Warum läuft der Leipziger Haushalt eigentlich derart aus dem Ruder, dass er kaum noch in den Bereich der Genehmigungsfähigkeit kommt? Warum kann Leipzig nur noch mit neuen Schuldenaufnahmen überhaupt noch in wichtige Infrastrukturen investieren, Schulen bauen, Brücken und Straßen? Die Antwort steckt in den vielen Pflichtaufgaben, die die Stadt erfüllen muss, ob sie will oder nicht. Doch wie teuer diese Pflichtaufgaben werden, das wird in Berlin und Dresden entschieden. Also stellte die Linksfraktion im Stadtrat eine richtig arbeitsaufwendige Anfrage.
„Eine Vielzahl von Aufgaben wurde per Gesetzeskraft durch Bund und Land in den vergangenen Jahrzehnten auf die Kommunen und Landkreise übertragen, ohne im Ansatz eine ausreichende Finanzierung bereitzustellen. Der Grundsatz, wer bestellt – bezahlt, spielt für die beiden Gebietskörperschaften scheinbar kaum eine Rolle mehr“, stellte die Linksfraktion darin fest.
Und wollte dann konkret wissen: „1. Welche konkreten Aufgaben wurden von Bund und Land auf die Stadt Leipzig übertragen und welche Erträge (Einzahlungen) und Aufwendungen (Auszahlungen) stehen demgegenüber? Wir bitten um Einzelaufstellung. 2. Wie hoch sind die Gesamterträge/-einzahlungen (getrennt nach Bund und Land) sowie Gesamtaufwendungen/-auszahlungen insgesamt für die Aufgabenübertragung? 3. Wie viele MitarbeiterInnen sowie Vollzeitäquivalente (VZÄ) werden für die Erfüllung der übertragenen Aufgaben in der Verwaltung der Stadt Leipzig benötigt?“
Große und kleine Posten in allen Dezernaten
Wer gehofft hatte, dass das Leipziger Finanzdezernat es schaffen würde, diese umfassende Aufstellung mit Ein- und Auszahlungen bis zur Ratsversammlung am 27. August fertigzustellen, der war viel zu optimistisch. Denn das Problem durchzieht alle Dezernate. Manchmal mit simplen zusätzlichen Stellen, die eingerichtet werden müssen, um Pflichtaufgaben abzudecken.
Manchmal mit Materialkosten – wie bei den elektronischen Endgeräten für die Schulen, wo Land und Kommunen vereinbart hatten, dass der Freistaat die Geräte für die Lehrer komplett bezahlt und die für die Schüler zur Hälfte. Und dann setzte das Land seinen Beitrag im Doppelhaushalt 2025/2026 einfach auf null.
„Ein Bruch fester Vereinbarungen“, wie OBM Burkhard Jung am 27. August sagte, als Linke-Stadträtin zumindest noch ein wenig nachfragte, weil sie verstand, dass das Finanzdezernat so viele konkrete Daten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammenhaben konnte. Die Liste (die in der ersten Antwort mitgegeben wurde) werde weiter aufgefüllt, so Finanzbürgermeister Torsten Bonew, den die Zahlen natürlich genauso brennend interessieren dürften.
Denn mit dem Fragepaket zielte die Linksfraktion ins Eingemachte. Eindeutig ist die aktuelle Finanzknappheit in Leipzig nämlich nicht selbstverschuldet. Insbesondere die vielen zugewiesenen sozialen Aufgaben von der Bundesebene hätten den Etat der Stadt regelrecht in Bedrängnis gebracht, hatte auch OBM Burkhard Jung schon in der Haushaltsdebatte erklärt.
Da kann der Stadtrat über Kürzungen und Einsparungen beschließen, was er will – sie betreffen immer nur den freiwilligen Bereich, den die Stadt selbst gestalten kann.
