KommentarAls Brunhild Kurth (CDU) am 29. September 2017 von ihrem Amt der sächsischen Kultusministerin zurücktritt, begründet es die da 63-jährige Ex-Lehrerin mit persönlichen Motiven. Der Wunsch nach mehr Zeit für die Familie triebe sie nun quasi in Frührente. Ihr bildungspolitischer Vorgänger war da ehrlicher. Bereits 2012, also vor fast exakt sechs Jahren warf Roland Wöller (CDU) am 20. März das Handtuch, gab angesichts planloser Etatkürzungen im Schulbereich Sachsens medial lautstark auf. Nun, mit Christian Piwarz (CDU) kommt also die Schlussrechnung für einen neoliberalen Kurs, planloses Agieren seit zehn Jahren und Sparpolitik am „wichtigsten Rohstoff Deutschlands“: extremer Lehrermangel könnte nun zur Einsparung von Kunst, Musik und Sport an den sächsischen Schulen führen.

Als sich im Jahr 2014 im Leipziger Süden der Wahlkampf zur Landtagswahl in Sachsen entspinnt, hat die L-IZ.de eine naheliegende Idee. Eine Podiumsdebatte im Haus der Demokratie mit den Kandidaten im spannendsten Wahlkreis Leipzig durchzuführen. Hier droht der Christdemokrat Robert Clemen eines der zu dieser Zeit ausnahmslosen CDU-Direktmandate in Sachsen an die Linke Juliane Nagel zu verlieren.

Die Debatten sind hitzig, Nagel verlässt gar das Podium aus Protest gegen einen AfD-Teilnehmer, doch so manche unangenehme Wahrheit kommt ganz ohne diesen auf den Tisch, als das Thema „Lehrermangel in Leipzig“ angesprochen wird. Auf Nachfrage erklärt Clemen, dass hier die zu diesem Zeitpunkt noch mit der FDP regierende CDU in den Jahren zuvor wohl Fehler gemacht habe. Zu lange sei man mit den Geburtenraten und Abwanderungsbewegungen von 2005 in die Schul- und Lehrerplanungen im Freistaat gegangen.

2014 ist 2005 bereits neun Jahre her, die großen Städte im Freistaat wachsen seit spätestens 2012 wieder (Leipzig bereits seit 2011 um rund 7.000 – 10.000 Einwohner im Schnitt pro Jahr). Die Geburtenrate steigt seit einiger Zeit, so mancher Sachse kehrt in seine Heimat zurück, Studierte bleiben zunehmend in Leipzig und Dresden auch nach dem Hochschulbesuch – der Begriff “Hypezig” wird kaum zwei Jahre später die Seiten der Gazetten füllen.

Man wird sich einig, dass die Politik im Freistaat lernen muss, schneller auf neue Entwicklungen zu reagieren. Ja, das gelte auch für die Personalstärke der Polizei, der Ausstattung der Universitäten in den sächsischen Großstädten und der Menge und Ausbildung der Kitaerzieher. Auch im Schulbau möchte man nun die Städte besser unterstützen und mehr Lehrer würde es jetzt eh geben.

2014 wird viel versprochen, am Ende gewinnt Juliane Nagel das Direktmandat und die CDU darf noch einmal bis Sommer 2019 weiterregieren, nun mit der SPD zusammen.

Schon 2012 ist das Thema Lehrermangel sichtbar

Bereits zu diesem Zeitpunkt also sind die Schulplanungszahlen hoffnungslos veraltet, die Lehrerschaft in Sachsen ebenso in zunehmendem Maße. Es ist 5 vor 12, schon lange vor dem Rücktritt Wöllers. Will man den Beginn der Sparpolitik fixieren, dürfte dieser jedoch im Amtsantritt Stanislaw Tillichs und seines Finanzministers Georg Unland im Jahr 2008 liegen.

