig ? Man will das System des Kapitalismus überwinden, was dann nichts anderes ist als die Systemfrage zu stellen ” … das System hat ausgedient. ” Die ökonomischen Grundlagen des Grundgesetzes der BRD sind klar kapitalistisch. Damit wäre die Politik der Linken offensichtlich verfassungsfeindlich oder ? Bitte das dann auch klar auf den Bundestagswahlplakate schreiben, dass jeder weiß was er da wählt….

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