Wenn sie Schwarze Null die Kommunen in die Schulden treibt
Wenn aber allein schon die von Bund und Land bestellten Pflichtposten den 2,8-Milliarden-Euro-Haushalt sprengen, steht die Stadt da wie ein begossener Pudel, kriegt den Haushalt nicht genehmigungsfähig. Und die Landesdirektion spielt den Zuchtmeister und verzögert die Genehmigung, sodass selbst das Tagesgeschäft in vielen Dezernaten zum Stillstand kommt. Und das, obwohl auch das Land mit seinen Aufgabenzuweisungen eine Rolle dabei spielt, dass der Stadthaushalt gesprengt wird.
Da gibt es hunderte kleiner Posten, die „so nebenbei“ anfallen, wenn in Dresden oder Berlin mal wieder ein Gesetz neu justiert wird. Aber es betrifft auch richtig heftige Posten wie die Hilfen zur Pflege, wie Burkhard Jung anführte, wo die Kosten allein in den letzten fünf Jahren von 25 auf 50 Millionen Euro angewachsen sind.
Oder so formuliert: Insbesondere der Bund hat immer mehr Sozialkosten auf die Kommunen abgewälzt, um irgendwie seine „Schwarze Null“ hinzubekommen (und am Ende trotzdem weiter Schulden zu machen, weil die Grundfinanzierung nicht stimmt). Und die Kommunen mussten dafür ihr Tafelsilber angreifen.
Allein in Leipzig haben sich in den letzten zwei Jahren die Schulden auf über 1 Milliarde Euro verdoppelt, weil die Stadt praktisch alle Investitionsvorhaben nun auf Kredit bauen muss, weil der reguläre Haushalt keinen Puffer mehr hat.
Aber bis Torsten Bonew die tatsächliche Bilanz dieses Verschiebebahnhofs auf Kosten der Kommune vorlegt, wird es noch eine Weile dauern. Die Liste werde vervollständigt, versprach er. Und die Zahl, die dann am Ende unterm Strich steht, dürfte auch die konservativen Fraktionen im Stadtrat überraschen, die sich eher ungern mit der tatsächlichen Finanzmechanik einer Stadt (oder eines Landes) beschäftigen. Aber gerne gewaltige Kürzungsvorschläge machen.
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Es gibt 4 Kommentare
Ist es nicht so, daß das Agieren der Landesdirektion Teil des Problems ist, lieber Autor? Wobei ich vermute, daß man dort kein Ermessen hätte. Oder doch?
@TLpz
“„Eine Vielzahl von Aufgaben wurde per Gesetzeskraft durch Bund und Land in den vergangenen Jahrzehnten auf die Kommunen und Landkreise übertragen, ohne im Ansatz eine ausreichende Finanzierung bereitzustellen.”
Wir reden hier nicht von einem plötzlichen Schicksal, sondern von einer Entwicklung, die Jahrzehnte zurückreicht. Offensichtlich war viel Zeit, so etwas auf die Beine zu stellen.
@Christian
Weil die Aufstellung einer solchen Liste, dass wird im Rahmen der Anfrage deutlich, eine immense Zeit und Manpower in Anspruch nimmt. Und weil die Kürzungen von Land und Bund auch recht kurzfristig bekannt werden. Die Haushaltspläne werden ja in etwa zur gleichen Zeit erarbeitet. Und weil letztendlich auch die Liste nichts daran ändert, dass die entsprechenden Posten ja trotzdem irgendwie bezahlt werden müssen. Zumindest die der Pflichtaufgaben.
Für mich stellt sich die Frage, warum das Finanzdezernat nicht längst selbst eine entsprechende Darstellung erarbeitet hat – gerade wenn tatsächlich gilt, dass die übertragenen Aufgaben den Haushalt überlasten.
An der Stelle eines Dezernenten würde ich alles daransetzen, umfassend aufzuklären, weshalb Mittel fehlen und neue Schulden notwendig werden. Damit hätte man schon frühzeitig eine faktenbasierte Argumentationsgrundlage gegenüber den Leistungsbestellern gehabt und könnte diese auch öffentlich vertreten.