Mit Tillich und Unland geben ab da zwei Ingenieure – einer für Getriebetechnik (Tillich) und ein Maschinenbauer (Unland) – den Ton in der sächsischen Finanzpolitik an. Auch wenn Tillich oft fast unwissend wirkt, unter seiner Führung kann Unland diese Politik strikt auf Stellenabbau ausrichten: von 86.000 Landesbediensteten, also Polizisten, Verwaltungsmitarbeitern, Staatsanwälten, Richtern und eben Lehrern, will man hinab auf 70.000.

Zahlen, die wenig von dem preisgeben, was sie praktisch bedeuten, sie sind schön abstrakt und bedienen das Klischee vom fetten Staat, der endlich abgespeckt werden muss. Ob dann der Freistaat noch funktioniert, scheint zu diesem Zeitpunkt eher zweitrangig – Sparen first, Staatsversagen second.

Zum Glück werden die Sachsen das Ausmaß dieser Denkart nie in voller Größe und Schönheit erfahren – die 70.000 wird Unland nie erreichen, nie erreichen können. Denn die Unruhe wird von Jahr zu Jahr hörbarer.

Die Begründung für den straffen Kurs damals lautet: Es gibt immer weniger Sachsen! Das scheint die immer mehr werdenden Eltern neuer Sachsen vor allem in den Ballungsräumen wenig zu kratzen und das Amt für Statistik teilt mit: Seit 2011 kann Sachsen seit langem wieder Wanderungsgewinne verzeichnen und das auch gegenüber dem Bundesgebiet.

Doch ein Mann, ein Plan: Bis zu seinem Rücktritt im Herbst 2017 hält Finanzminister Georg Unland an diesem Schrumpf-Kurs fest, obwohl die Krise bereits bei da noch rund 82.000 (älter gewordenen) Landesbediensteten offenkundig ist und der Lehrerstand seit Wöllers Rücktritt nochmals sechs Jahre mehr der Überalterung auf dem Buckel hat. Bei steigenden Ansprüchen – seit 2015 kommen nun auch fremdsprachige junge Menschen vermehrt an die bereits vollgestopften Schulen, aus überwiegend homogenen Klassen von Muttersprachlern werden heterogene.

Schon vier Jahre nach dem Start Tillichs und Unlands beschreibt der scheidende Bildungspolitiker Wöller 2012 reichlich einmalig vonseiten der CDU die Misere in der Finanzpolitik Sachsens schonungslos, was bereits vor seinem Rücktritt allen politisch Aufmerksamen bekannt ist – es geht so nicht.

„Die Pläne führten zu einem Lehrerstellenabbau, erklärte er am Dienstag, den 20. März 2012 in Dresden. Für einen solchen Kurs könne und wolle er nicht die Verantwortung übernehmen“, schreibt der Spiegel am 20. März 2012 über Wöller. Das Ministerium bestätigt seinen Rücktritt und die Begründung dazu. Im gleichen Monat entbrennt übrigens auch ein neuerlicher Kampf um die Mittel für die Hochschulen – die CDU zieht gegen jede sachliche Kritik mit Wissenschafts-Staatsministerin Sabine Freifrau von Schorlemmer (parteilos) an der Spitze (bis 2014) und Georg Unland im Hintergrund ihren Stiefel durch.

Nur knapp entgeht in dieser Zeit das renommierte Institut für Theaterwissenschaft an der Uni Leipzig seiner Zerschlagung aus Kostengründen – exekutieren lassen will Unland die Sparerei durch die Hochschule selbst, der man ein neues „Hochschulfreiheitsgesetz“ verpasst hat. Übersetzt: Weniger Staat, mehr privat(e Finanzierungswege über sogenannte „Drittmittel“, Gelder aus der Industrie). Dafür setzt man nun die Daumenschrauben an.

