Tagebuchschreiben ist eigentlich keine Kunst. Aber es gibt ganz wenige, die es wirklich können. Die der Nachwelt keinen Bären aufbinden wollen und den Mut haben, von sich selbst, ihrem Leben und ihren Gedanken und Träumen so unverstellt und nüchtern zu erzählen, wie es Manfred Krug in seinen Tagebüchern getan hat. Aber es war wohl genau diese Unverstelltheit, die ihn auch als Schauspieler so beliebt gemacht hat.

Und zwar im Osten genauso wie im Westen. Wahrscheinlich ist es eine der tiefsten Sehnsüchte vieler Menschen, ein Leben so aufrecht stehend leben zu können und sich nicht zu verbiegen und zu verkrümmen. Das kann auch schiefgehen.

Gerade die Biermann-Affäre und ihre Folgen erzählen davon. Zu denen ja auch die Unterschriftenliste gehörte, mit der einige mutige Schauspieler und Künstler in der DDR gegen die Ausbürgerung Wolf Biermann protestierten und die im Zentrum von Krugs Buch „Abgehauen“ steht, das gerade in diesen beiden Jahren, in denen nun diese zweite Tagebuchauswahl handelt, verfilmt wurde.

„Abgehauen” und „Spur der Steine”

Die erste Tagebuchauswahl aus den Jahren 1996 und 1997 veröffentlichte Krista Maria Schädlich 2022. Auch sie gehörte ja zu jenen Menschen, die nach den harschen Reaktionen der SED-Führung auf die Proteste gegen die Biermann-Ausbürgerung zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, die DDR verließen. Sie war es auch, die Manfred Krug für den Econ Verlag gewinnen konnte, wo dann seine Bücher erschienen.

Und natürlich kommt sie auch selbst in den Tagebüchern vor und hat manches auch miterlebt. Denn natürlich erzählt Krug auch von der Entstehung der Bücher und Schallplatten, die er in dieser Zeit veröffentlicht hat – mitsamt den Promo-Touren und Lesungen, die ihn dabei auch in den Osten des Landes führten, wo er nie vergessen wurde, auch wenn natürlich der Volksaufstand ausblieb, nachdem die SED-Führung ihm erst Arbeitsverbot verpasst hatte und er dann das Land verlassen hatte. Eher hat der Aderlass an bekannten Künstlern und Künstlerinnen nach 1976 dazu geführt, dass der DDR endgültig die eigene Legitimation abhandenkam.

Und gerade deshalb ist dieser Manfred Krug auch als Identifikationsfigur so markant: Er stand – spätestens ab dem Film „Spur der Steine“ (1966) – für eine Aufrichtigkeit und Unverstelltheit, die sich radikal von der Verdruckstheit und Schönmalerei der Parteifunktionäre unterschied.

Die Profession des Schauspielers

Stehen können zu dem, was man weiß und gelernt hat, sich nicht verbiegen lassen und nicht zu Kreuze kriegen – das lebte Krug ja selbst nach seiner Ausreise nach Westberlin vor. Ein Schauspieler, von dem selbst Kollegen meinten, er spiele doch nur sich selbst. Aber auch das Thema beschäftigt ihn bis in seine Tagebücher und Träume hinein: Wann ist ein Schauspieler eigentlich authentisch? Wann funktionieren Rollen und Drehbücher? Wie „Nackt“ muss man sich machen?

Und auch 1998/1999 hat er es sichtlich immer wieder mit Drehbuchautoren, Redaktionsleitern und Regisseuren zu tun, die das nicht wissen. Die eigentlich nur gelernt haben, das Immergleiche quotengerecht immer neu aufzukochen und das Publikum mit Geschichten einzulullen, die weder realistisch noch aufregend noch stimmig waren. Und sind, kann man hinzufügen, denn wirklich viel hat sich ja an dieser Masche der Volksberieselung nicht geändert. Was ja dazu beiträgt, dass die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen Jahr um Jahr immer lauter wird.

Logisch, dass es sehr deutliche Kritik des erfahrenen Schauspielers Krug gerade an den miserablen Drehbüchern gibt, die ihm und seinem Kollegen Charles Brauer für die „Tatort“-Folgen angedreht werden. Natürlich geht es selbst bei so einem Thema um Authentizität und Können. Und Krug war zumindest 1998 / 1999 längst so weit, dass er sich dieser Zumutungen erwehren konnte und der Sender trotzdem versuchte, ihn noch für weitere zehn Jahre an den „Tatort“ zu binden. Es fiel auch in dieser Zeit auf, dass es Typen wie diesen „Proletarier“ Krug im deutschen Fernsehgeschäft kaum noch gab. Typen, die durch ihre Präsenz und Raubeinigkeit Sendungen tragen konnten und selbstbewusst auf ihr Können pochten und sich peinlicher und beschämender Szenen erwehrten.

