Bislang war es immer so, dass die Deutsche Flugsicherung am Flughafen Leipzig/Halle immer neue Anflugverfahren zur Anwendung gebracht hat, die dann in der Fluglärmkommission als wunderbares Allheilmittel für den Fluglärm angepriesen wurden. Aber hohe Beschwerdezahlen und immer neue Einsprüche der betroffenen Kommunen haben Sachsens Fluglärmschutzbeauftragten gegenüber diesen Behauptungen höchst skeptisch gemacht.

Das sächsische Verkehrsministerium (SMWA) hat deshalb jetzt auf Anregung des Fluglärmschutzbeauftragten (FLSB) Jörg Puchmüller eine wissenschaftliche Studie beauftragt, die eine optimierte Wiedereinführung des „Point-Merge“-Anflugverfahrens (PM) am Flughafen Leipzig/Halle untersuchen soll. Dabei sollen auch wichtige Rahmenbedingungen wie die CO₂-Bilanz durch einen höheren Kerosinverbrauch und die Lärmbetroffenheit berücksichtigt werden, betont das Ministerium.

Zum Projektstart trafen sich am Dienstag, dem 15. August, auf Einladung des FLSB Jörg Puchmüller und des beauftragten Unternehmens Fachleute der Luftfahrtbehörde, des Flughafens Leipzig/Halle, des Flughafens Berlin Brandenburg sowie des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Dresden.

Fluglärmreduzierung – nur wie?

„Im aktuellen Koalitionsvertrag hat sich die Sächsische Staatsregierung klar dazu bekannt, sich im Interesse der Bürger für eine weitere Reduzierung der Fluglärmbelastungen im Ballungsraum Leipzig/Halle einzusetzen. Insbesondere Leipzig und die südlichen sowie östlichen Gebiete um die Stadt könnten durch eine mögliche Wiedereinführung des PM-Verfahrens vom Fluglärm effektiv entlastet werden. Die jetzt beauftragte Studie wird zeigen, ob und unter welchen Bedingungen das umsetzbar ist“, sagt Ines Fröhlich, Staatssekretärin für Mobilität im Freistaat Sachsen.

Das Point-Merge-Verfahren basiert auf einem kreisbogenförmigen Anflugbereich. Durch diesen werden alle Flugzeuge über individuelle Anflugrouten zum sogenannten „Merge Point“ navigiert. Hier werden die Flugzeuge für den Landeanflug gebündelt und formieren sich in einer Art Reißverschluss-System in einer Reihe. Die Flugzeuge werden dann strahlenförmig zum Endanflug auf die Landebahn geführt.

Bei dem PM-Verfahren handelt es sich somit um ein flexibles Anflugverfahren ohne feste Routen. Hieraus ergeben sich – so vermutet das Ministerium – Vorteile in Bezug auf die Flugeffizienz. Die Konzentration des Fluglärms nehme hierdurch insgesamt ab.

Das PM-Verfahren wurde in Leipzig/Halle bereits in den Jahren 2015 bis 2019 eingesetzt und hatte insbesondere hinsichtlich seiner Lärmauswirkungen am Boden Vorteile gegenüber dem sonst praktizierten schleifenförmigen Trombonen-Anflugverfahren, welches flughafennäher über dichter besiedeltem Gebiet stattfindet und parallele Anflüge ermöglicht.

Und dann wurde das Verfahren kurzerhand wieder eingestellt.

Mehr Kapazität für die Frachtgesellschaften

Laut Protokoll begründete das die Deutsche Flugsicherung damals so: „Mit der Einführung der neuen Anflugverfahren ist eine Kapazitätserweiterung im Anflugbereich möglich. Die Veränderung des Bahnnutzungskonzeptes trägt diesem Verfahren Rechnung. In der Nacht soll somit baldmöglichst auch eine gleichmäßigere Verteilung herbeigeführt werden, am Tage werden Anflüge im Sinne der Vermeidung von Bahnkreuzungen verteilt.“

Das klang so, als käme man den Fluglärmbetroffenen endlich mit einer gleichmäßigen Nutzung der Startbahnen entgegen. Aber das stimmt ebenso wenig: Bis heute erfolgen über 90 Prozent der nächtlichen Starts und Landungen auf der stadtnahen Startbahn Süd.