Tillich, Unland und Kurth halten Kurs

An die Stelle von Roland Wöller kommt Brunhild Kurth (CDU) am 23. März 2012 ins Kabinett „Tillich II“ (2009-2014). Und die ehemalige DDR-Lehrerin wird bis 2017 die faktische Reduzierung der Lehrer pro Schüler in den kommenden fünf Jahren brav umsetzen. Die Schulklassen stoßen schon zwei Jahre vor Ende ihrer Amtszeit an die gesetzliche Grenze von 28 Schülern pro Klasse (mit Ausnahmegenehmigung 30).

Statt einer Ausbildungsinitiative an den Universitäten im Freistaat, Erhöhung der Bezahlung für Lehrer im Grund- und Gymnasialschulbereich gibt es als letzten Notnagel ein „Quereinsteigerprogramm“, bei welchem nicht ausgebildete Pädagogen auf normale Lehrerstellen gesetzt werden. Dieser Feldversuch am Nachwuchs läuft bis heute – mit eher mäßigem Erfolg.

Der „Gag“ am Rande: die FDP kämpft unterdessen für eine Aufwertung der „Mittelschule“ und setzt 2013 durch, dass es zukünftig „Oberschule“ heißen soll. Nun dürfen sich auch die Kinder der Schulart mit dem dramatischsten Lehrernotstand endlich bis zur 9. oder 10. Klasse auch „oben“ und nicht mehr „mittel“ fühlen, die FDP ist stolz auf das Erreichte und fliegt 2014 aus dem Landtag. Die Eltern in Sachsen haben angesichts der immer deutlicher werdenden Zustände an den „Oberschulen“ derweil längst begonnen, ihre Kinder gegen jede Bildungsempfehlung aufs Gymnasium hinaufzukämpfen.

Ein Gerichtsurteil im Jahre 2016 verschärft den Zustand: das OVG Bautzen stellt fest, dass Bildungsempfehlungen eben nur Empfehlungen, keine Festlegungen sind. Die Eltern müssen nicht darauf hören und die Politik bastelte hastig eine Neuregelung.

Das Wort „Resteschule“ macht die Runde, die Gymnasien füllen sich zusätzlich mit Schülern, die in der nach wie vor zu frühen Selektion nach Klasse 4 keine Bildungsempfehlung für einen 12-jährigen Schulbesuch erhalten haben.

Bis heute wird in Sachsen der Lehrerstand über alle staatlichen Schularten hinweg unterdurchschnittlich vergütet. Doch schlimmer ist wohl, dass sie schlicht seit Jahren zu wenige sind – das drückt selbst beim überzeugtesten Pädagogen irgendwann aufs Gemüt. Da wandern viele junge Menschen mit einem Lehramtsdiplom lieber gleich in andere Bundesländer ab. Oder müssen während der Ausbildung schon gehen, da das einjährige sächsische Referendariat in anderen Bundesländern nicht anerkannt wird – hier macht man zwei. Eine weitere sächsische Eigenart also, die man für schnell und pfiffig hält und das Gegenteil erreicht.

Bildungspolitik als Spielfeld für neoliberale Sparpolitik im Freistaat: die „wichtigste Ressource in Deutschland“ wird schon lange dem Wirken realitäts- und fachfremder Zahlenschieber im Finanzministerium ausgesetzt.

Man huldigt der „schwarzen Null“ im Staatshaushalt und begründet es mit der Zukunft der Kinder im Freistaat. Diese sitzen derweil in überfüllten Klassen und erhalten statt Einzelförderung, Lernbegleitung und Zuwendung zunehmend lehrplanorientierten Massenunterricht und Faktengewitter – wenn es dumm läuft in Vertretungsstunden von fachfremden Lehrern.

Vielleicht aber meinen die Verfechter der niemals nicht stattfinden dürfenden Verschuldung des Freistaates für Investitionen zum Beispiel in Bildungsausgaben ja auch die noch gar nicht geborenen Kinder und deren Kindeskinder – man weiß es nicht … Stattdessen hat der Freistaat systematisch Rücklagen aufgebaut, welche so nicht mehr für Investitionen zur Verfügungen standen und stehen. Wie das funktioniert, ist hier anhand des Jahres 2013 mal ausführlich beschrieben. 

