Wir leben augenscheinlich im Zeiten, in denen einige lautstarke Leute wieder mit aller Gewalt auf der Vernunft herumtrampeln und „Meinungsfreiheit“ mit der Benutzung des eigenen Verstandes verwechseln. Und die Aufklärung verdammen, die sie für alle Unbilden der Gegenwart verantwortlich machen. Aber man merkt ziemlich schnell, dass sie den bekanntesten Vertreter der deutschen Aufklärung entweder nicht verstanden oder auch nie gelesen haben. Zeit für ein paar knackige Zitate.

Ausgewählt hat diese für dieses neue Mini-Buch aus dem Buchverlag für die Frau Barbara Brüning, in Leipzig geboren, aber viel bekannter als langjähriges Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft für die SPD.

Ihr Abitur hat sie noch in Leipzig abgelegt, aber Philosophie, Slawistik und Erziehungswissenschaft hat sie dann in Hamburg studiert und auch als Hochschulprofessorin gearbeitet. Nicht ganz nebenbei veröffentlichte sie auch mehrere Bücher zur Philosophie und zur Ethik.

Und das geht ja bei Immanuel Kant beides fließend ineinander über. Was Kant ja bis heute aktuell macht als einen Philosophen, der die „reine Vernunft“ genauso kritisierte wie die „praktische Vernunft“. Das simple rationale Denken wird „der Aufklärung“ gern verallgemeinernd in die Schuhe geschoben werden.

Eine Denkweise, die aber den Menschen als fühlendes und moralisches Wesen immer ausklammert. Der Mensch „existiert als Zweck an sich, nicht bloß als Mittel“, schrieb Kant. Das Zitat kommt in Brünings Auswahl natürlich auch vor. Sie weiß, warum der Professor aus Königsberg, der seine Heimatstadt nie verlassen hat, heute noch immer aktuell ist.

Habe Mut!

Denn auch Moral gehört zur Vernunft. Und dazu gehört nun einmal auch Kants Wahlspruch: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Lauf nicht immer nur anderen Leuten nach und glaube jeden Quatsch, den sie dir einreden. „Die Trägheit vieler Menschen macht, dass sie lieber in anderer Fußstapfen treten, als ihre eigenen Verstandeskräfte anzustrengen“, schrieb Kant.

Er kannte seine Zeitgenossen, war gesellig und liebte gesellige Stunden mit Freunden. Und ihm war sehr wohl bewusst, dass viele Menschen es sich tatsächlich darin bequem machen, lieber nicht gegen allgemeine Vorurteile zu rebellieren.

Das gibt immer Beulen und Schrammen und Widerspruch. Und manchmal wird man auch ausgegrenzt und diskriminiert. Denn eine Gesellschaft der Schafe hält es nicht aus, wenn eines nicht mit der Herde blökt.

Eine Herde, die nur zu gern nach „Ordnung und Sicherheit“, „Grenzen dicht“ und strengeren Strafen ruft. Kant aber schrieb: „Die moralische Kultur muss sich auf Maximen gründen, nicht auf Disziplin.“

Er kannte seine Preußen und die preußischen Könige. Nicht grundlos blieb er lieber in Königsberg und lehrte lieber kluge Studenten (wie Herder), wie man sich des eigenen Verstandes bedienen sollte, damit man dann auch ein vernünftiges und moralisch anständiges Leben leben kann.

Wie die Mächtigen tickten, war ihm sehr wohl bewusst. „Die Lüge ist der eigentlich faule Fleck in der menschlichen Natur“, zitiert Barbara Brüning aus seinem Nachlass.

Moral und Eitelkeit

Er war ein Mann, der sehr wohl wusste, dass jeder Mensch mit einem Gewissen geboren wird. Nur einige treten es nur zu gern mit Füßen, wenn sie merken, dass sie sich damit Macht und Vorteile verschaffen können: „Gewissenlosigkeit ist nicht Mangel an Gewissen, sondern der Hang, sich an dessen Urteil nicht zu halten.“

Er wusste, dass auch die Gewissenlosen ein Gewissen haben – und trotzdem lügen, betrügen, verführen, nötigen und beleidigen. Wer von Kant noch gar nichts kannte, wird hier einen Philosophen finden, für den Moral und Vernunft niemals auseinanderklafften, für den es eine Aufklärung ohne Moral und Erkenntnis auch nicht geben konnte. Und für den Aufklärung eben nicht nur rationale Wissenschaft und die Verwandlung der Welt in Nutzen und Mehrwert war, sondern zuallererst ein moralischer Prozess.

