Nein, nicht einen Hauch von Rechtfertigung darf es für diejenigen Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion geben, die im Bundestag am 6. Mai 2025 im ersten Wahlgang gegen Friedrich Merz gestimmt und damit seine Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zunächst verhindert haben. Allein die Tatsache, dass Friedrich Merz im 2. Wahlgang mit 325 Stimmen „nur“ drei Stimmen weniger erhalten hat, als CDU/CSU und SPD insgesamt aufbringen können (328), zeigt an, dass es sich bei der Stimmabgabe im 1. Wahlgang um ein gefährlich-opportunistisches Spiel mit dem Feuer gehandelt hat.
Denn was hat sich zwischen dem 1. und 2. Wahlgang geändert? Nichts! Darum sind auch alle Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche, von den Medien herauf- und heruntergebetet – für das Stimmverhalten der mindestens 18 Abgeordneten abwegig: Es habe Verletzungen gegeben … man müsse alte Rechnungen begleichen … einige seien von den jeweiligen Fraktionsführungen ungerecht behandelt, andere bei der Postenvergabe nicht berücksichtigt worden.
Alle Abgeordneten konnten und können wissen: Die einzigen, die aus diesem schändlichen Manöver einen Nutzen ziehen können, sind die Demokratieverächter der AfD. Was für eine horrende Verantwortungslosigkeit von mindestens 18 Abgeordneten! Diese wird um keinen Deut kleiner durch Hinweise auf die persönlichen und politischen Unzulänglichkeiten eines Friedrich Merz (die ich übrigens sehr teile).
Die mindestens 18 Abgeordneten aus den beiden Koalitionsfraktionen haben mit ihrer Stimmabgabe deutlich gemacht, dass sie ihrem Mandat als Bundestagsabgeordneter weder politisch noch moralisch gewachsen sind. Natürlich ist ein Bundesabgeordneter in seinen Entscheidungen frei und allein an das Gewissen gebunden. Wenn aber ein Abgeordneter einer Fraktion angehört und diese in einem langen Prozess zu einem mehrheitlichen politischen Konsens kommt, dann gebieten es der Anstand und die Regeln der parlamentarischen Demokratie, in der Abstimmung diesem Konsens zu folgen.
Wenn das einem Abgeordneten nicht möglich ist, dann steht er in der Pflicht, dies zumindest partei- bzw. fraktionsöffentlich zu kommunizieren. Diesen Weg hat offensichtlich keiner der 18, die Merz im 1. Wahlgang nicht gewählt haben, beschritten. Im Gegenteil: Offensichtlich hat keiner vor dem Wahlgang im Bundestag zu erkennen gegeben, dass er oder sie mit Nein stimmen wird.
Wenn – wie oben erwähnt – diese Personen im 2. Wahlgang dann doch Friedrich Merz zum Bundeskanzler wählen, ohne dass sich irgendetwas an den Bedingungen geändert hat, dann ist es mehr als fahrlässig, einem solchen Verhalten noch irgendeine gute Absicht zu unterstellen oder dafür das Gewissen zu bemühen.
Nein, eine solche Haltung ist niederträchtig – denn sie unterscheidet sich in nichts von dem berüchtigten Tritt gegen das Schienbein, der unter dem Tisch bzw. per geheimer Wahl vollzogen wird. Solch feige Abgeordnete wollen Politik für Bürger/-innen machen? Die parlamentarische Demokratie repräsentieren? Wertegebunden entscheiden? Es kann einem nur angst- und bange werden angesichts solcher Unaufrichtigkeit, ja Verkommenheit im politischen Alltag.
Der Schatten, der am 6. Mai 2025 durch das Ergebnis des 1. Wahlgangs geworfen wurde, liegt weniger auf Friedrich Merz oder Lars Klingbeil. Der Schatten liegt nun über dem Parlament und der repräsentativen Demokratie. Beides ist nicht nur bedroht durch eine rechtsextremistische AfD. Beides ist auch beschädigt worden durch Abgeordnete aus demokratischen Parteien, die jetzt eine Regierung bilden. Was für ein Desaster! Kann dieser Schaden geheilt werden?
Christian Wolff, geboren am 14. November 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er lebt in Leipzig und ist gesellschaftspolitisch in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens engagiert. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/
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Es gibt 4 Kommentare
Das Moralischste ist doch, dass man auf der richtigen, der guten, Seite ist. Nichts mehr hinzuzufügen, der Artikel spricht für sich
Lied von der Partei (Die Partei hat immer recht)
Sie hat uns Alles gegeben.Sonne und Wind. Und sie geizte nie.Wo sie war, war das Leben.Was wir sind, sind wir durch sie.Sie hat uns niemals verlassen.Fror auch die Welt, uns war warm.Uns schützt die Mutter der Massen.Uns trägt ihr mächtiger Arm.
Die Partei,Die Partei, die hat immer recht.Und, Genossen, es bleibe dabei.Denn wer kämpftFür das Recht, der hat immer rechtGegen Lüge und Ausbeuterei.Wer das Leben beleidigt,Ist dumm oder schlecht.Wer die Menschheit verteidigt,Hat immer recht.So, aus leninschem Geist,Wächst von Stalin geschweißt,Die Partei, die Partei, die Partei!
Sie hat uns niemals geschmeichelt.Sank uns im Kampfe auch mal der Mut.Hat sie uns leis nur gestreichelt:Zagt nicht – und gleich war uns gut.Zählt denn auch Schmerz und Beschwerde,Wenn uns das Gute gelingt?Wenn man den Ärmsten der ErdeFreiheit und Frieden erzwingt!
Die Partei …
Sie hat uns alles gegeben.Ziegel zum Bau und den großen Plan.Sie sprach: Meistert das Leben!Vorwärts, Genossen, packt an!Hetzen Hyänen zum Kriege –Bricht euer Bau ihre Macht!Zimmert das Haus und die Wiege!Bauleute, seid auf der Wacht!
Die Partei …
Puh, zum Glück sind Merzens neue Freunde Reichinnek / Aken zu Hilfe geeilt um ihrem pol. Freund, die BRD, die Demokratie und letztlich die ganze Welt zu retten. Von den Olivgrünen war dies ohnehin erwartbar. Massive Aufrüstung statt Sozialkram ist eben das Motto dieser Tage. Der selbsternannte CDU/CSU/SPD/Grüne/Linke Demokratieblock wird die AfD wohl noch weiter stärken, so wie die letzten Jahre auch. Dazu und zu schlechten Wahlergebnissen rechtfertigt sich auch niemand, oder? Spätestens seit Scholzens Remilitarisierung (= Zeitenwende) hat das Wahlvieh eh einen Wohlstandsschaden, der für die Jüngeren starke Auswirkungen haben wird.
Also Parteiräson vor Gewissen. Bei einigen Punkten des Koalitionsvertrag wäre mein Gewissen auf die Barrikaden gegangen. Nun bei dem Verhalten der Kirchen in Fragen der Verfehlungen ihrer Repräsentanten ist dieser Kommentar verständlich.