Heute sind rund 10 Milliarden im Spartöpfchen des Freistaates gelandet. Und an den Schulen fehlen die Lehrer, in den Kitas die Erzieher. Und auch bei der Bürokratie rings um den reinen Unterricht tut sich nichts an den Schulen: Lehrer verbringen noch immer viel Zeit damit, Bildungsempfehlungen zu schreiben, ihre Arbeit zu dokumentieren statt zu unterrichten.

Abschiedsgesänge für einen Finanzminister

Brunhild Kurth (CDU) scheitert zeitgleich zum Tanz um die schwarze Null mit ihrem zaghaft gebackenen Reformtörtchen stets an der gut verschlossenen Tür Georg Unlands. Dieser hinterlässt neben dem nun offenbar gewordenen Schulchaos bei seinem Rücktritt am 14. Dezember 2017 laut Rechnungshof Sachsen zudem einen formidablen Sanierungsstau. Durch mangelnde Investitionen in die Immobilien des Freistaates sind sagenhafte 3 Milliarden Euro aufgelaufen, die der Steuerzahler zu tragen haben wird.

Zusammen mit dem schlechtesten Betreuungsschlüssel in ganz Deutschland in den Kitas, fehlenden Polizeibeamten und Verhandlungsstau an den Gerichten des Freistaates dürfte das Fazit für Unland bei Lichte betrachtet eher irgendetwas mit „nach uns die Sintflut“ richtiger sein. Die teils desaströse Finanzlage der sächsischen Kommunen aufgrund eines veralteten und bevormundenden Finanzausgleiches in Sachsen tut sein übriges – es geht hinter den üblichen Freundlichkeitsfloskeln der Politik eher ein Aufatmen durch Sachsen, als Unland seinen Hut nimmt.

Nichts davon hält natürlich den seit 2010 als finanzpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion auftretenden Jens Michel davon ab, seinem Ex-Chef im Finanzministerium die Note 1 mit Sternchen für seine Politik auszustellen: „Georg Unland war erfolgreicher Hüter der sächsischen Steuermittel. Der Freistaat hat ihm viel zu verdanken. Dass wir heute so gut dastehen, ist auch mit dem Namen Unland verbunden: Wir sind gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen, haben die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung und konnten mit Prof. Unland als Parlament das Neuverschuldungsverbot in die Sächsische Verfassung einarbeiten“, bewertet das Landesvorstandsmitglied der Sachsen-CDU das neoliberale Spar-Werk seines Parteikollegen.

Von den Auswirkungen der „niedrigen Pro-Kopf-Verschuldung“, welche mit einem Sanierungsstau und fehlenden Investitionen erkauft wurde, und den Folgen der „Wirtschafts- und Finanzkrise“ natürlich kein Wort. Knapp 2 Milliarden Euro haben die sächsischen Bürger für die Finanzabenteuer der ehemaligen SachsenLB bezahlt, der ÖPNV ist dramatisch unterfinanziert, doch man geriert sich lieber als „Autoland“ und Heimatidyll. Beides zerplatzt gerade im Windschatten des sogenannten „Dieselgates“.

Wie der Freistaat auf den Zuzug neuer Menschen bis hin zu schulpflichtigen Geflohenen reagierte, seit sich der Trend ab 2015 abzeichnete, ist nicht wirklich nennenswert. Auch das hat man letztlich laufen lassen. Ein Ergebnis Unlandscher Politik und Kurths Beitrag ist also neben dem 3-Milliarden-Sanierungsloch, einem rückschrittlichen ÖPNV in Sachsen vor allem der heutige Lehrermangel in allen Schularten, überfüllte Klassen und Stundenausfall von bis zu 10 Prozent (und mehr).

