Leipzig gründet mit den anderen Anliegergemeinden des Flughafens Leipzig/Halle eine Lärmschutzgemeinschaft – oder auch nicht. Das ist jetzt offen. Denn Mumm hat Leipzigs Verwaltung nicht. Nur jede Menge Bedenken, dass Leipzigs Beteiligung an einer Lärmschutzgemeinschaft „treuewidrig“ sein könnte. Beantragt hatte das die Grünen-Fraktion. Doch selbst so ein Thema erweckt Panik in einem Teil des Leipziger Stadtrates.

Panik, dass auch nur die kleinste Einschränkung im nächtlichen Fluglärm erst den Frachtflieger DHL vertreiben würde, der mit dem Flughafen schon wieder über weitere 25 Jahre Billigverträge für die Nutzung des Flughafens verhandelt. Und dann verschwinden alle Arbeitsplätze und der Flughafen selbst und die Autobauer. Man merkte in der Debatte am 13. März in der Ratsversammlung schon, wie fest die Geschichte vom Flughafen als unersetzlicher Wirtschaftstreiber in den Köpfen auch vieler Stadträte sitzt.

Und damit die Angst, diesem Frachtkonzern auch nur das Geringste an Zugeständnissen abzuringen, weil der dann weggehen könnte. Wohin auch immer. Also bleiben die Startgebühren im Billigbereich, wird an der Flugerlaubnis in der Nacht nicht gerüttelt.

Und führt das Amt für Umweltschutz zusammen mit dem Rechtsamt alle Geschütze auf, die suggerieren sollen, dass Leipzig bei möglichen Lärmschutzklagen riesige Geldsummen aufwenden muss und dann gar noch gegen den Freistaat Sachsen prozessiert, zum Beispiel, wenn der trotz aller Einwendungen der betroffenen Kommunen den Flughafenausbau genehmigt – basierend auf Lärmberechnungen, der hinten und vorne nicht stimmen, wie Grünen-Stadtrat Bert Sander noch einmal ausführlich analysierte.

Und dann würde die Stadt, so ihre Stellungnahme, noch gegen die eigene Rolle als Aktionär des Flughafens verstoßen.

Die Aktionärin Leipzig

Kurz zusammengefasst liest sich die städtische Position so. „Der Antrag ist abzulehnen, da kommunalrechtliche Haushaltsvorschriften umgangen werden sollen und die Stadt Leipzig die Kosten eines möglichen Rechtsstreits eigenständig tragen kann.

Als Aktionär der Mitteldeutschen Flughafen AG und damit mittelbar der Flughafen Leipzig/Halle GmbH könnte für die Stadt Leipzig der Beitritt zur beabsichtigten Lärmschutzgemeinschaft mit dem o. g. Zweck auch aus Gründen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten untereinander (d. h. zu den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie den Städten Dresden und Halle) und gegenüber der Gesellschaft treuwidrig sein.“

Eine Rolle, wie man sie auch in der Ratsversammlung im Februar schon erleben konnte. Leipzigs Verwaltung bringt es tatsächlich fertig, die Anliegen der Fluglärmbetroffenen zu würdigen – und gleichzeitig den Flughafen als Wachstumstreiber anzupreisen. Oder hat FDP-Stadtrat Sven Morlok nun einfach recht, wenn er zu bedenken gab, dass ausgerechnet eine Entscheidung für eine Lärmschutzvereinigung bedeuten würde, dass Leipzig sich endlich von den 2,7 Prozent Anteilen an der Mitteldeutschen Flughafen AG trennt? Also aufhört, auf beiden Seiten des Tisches zu sitzen und sich tatsächlich endlich „parteiisch“ für die Interessen der Fluglärmbetroffenen einsetzt?

Und auch Abschied nimmt von einem falschen Wachstumsdenken, wie es die Grünen-Stadträtin Schneider-Kaleri ansprach?

Bitte eine richtige Prüfung

In gewisser Weise teilten SPD-Stadtrat Andreas Geisler und Linke-Stadtrat Michael Neuhaus die Bedenken und schrieben einen gemeinsamen Änderungsantrag, den Bert Sander dann auch statt des Grünen-Antrags übernahm. Denn Prüfung ist die Mutter der Porzellankiste. Auch wenn Sander extra darauf hinwies, dass andere deutsche Großflughäfen wie Frankfurt, München oder selbst Köln/Bonn seit Jahren eine Lärmschutzgemeinschaft haben, wo dann tatsächlich einvernehmlich mit den Kommunen Lösungen für die Lärmbelastungen am Flughafen gesucht werden.

Denn dass der Verwaltungsstandpunkt nicht wirklich schlüssig erklärt, dass eine Lärmschutzgemeinschaft rechtswidrig ist, betonten sowohl Geisler als auch Neuhaus. Eine echte Prüfung steckt nicht dahinter.

