In den vergangenen beiden Jahren bekam auch Leipzig eine Debatte über den Kolonialismus in der Geschichte der Stadt. Und dabei geriet dann auch Ernst Pinkert, der Gründer des Zoos Leipzig, ins Visier, der eben nicht nur mit Tierschauen das Publikum in seinen Garten lockte, sondern auch mit sogenannten Völkerschauen.

Dabei wurden Menschen aus damals als „exotisch“ empfundenen Teilen der Welt in folkloristischen Inszenierungen dem neugierigen Publikum gezeigt. Organisiert wurden die meisten dieser „Völkerschauen“ vom Hamburger Tierhändler und Zoodirektor Carl Hagenbeck.Und natürlich stand die Frage im Raum: Sollte Pinkert dafür nicht seinen Straßennamen verlieren? Oder sollte der Zoo dieses Kapitel in seiner Frühgeschichte nicht erst einmal richtig ausarbeiten? Nicht nur als Streiflicht, sondern als echtes Schwerpunktthema?

Genau das beantragt jetzt das Jugendparlament. Und zwar auch über den Zoo hinaus, auch wenn der Titel des Antrags scheinbar nur auf den Zoo abzielt: „Aufarbeitung der historischen Bedeutung des Leipziger Zoos“.

Als Beschlussformulierung schlägt das Jugendparlament vor: „Die Stadtverwaltung wird beauftragt, der von ihr gehaltenen Zoo Leipzig gGmbH den Auftrag zu erteilen, ihre Bedeutung im Kolonialsystem des Kaiserreichs (u. a. ,Völkerschauen‘, Genozid der Herero und Forschung in Afrika) sowie in der Zeit bis zum Ende des 2. Weltkrieges im städtischen, regionalen, nationalen und europäischen Kontext von einer unabhängigen Historiker/-innen-Kommission untersuchen zu lassen sowie die dafür nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.“

Dabei „soll insbesondere beleuchtet werden, ob und in welcher Weise der Zoo mittelbar oder unmittelbar Rassismus, Antisemitismus und Sexismus in der städtischen Gesellschaft und in der städtebaulichen Entwicklung und Erinnerungskultur verankert hat. Die Ergebnisse der Kommission sollen perspektivisch in einer zu erstellenden Ausstellung des Zoos über seine Geschichte veranschaulicht werden.“

Der Genozid an den Herero und die (kolonial bedingte) Forschung in Afrika betreffen natürlich andere Einrichtungen in Leipzig – Museen, Archive, Forschungseinrichtungen. Und da das Kapitel Kolonialismus in der nötigen Ausführlichkeit in der vierbändigen Stadtgeschichte fehlt, wäre es eigentlich ein echter Forschungsauftrag für die in Leipzig ansässige Wissenschaft. Einer, bei dem am Ende mehr herauskommen dürfte als nur ein neues Kapitel auf der online vom Zoo dargebotenen Unternehmensgeschichte.

Das Jugendparlament zitiert dazu auch eine denkbar knapp gehaltene Antwort aus dem Dezernat Kultur aus dem Januar 2019, in dem es hieß: „Vorangestellt sei festzuhalten, dass sich der Zoo Leipzig intensiv mit seiner Geschichte beschäftigt hat und sich des Kapitels der Völkerschauen als Bestandteil seiner Historie bewusst ist.“

Die Antwort bekam damals die Linksfraktion.

„Die kurzen Antworten in der Anfrage lassen bereits nichts Gutes erahnen und wer die Antworten gelesen hat, stellt fest: Eine sachliche, externe, ausführliche und in allen Teilen zugängliche Aufarbeitung der Zoo-Geschichte fehlt bis heute und das obwohl sich die Stadtverwaltung der Bedeutung Leipzigs im Kolonialsystem zumindest teilweise bewusst ist (vgl. VII-A-01512-VSP-01)“, kommentieren das die Jugendparlamentarier.

„Die eingangs genannte Anfrage spitzt sich in der Beantwortung der Fragen 3–5 zu: Das ,Teilergebnis‘ der bisherigen Forschung ist ein zwischen 20 und 30 Euro teures Sachbuch. Das war’s. Mal abgesehen davon, dass man das Buch nicht als ,Teilergebnis‘ bezeichnen sollte, wenn scheinbar keine anderen Ergebnisse erzeugt wurden, ist es auch weder sachdienlich, noch besonders geschichtsbewusst, wenn das Buch durch eine finanzielle Hürde nicht der breiten Masse zur Verfügung gestellt wird. Insbesondere Zoo-Besucher/-innen sollten durch eine Ausstellung die Möglichkeit haben, sich mit der problematischen Geschichte des Zoos ebenbürtig auseinanderzusetzen.“

Die Zeichen für eine historische Auseinandersetzung stehen gut und die Uhr tickt, stellt das Jugendparlament fest und zählt dann auf:

„Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat 2019 die Aufarbeitung und den Umgang mit dem Kolonialismus eine erhöhte Priorität zugewiesen (zuletzt abgerufen: 03.01.2021) und auch die mediale Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf diesen Aspekt deutscher Geschichte (Beiträge von MDR und ZDF, beide zuletzt abgerufen: 03.01.2021).

„Doch wie so oft drängt die Zeit in der Geschichtswissenschaft“, mahnen die jugendlichen Parlamentarier. „Zeugnisse vergangener Zeit verfallen oder werden unabsichtlich oder absichtlich vernichtet. Auch der Interpretationsspielraum wird aus der zeitlichen Distanz immer größer. Viele bundesweite Initiativen und auch die lokale AG Leipzig postkolonial des Engagierte Wissenschaft e. V. machen auf diese Situation aufmerksam. Die Stadt kann und sollte in diesem eigenen Verantwortungsbereich eine Vorbildfunktion einnehmen, aber die bisherige Aufklärung ist barrierereich, unvollständig und schwer zu finden.“

Was ja das Anliegen der Linksfraktion bestätigt, dass Leipzig eine umfassende Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte braucht.

Bis zum 3. Quartal 2021 soll der OBM Vorschläge unterbreiten, wie das passieren soll. So hat es der Stadtrat im November beschlossen. Und dass Teile dieser Forschung auch öffentlich sichtbar werden müssen, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Denn sämtliche Rassismus-Probleme der Gegenwart haben auch mit den alten kolonialistischen Sichtweisen auf andere Völker und Kulturen zu tun. Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, woher all diese Vor-Urteile kommen.

Was übrigens über die Zeit des tatsächlichen deutschen Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts weit hinausgeht. Denn der Geist der „überlegenen“ weißen Kultur war vorher schon zu finden, in der Handelspolitik genauso wie in den Schriften der „Dichter und Denker“.

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