Piwarz zieht die Reißleine ohne Fallschirm

Christian Piwarz (CDU) hat letztlich nun, wo endgültig kein Normalbetrieb mehr möglich ist, als vierter Kultusminister in 10 Jahren die Reißleine zu ziehen. Nach der seit 2008 eingesetzten, zehnjährigen Scheuklappenpolitik hat er damit die Rolle desjenigen bekommen, den als letzten die Hunde beißen. Zumindest ist ja Roland Wöller wieder da, nun als Innenminister Sachsens – den kann er sicherlich nach den Geschichten damals fragen, helfen wird das auch nichts. Und der neue Finanzminister Matthias Haß ist gerade dabei, die Kommunen Sachsens mit Tropfen auf heiße Steine irgendwie in Gang zu halten.

Doch die Frist, seit spätestens 2012 deutlich verstärkt neue Lehrer durch eine letztlich siebenjährige Ausbildung zu schicken, ist abgelaufen. Die Übergangsphase mit pensionierten Lehrern erfolgreich zu gestalten, auch. Die Quereinsteiger geben verstärkt auf, die Lehrerkollegien sind nach Jahren der Missachtung – die letzte wohl der Abschuss des Schuldirektors Frank Haubitz als Kultusminister durch den neuen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zugunsten des Juristen Piwarz – frustriert.

Der Krankenstand ist unverändert hoch oder steigt, längst sind naturgemäß Fälle von innerer Kündigung bei gleichzeitigem Verbleib auf der Planstelle darunter. Die Kollegen, die weitermachen, baden es doppelt aus.

Nun will also Piwarz in einer Art Radikalkur genau die Fächer ausdünnen, welche den „allgemein gebildeten Menschen“ nach Wilhelm von Humboldt an der Schule ergeben könnten. Musik, Sport und Kunst. Doch auch das ist schon kurzfristig eine weitere hysterische Reaktion.

Man sieht es richtig vor sich, wie die ja weiterhin vorhandene Kunstpädagogin in den Matheunterricht einreitet und mit den jungen Wissenschaftlern Algebra bimmst. Zwar wird sie den Goldenen Schnitt in petto haben, aber es ist allgemein zu erwarten, dass sie einst aufgrund eigener Stärken nicht dringend ihre berufliche Zukunft in Wahrscheinlichkeitsberechnungen oder Faktorenanalyse suchte.

Der freiwerdende Sportlehrer wird dann Schwung in den Physikunterricht bringen, ob er hingegen das Tempo der neuen Bewegung berechnen kann, ist offen. Vielleicht aber kann er sich ja vom versetzten Musikpädagogen zumindest die Formel vorsingen lassen.

Auch langfristig kann man vor solchen Experimenten nur warnen. Die Krankenkassen dürften in ein nervöses Hallo verfallen, seit Ende vergangener Woche der nächste Schildbürgerstreich aus Dresden bekannt wurde, neben Musik und Kunst auch Sport auszudünnen. Seit Jahren steigen das Adipositasrisiko und die Fallzahlen von Übergewicht bei jungen Menschen an – da ist es sicherlich eine geeignete Maßnahme, neben schlechter Schulküche den Sportunterricht massiv einzuschränken. Schwimmen lernen ist dann endgültig fakultativ?

Pauken first. Ertrinken second?

Statt mit letztlich niederschwelligen Angeboten auch Sportmuffel hier und da ein bisschen in Wallung zu bringen, darf der Schüler dann nur noch stillsitzen und zuhören. Natürlich nur, wenn man die Ausgaben im Gesundheitswesen perspektivisch weiter steigern möchte.

Und auch das Singen im Musikunterricht hat mehr als nur einen kleinen Effekt. Der moderne Arbeitsalltag schreit nach Fachkräften, die sich artikulieren und im Team arbeiten können – da ist ein wenig Stimmbandtraining durchaus wertvoll, ein gemeinsames Chorstück verbindend. Zumal, wenn an nahezu keiner Schule noch aktive Theatergruppen existieren – man hat keine Zeit mehr für die schönen Künste, „Lernen“ first, Erfahren second. Später aber soll der Nachwuchs dann frei sprechen können, Reden halten oder Teams managen.