Die Bahnverteilung bei nächtlichen Starts und Landungen am Flughafen Leipzig/Halle. Grafik: Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“
Bahnverteilung bei nächtlichen Starts und Landungen am Flughafen Leipzig/Halle. Grafik: Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“

In derselben Sitzung beschloss die Kommission übrigens, die Sitzungsunterlagen der Fluglärmkommission nicht zu veröffentlichen. Sodass für die Betroffenen in keiner Weise nachvollziehbar ist, was in den Sitzungen tatsächlich besprochen wurde.

Die Protokolle, die oft erst lange nach den Sitzungen veröffentlicht werden, haben den Namen Protokolle nicht verdient.

Jetzt also eine Art Umschaltbetrieb?

Und so wird das Wirtschaftsministerium erst jetzt, vier Jahre später, deutlicher, wenn es feststellt, dass „die Betreiber das PM-Verfahren Ende 2019 u. a. aufgrund von zu erwartenden Kapazitätsproblemen durch den wachsenden Flugverkehr“ das Point-Merge-Verfahren einstellten. „Der bei einer Weiterführung benötigte, wachsende Luftraumbedarf hätte bis in den Anflugbereich des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) hineingereicht. Zudem wurden durch die Fluggesellschaften große Umwege bei geringer Verkehrslast beanstandet.“

In zahlreichen Gesprächen des Fluglärmschutzbeauftragten mit Fachleuten entstand dann die Idee, einen tageszeitlich abhängigen Umschaltbetrieb zwischen den beiden Anflugverfahren zu untersuchen.

„Da der BER bis auf wenige Ausnahmen nachts nicht angeflogen wird, könnte am Leipzig/Halle Airport mit seinem 24-Stunden-Betrieb in der sensiblen Nachtzeit das PM-Verfahren und tagsüber das bisherige Trombonen-Verfahren angewendet werden“, sagt der Fluglärmschutzbeauftragte Jörg Puchmüller.

Mit der bis Herbst 2024 laufenden Untersuchung wurde nach europaweiter Ausschreibung das auf solche Projekte spezialisierte Dresdner Ingenieurbüro „Gesellschaft für Luftverkehrsforschung“ (GfL) beauftragt. Finanziert wird die Studie vom SMWA.

Was ist das Ziel der Maßnahme?

Eine Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes bildet die Grundlage für mögliche Konfigurationen eines PM-Systems am Flughafen Leipzig/Halle, erläutert das Ministerium. Hierzu analysieren die Fachleute verschiedene PM-Systemlösungen hinsichtlich Fluglärm und CO₂-Emissionen. Dabei müssen sie auch den verkehrsreichen, räumlich nahegelegenen Flughafen BER und dessen luftraumseitige Anforderungen berücksichtigen.

Im Ergebnis sollte idealerweise eine zwischen Tag und Nacht differenzierte Systemlösung vorliegen, um beiden internationalen Verkehrsflughäfen mit ihren jeweiligen von der Tageszeit abhängigen Anforderungen an den Luftraum gerecht zu werden, so das SMWA. Hieraus soll eine Vorzugsvariante abgeleitet und diese in Abstimmung mit den Betreibern grob konzipiert werden.

Das PM-Verfahren wurde 2006 seitens der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (EUROCONTROL) entwickelt und gilt als fortschrittlich, da durch dessen Struktur freie Kursanweisungen seitens des Fluglotsen nicht mehr erforderlich sind. Das Verfahren startete 2011 in Oslo und 2012 in Dublin und ist mittlerweile für 38 Flughäfen in 19 Ländern auf vier Kontinenten im Einsatz, so das SMWA.

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