Also formulierten sie als ersten Antragspunkt: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt

1. ein Rechtsgutachten hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit der Mitgliedschaft der Stadt Leipzig in einer Lärmschutzgemeinschaft, die sich aus den Umlandgemeinden des Flughafens Leipzig/Halle zusammensetzt, in Auftrag zu geben und darin unter anderem folgende Fragen zu klären:
a. Stellt die Mitgliedschaft in einer Lärmschutzgemeinschaft grundsätzlich, also unabhängig vom Inhalt ihrer Satzung, einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Mitteldeutschen Flughafen AG gegenüber dar?
b. Stellt die Mitgliedschaft in einer Lärmschutzgemeinschaft grundsätzlich, also unabhängig vom Inhalt ihrer Satzung, eine Umgehung kommunalrechtlicher Haushaltsvorschriften dar?
c. Unter welchen Voraussetzungen/Satzungsinhalten wäre die Gründung einer Lärmschutzgemeinschaft und die Mitgliedschaft der Stadt Leipzig rechtlich zulässig?“

Und eigentlich logisch käme dann Punkt 2: Wenn eine solche Gründung zulässig ist, sollte die Lärmschutzgemeinschaft auch gegründet werden.

Aber da wollte selbst ein Teil der Linksfraktion nicht mitspielen, für die sich Franziska Riekewald zu Wort meldete. Aus einer positiven Prüfung sollte eben noch nicht automatisch eine Gründung erfolgen. Und so fiel dann auch die Abstimmung aus: Eine knappe Ratsmehrheit stimmte mit 29:27 Stimmen dafür, ein Gutachten für eine mögliche Lärmschutzgemeinschaft in Auftrag zu geben.

Und eine größere Mehrheit stimmte mit 22:34 Stimmen gegen eine anschließende Gründung. Sodass die Stadt jetzt beauftragt ist, den Rechtsrahmen für eine Lärmschutzgemeinschaft zu prüfen.

Wenigstens kommt die Stadt mit ihrem recht rigiden „Nein“ erst einmal nicht durch. Denn welche Satzung dann eine mögliche Lärmschutzgemeinschaft bekommt, ist völlig offen, wie Michael Neuhaus betonte. Vielleicht zeigt die Prüfung genau den Spielraum, der dabei besteht.

Die Beispiele aus Frankfurt, München und Köln/Bonn aber zeigen, dass eine Lärmschutzgemeinschaft ganz und gar nicht bedeutet – wie FDP-Stadtrat Sven Morlok an die Wand malte –, dass der Flugbetrieb dann eingestellt wird und die Arbeitsplätze abwandern.

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Es gibt 2 Kommentare

Auch Städte und Landkreise gesellschaftsrechtlich am Flughafen Leipzig zu beteiligen war keine “perfide Idee” sondern dem bundesdeutschen Rechtssystem geschuldet, das nach dem Zusammenbruch der DDR den neu aufzubauenden Verwaltungen und Parlamenten auf dem Gebiet der der “neuen Länder” aufgedrückt wurde. Das Mitspracherecht für zukünftige Entwicklungen beim Flughafenausbau erschien gegenüber dem Nicht-mitreden-können aus DDR-Zeit schon als demokratischer Fortschritt und als wünschenswerte Verbesserung. Und die damals (1990-1994) mit dem Neuaufbau von Verwaltungen befassten Ostdeutschen wußten es oft leider nicht besser, denn sie kannten die bundesdeutschen verwaltungstechnischen Gegebenheiten einfach nicht. Woher auch, denn die DDR-Bürger kannten den “Westen” nur über das Fernsehen und Radion, nicht über eigene Anschauung, da Reisen ins NSW erst als Rentner möglich waren (mit 15 DM Reisegeld). Die Nachteile sehen wir jetzt natürlich anders mit 30 jähriger Erfahrung im Umgang mit bundesdeutschem Recht und Verwaltung.

War es eine perfide Idee, oder doch nur Dummheit, Städte gesellschaftsrechtlich an Flughäfen zu beteiligen, die in unmittelbarer Nähe Freud und Leid entfachen?
Es spielt den mit – vielleicht unberechtigten – Skrupeln behafteten Kleinpolitikern oder Reichsbedenkenträgern in die Hände, Vorbehalte oder Einwände von Bürgern lieber liegen zu lassen oder zu ignorieren, weil man könnte ja einen Rechtsbruch oder Interessenskonflikt begehen.
Unabhängig vom blinden Eifer, in diesem Flughafen DEN Heilsbringer für die Region zu sehen und das auch noch ständig zu propagieren.

Da die 2.7% offensichtlich bisher nie zu einem für Leipzig brauchbarem Veto geführt haben, kann man sich auch davon trennen und “frei machen”.

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