Das alles zusammen dürfte zu einer kulturellen Verarmung und Bewegungsarmut gerade derjenigen Schüler beitragen, deren Eltern keinen Zugang zu aktivem Sport, Musik und Malerei anbieten. Es trifft mal wieder die, welche es am nötigsten hätten.

Resumée

Meckern kann jeder. Über Bildung so und so. Fachmann ist gefühlt wohl auch jeder, schließlich ist die Schule ein Ort, den jeder erlebt hat und glaubt mitreden zu können. Nur geht es im Grunde längst nicht mehr um irgendwie gestaltende Bildungspolitik, im Freistaat Sachsen werden gerade Scherben einer gescheiterten Sparpolitik zusammengekehrt. Immer wieder hat die Opposition in all den Jahren gemahnt, Veränderungen gefordert und wurde abgebügelt.

Und erneut kneift die sächsische CDU vor einer echten Investitionsoffensive und wirklichen Reformen in den Lehrplänen. Und statt eine deutlichere Heraufsetzung der Lehrervergütungen in Sachsen, die finanzielle Gleichstellung von Oberschul- und Gymnasiallehrern und eine Aus- und Weiterbildungsoffensive anzupacken, wird schnell gekürzt und gestrichen.

Während man bei der Bundesregierung um Milliardenzuschüsse für die Braunkohleindustrie bettelt und die selbstgemachte Misere zu einem „ostdeutschen Thema“ hochjazzt, hört man wenig aus Sachsen, wenn es um einen echten Vorstoß in Sachen Bildungsfinanzierung geht. Ist ja auch nicht so leicht, wenn man sich jahrelang mit PISA-Ergebnissen den Blick auf die Realitäten verkleistert und den Vorzeigeschüler dank homogen deutscher Schulklassen ohne Inklusion und Integration gegeben hat.

Statt den Moment, wo man an der Wand steht, als den Zeitpunkt zum Abstoßen und Nachvorngehen zu begreifen, wird weiter gezögert und gekürzt. Nun halt an Musik, Sport und Kunst. Statt den Lehrplan von stur auswendig gelerntem Stopfgemüse zu befreien, Schule auch mit wenigen Lehrern beginnend als Erfahrungs- und Lernraum zu definieren, wird der Lehrplan auf die sogenannten MINT-Fächer plus ein bisschen Deutsch und Geschichte einjustiert und weiterer Frust an den Schulen gesät. Die Sportlehrer jedenfalls zeigten sich überaus begeistert von den neuen Vorschlägen, genau denen die Bewegung zu entziehen, die sie am wenigsten suchen.

Statt weniger als bis zu 27 reinen Unterrichtsstunden pro Woche plus Vor- und Nachbereitungen, geht es genauso weiter wie bisher. Krankheitsstand im Lehrerzimmer inklusive. Und statt Lehramtsabsolventen beste Startbedingungen zu bieten, sieht man weiter zu, wie sie sich in anderen Bundesländern bewerben, wo man neben höheren Gehältern auch noch mit langfristig weit teureren Verbeamtungen winkt.

Und während auf dem platten Sachsenland so mancher Prachtbau von Schule kleine Gemeinden ziert – weil so auch (zumindest in Vor-AfD-Zeiten) Wahlergebnisse generiert werden – kippt die Situation vor allem da, wo mittlerweile über 50 Prozent der Sachsen leben. In den Ballungsgebieten rings um und in den Großstädten. Aber vielleicht ist dies ja auch die Strafe für dieses ewige „links“-wählen der Großstädter? Vielleicht ist es ja der Gedanke – wer nicht unsere Lieder singt, singt gar nicht mehr?