Dass das übersehen wird, hat damit zu tun, dass meist englische Philosophen wie Thomas Hobbes, Adam Smith und John Locke als Zeugen für die Philosophie der Aufklärung zitiert werden. Was aber nur für den englischen Sprachraum gilt. Gerade Kant hat sich intensiv mit menschlichen Eitelkeiten beschäftigt, die immer wieder dazwischenfunken, wenn es eigentlich gilt, vernünftig zu handeln.

Der Mensch ist zwar in der Lage, die Welt rational zu erkennen. Aber selbst kluge Köpfe scheitern oft daran, die Fallen der eigenen Vorurteile, Eitelkeiten und moralischen Fehlschlüsse zu begreifen.

Erkenne dich selbst, hieß das bei den alten Griechen. Was wie ein Befehl klingt, aber so ungern befolgt wird. Auch weil Selbsterkenntnis Zweifel sät, das eigene Ich infrage stellt und die Fähigkeit zur Selbstkritik mit sich bringt.

Und die Einsicht in die eigene Fehlerhaftigkeit und Beschränktheit. Eigenschaften, mit denen man in der Regel weder König noch Parteiführer wird, nicht General oder Talkmaster. Aber wer die eigenen Vorurteile nicht sieht, wird auch keine unabhängige Forschung betreiben.

Kant wusste schon recht gut, wie schwer es sein würde, eine vernunftgeleitete Gesellschaft aufzubauen, wenn man die Sache wieder den Eitlen, Ruhmsüchtigen und Rücksichtslosen überließe. Den Hochmütigen und Unredlichen, die in dieser Zitatsammlung natürlich auch vorkommen.

Die Unabhängigkeit des Denkens

Ja, genau den Typen, die heute wieder auf den Armen und dem Bürgergeld herumdreschen. Auch dazu hat Kant einen einfachen Satz gesagt: „Was das Übel der Armut noch vergrößert, ist die Geringschätzung der Armen.“

Mit Barbara Brüning lernen die Leser/-innen Kant auch als einen kennen, der sich über Krieg und Frieden, das Weltbürgertum und selbst eine gerechte Verfassung einen Kopf gemacht hat. Aber auch über die Rolle der Arbeit als sinnstiftend im Leben der Menschen, über den Kosmos, das Lachen, die Frauen und die Geselligkeit.

Aber immer wieder kommt er an den Punkt zurück, an dem ein jeder an sich arbeiten muss, sich seiner eigenen Vernunft tatsächlich zu bedienen. Er wusste: „Alle Menschen haben Vorurteile, nur von verschiedener Art. Der allein ist davon frei, dem es leicht wird, die Sache von einem ganz anderen Gesichtspunkt zu betrachten.“

Womit man schon bei Jonathan Rauchs Plädoyer für die „Verfassung der Erkenntnis“ wäre, die nicht nur in den Institutionen der modernen Wissenschaft steckt. Ein Regelwerk, das genau das ermöglicht, was Kant fordert: das Einnehmen verschiedener Standpunkte, die Diskussion verschiedener Sichtweisen und die gemeinsame Suche nach dem, was wir als wahr zu erkennen vermögen.

Plural: „wir“. Denn nichts hindert so sehr an Erkenntnis wie Egoismus, Voreingenommenheit und Einbildung.

Es geht um die Unabhängigkeit des Denkens – nicht zu verwechseln mit dem Zeug, das manche Leute „Querdenken“ nennen. Aber Kant war sich auch dessen bewusst, dass die damaligen Schulen nicht wirklich geeignet waren, junge Menschen zum Gebrauch ihrer eigenen Vernunft zu erziehen.

Und wenn man ehrlich ist: Die heutigen sind es auch nicht unbedingt. Sie erziehen die Kinder genauso nur für eine Gegenwart, die am Altbewährten festzuhalten versucht. „Sie sollten sie aber besser so erziehen, damit ein zukünftiger besserer Zustand dadurch hervorgebracht werde“, meint Kant.

Selbst als Pädagoge liest sich dieser Kant sehr gegenwärtig. Ganz abgesehen davon, dass er zu knappen, sehr deutlichen Sätzen in der Lage war. Die freilich oft in dicken Büchern stecken, die meist nur noch an Philosophielehrstühlen gelesen werden. Barbara Brüning lädt dazu ein, diesen Kant jetzt einfach mal in der kleinen Form kennenzulernen und vielleicht sogar auf den Geschmack zu kommen.

Barbara Brüning Immanuel Kant Buchverlag für die Frau, Leipzig 2022, 5 Euro.

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