Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bekommt jetzt einen Brief von den Bürgerinitiativen, die seit Jahren gegen den ausufernden Fluglärm am Flughafen Leipzig/Halle und die Ausbaupläne des Flughafens protestieren. Anfang September war er bei der Eröffnung des „LEJ Campus“, der eigentlich – wie es Matthias Zimmermann formuliert – nach dem eigentlichen Nutzer wohl eher „DHL Campus“ benannt werden sollte.

Kretschmer war bei dem Termin zur Eröffnung des „LEJ Campus“ voll des überschwänglichen Lobes ob der Erfolgsgeschichte Flughafen Leipzig/Halle. Hinsichtlich der immer stärker werdenden und nicht mehr zu überhörenden Kritiken an der DHL-Ansiedlung bzw. dem geplanten Ausbauprojekt signalisierte der Ministerpräsident nun Gesprächsbereitschaft.

Ein Angebot, das die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ nun annahm und gleich noch mit einem Brief an den Ministerpräsidenten reagierte – nicht nur persönlich an seine Amtsadressen, sondern als Offenen Brief auch für die interessierte Öffentlichkeit.

Die im Brief erwähnte Broschüre erhalten auch alle Abgeordneten des Sächsischen Landtages, die Stadträte von Leipzig und Schkeuditz sowie die Bürgermeister der am derzeit laufenden Planfeststellungsverfahren beteiligten Städte und Gemeinden.

Der Offene Brief

27. September 2023
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

anlässlich der Eröffnung des „LEJ Campus“ Anfang September diesen Jahres waren Sie voll des überschwänglichen Lobes für ein „Erfolgskonzept“, das Ihrer Ansicht nach ein „Meilenstein in der Entwicklung dieser Region“ darstellt. Sehr viele Bürger und Politiker sehen dies aber ganz anders.

Interessant ist, dass dieses „klare Standortbekenntnis“ seitens der DHL gerade in einen Zeitraum fällt, in dem die bedeutendste Petition der letzten Jahre im Sächsischen Landtag anhängig ist („Kein weiterer Ausbau des Frachtflughafens Leipzig/Halle“) und ein Planfeststellungsverfahren (PFV) zu eben diesem Ausbau läuft; ein PFV übrigens, welches inhaltlich vor Mängeln strotzt, welches von der Mehrheit der betroffenen Kommunen in vorgelegter Form abgelehnt wird, gegen welches bereits in der ersten Auslegung 6.500 Einzeleinwendungen vorlagen und zudem nach derzeitigem Stand der notwendig gewordenen Zweitauslegung nochmals über 1.500 Einwendungen hinzugekommen sind. Infolgedessen wirkt die jetzige Zementierung von DHL am Leipziger Flughafen geradezu wie eine Provokation gegenüber den vorgenannten Kritikern.

Mit Interesse und auch mit Freude haben wir allerdings vernommen, dass Sie offensichtlich nun einen Schritt auf die Kritiker der Ausbaupläne zugehen wollen. Wir sind gespannt, ob unsere Probleme diesmal tatsächlich fair erörtert und auch in unserem Sinne gelöst werden oder ob die wirtschaftlichen Interessen der DHL erneut alleiniges Ausrichtungsmerkmal im Diskurs sind. Bislang hatten sich derartige Ankündigungen und Gremien lediglich als heiße Luft entpuppt. Der Slogan „Wir nehmen die Sorgen und Nöte der Bürger ernst“ diente lediglich zum Window-Dressing, aber nicht der Problemlösung.

In diesem Zusammenhang verweisen wir auf das Programm der sächsischen Ampel-Regierung. Nüchtern betrachtet hat diese Landesregierung bezüglich ihrer eigenen Zielsetzungen im Koalitionsvertrag in Bezug auf die Fluglärmproblematik bisher fast nichts umgesetzt:

• Reduzierung der Fluglärmbelastung – negativ
• Spreizung der Start- und Landeentgelte – im vorliegenden Ergebnis negativ
• Gleichmäßige Bahnverteilung – negativ
• Abschaffung der kurzen Südabkurvung – negativ
• Neuaufstellung Fluglärmkommission – negativ
• Fluglärmschutzbeauftragter – positiv die Schaffung der Stelle, negativ im bisherigen Ergebnis

Wir nehmen also gerne, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Ihr Angebot eines direkten Dialoges auf höchster Landesebene an. Gern stellen wir uns auch einer öffentlichen Diskussion. Wir sind sicher, eine der führenden lokalen Zeitungen der Region kann dies organisieren.

Einen ersten Überblick über die neuesten Erkenntnisse zur fehlenden gesamtwirtschaftlichen Effizienz der geplanten Ausbaumaßnahme können Sie aus unserer neuen Broschüre entnehmen, die wir diesem Brief beilegen.

Nach den Verwaltungsvorschriften des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen zur Sächsischen Haushaltsordnung muss sich eine Entscheidung in Bezug auf eine öffentliche Investition am gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtseffekt ausrichten (zu § 7, B 9.1 VwV-SäHO). Die ökonomische Vorteilhaftigkeit ist nur dann gegeben, wenn unter Berücksichtigung auch sämtlicher sozialer Kosten immer noch ein Nutzenüberhang verbleibt. Dies ist beim Flughafen Leipzig/Halle in Anbetracht der aktuellen ökonomischen Entwicklung stark in Zweifel zu ziehen.

Neben wirtschaftlichen Aspekten ist auch der Klimaschutz ein wesentliches Beurteilungskriterium. Der Beschluss des BVerfG vom 24.03.2021 stellt nämlich heraus, dass die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates auch die Verpflichtung umfasst, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen.

Deshalb ist eine Rückführung des Flugbetriebes vor diesem Hintergrund zwingend erforderlich, und das wird international auch bereits umgesetzt.

Wir freuen uns auf interessante Diskussionen und hoffen, dass Sie unsere Belange im Blick behalten und auf einen Interessenausgleich hinwirken.

Herzlichen Dank im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Zimmermann
Pressesprecher
BI „Gegen die neue Flugroute“
Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“
Postfach 26 01 10
04139 Leipzig
Im Namen des Aktionsbündnisses gegen den Flughafenausbau Leipzig/Halle (LEJ)

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Es passt das klare „klare Standortbekenntnis“ seitens der DHL, wenn es auch staatlicherseits doch eine (wohl rechtswidrige) Patronatserklärung gibt, oder gab? Stimmt es eigentlich dass der als Campus bezeichnete Bürotrakt potemkinscher Natur (vorne hui – hinten Baustelle / keine Hzg. diesen Winter für die haustarifierten Billiglöhner) ist? Leipzigs geliebtes Militärfrachtdrehkreuz eben, zum Wohle der Rendite.

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