Natürlich Blödsinn. Vielleicht aber hat man in Dresden vor allem eines vergessen. Es geht um Menschen, nicht um Tabellen, Kalkulationen und Messbarkeiten – Menschen sind kein Stückgut, keine Ware und kein „Produkt“, welches maßgefertigt und normiert werden muss. Es ist das Gleiche, was schon Piwarz Vorgänger abhielt, das Ruder herumzureißen und wirkliche Veränderungen durchaus gemeinsam mit der dauerwarnenden Opposition anzupacken: der neoliberale Gedanke, dass Privat vor Staat geht, demoliert vor allem in Sachsen zunehmend den letzten Rest Solidarität und Gleichbehandlung.

Er zerstört das Vertrauen in die Idee, dass Politik für das Gemeinwohl und Gleichberechtigung einstehen und für Ausgleich zwischen den Menschen sorgen muss, wenn sie den Rückhalt in der Mehrheit der Bevölkerung behalten will. Wer so vorgeht, muss sich nicht wundern, wenn die Menschen gleich eine Partei wählen, die auf das Gegeneinander der Gesellschaft, Ausgrenzung und noch mehr dümmliche Heimattümelei setzt.

Und es geht nicht zuletzt um die so gern von der Politik immer dann hervorgezerrten Kinder, wenn irgendwer die Worte „Staatsfinanzen“, “Schulden” und „Zukunft“ kräht. Eben jene Kinder, die zukünftig bestens ausgebildet und hochproduktiv die Altersruhegelder für Stanislaw Tillich, Georg Unland, Brunhild Kurth, Jens Michel und Christian Piwarz erarbeiten sollen. Kinder, die in “schlechteren Wohnvierteln” viermal weniger aufs Gymnasium kommen, als in den besseren.

Vielleicht husten sie ihnen aber auch was, wenn sie später verstehen, wie sie von diesen Politikern behandelt wurden, als “Auf-Kante-Nähen” im Lehrplan fest verankert wurde. Vielleicht können sie auch gar nicht, wie sie könnten und lassen es dann einfach. Aber vielleicht erläutern ihnen das ja die Gesellschaftskundelehrer schon mal demnächst im Unterricht. Wenn er denn stattfindet.

Schlusspunkt

Am 24. Mai 2014 verlieh der bis heute amtierende Landtagspräsident Matthias Rößler vier Fraktionsvorsitzenden – Steffen Flath (CDU, aus der Politik ausgeschieden), Martin Dulig (SPD, aktuell Wirtschaftsminister), Antje Hermenau (Die Grünen, aus der Politik ausgeschieden) und Holger Zastrow (FDP, heute Landesvorsitzender seiner Partei) – die Sächsische Verfassungsmedaille zur Würdigung ihres Wirkens um die Aufnahme des Neuverschuldungsverbots in die Verfassung des Freistaates Sachsen.

Ein Wirken unter der frohen Regie Georg Unlands. Selbst wenn der Freistaat nur wollte – einen wirklich namhaften Kredit zur Investitionsoffensive im Bildungsbereich darf er nicht aufnehmen. Er hat sich selbst kastriert. Bleibt eben derzeit nur noch den Unterricht zu kürzen und abzuwiegeln.

Vorschläge macht mal wieder die Opposition. Wie vor 10 Jahren auch. Vielleicht endet ja zumindest die ignorante Borniertheit in der sächsischen Regierung und man prüft gemeinsam, was geht und was nicht. Statt erneut die Fachkritik versierter Kollegen aus anderen Parteien erneut als Majestätsbeleidigung und Schaden am Freistaat zu deklarieren und selbst den nächsten Schaden am Freistaat zu verzapfen.

Hätte was von neuem Stil in Sachsen, dem Eingeständnis des Scheiterns Veränderungen folgen zu lassen, die alle verstehen. Es wäre ein Beweis, dass echtes Lernen lebenslang wichtig ist.

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