Die Krux mit der Liebe

Man muss nicht alles mitmachen, auch nicht im Filmgeschäft, in dem oft ganz andere Leute ihr Geschäft machen, während die Arbeit der eigentlichen Darsteller in straff organisierten Drehtagen zusammengepresst wird.

Drehtage, die Krug genauso lebendig und emotional schildert wie die Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen, Berühmten und Nichtberühmten, Bekannten aus dem alten Osten und achtbaren Typen, die ihn auch im Westen beeindruckten. Und auch wenn er betont, wie wertvoll das Können ist, Menschen mit Freundlichkeit einhegen und Stimmungen damit entschärfen zu können, merkt man eben doch, dass dieser Mann eine Attraktion gewesen sein muss, den die Menschen nicht nur anhimmelten, sondern den sie gerade für seine Offenheit auch liebten.

Eine Offenheit, die sich wohltuend vom christlich-verbrämten Anständigsein so vieler glattgewalzter Autobiografien unterscheidet. Krug erzählt von seinen Marotten und Krankheiten genauso nüchtern und selbstverständlich wie von seinen Ängsten und seinen Lieben. Wobei ja in diesem Band gerade die Liebe zu seiner Tochter Marlene im Mittelpunkt steht, dem späten Kind, das er mit seiner Kollegin Petra bekam und das ihn noch einmal alle Freuden erleben ließ, einem kleinen Menschenwesen beim Aufwachsen und Klugwerden zuschauen zu können.

Scheinheilige Medien

Ein Kind, von dessen Existenz die Boulevardpresse auf keinen Fall erfahren durfte. Denn Krug wusste genau, wie die „Schmierfinken“ über ihn herziehen würden, wenn sie auch nur den Verdacht haben würden, dass er ein uneheliches Kind haben könnte. Und wie sie agierten, wird sichtbar, als Krug den Autounfall schildert und die nachfolgende Belästigung von diversen Reportern, die postwendend an seinem Wohnhaus aufkreuzten.

Leute, die sich wahrscheinlich in den Hintern gebissen haben, als sie aus den ersten 2022 veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen die Wahrheit erfuhren. Da war ihnen eindeutig eine einmalige Gelegenheit durch die Lappen gegangen, einen der beliebtesten Schauspieler öffentlich mit Dreck zu bewerfen. Mal ganz abgesehen davon, wie verlogen das Selbstbild der deutschen Boulevard-Macher ist, die stets so tun, als wären sie Heilige, die sich zurecht über die menschlichen Schwächen anderer Leute aufregen und sie zu Monstern machen.

Dabei lassen auch die jetzt von Krista Maria Schädlich ausgewählten Tagebucheinträge deutlich werden, dass diese scheinheilige Patina nichts als Lüge und Nebel ist. Denn Liebe und Traum lassen sich nicht mit dem faden Bild einer „heilen“ deutschen Ehe unter einen Hut bringen. Das Leben besteht aus lauter Abwegen, Fehltritten, Unsicherheiten und fatalen Verwicklungen, in denen man sich nur versuchen kann so anständig wie möglich zu benehmen. Und nicht gleich alles zu verlieren, was man sich an Nähe geschaffen hat. Und natürlich ist Ottis Versuch, diese Verwicklungen irgendwie auszuhalten, nur zu bewundernswert.

Und am Ende verzichtet Krug ja ganz bewusst auf das Leben mit seiner zweiten Familie, wohl wissend, dass seine Otti, die mit ihm all die Strudel des Lebens durchgestanden hat, etwas Besonderes ist. Auch dann noch, wenn der nunmehr über 60-Jährige trotzdem von all den Frauen schreibt, in die er sich im Leben verliebt hat oder hätte verlieben können.

Das Risiko, sein eigenes Leben zu leben

Und trotzdem bleibt es immer ein Risiko, wenn man sich auf Menschen wirklich einlässt. Aber gerade, weil Krug darüber immer wieder reflektiert, wird auch deutlich, dass es für ihn dieselbe Unbedingtheit ist, die er als Maßstab auch an seine Arbeit als Schauspieler und Sänger gelegt hat – denn in die Zeit fällt ja auch sein öffentliches Comeback als Sänger.

Authentisch wird man nur, wenn man seine Schwächen und Krummheiten kennt und dazu steht. Aber auch, wenn man in seiner Arbeit Ehrlichkeit und Bodenständigkeit einfordert. Realistische Geschichten, die mit all ihrem Aberwitz des Lebens auch einen „Tatort“ mit Leben erfüllen und die Menschen vor die Bildschirme locken.

Und mit derselben Nüchternheit schaute Krug auch auf die Weltereignisse, die es natürlich in diesen zwei Jahren auch gab. Und die Folgen haben bis heute – angefangen mit dem Sturz des „ewigen Kanzlers“ Helmut Kohl und Gerd Schröders erstem Wahlsieg über den Kosovo-Krieg, in den Deutschland kurz nach Antritt der Rot-Grünen Regierung hineingezogen wurde, bis hin zu jenem 31. Dezember 1999, als Krug in sein Tagebuch schrieb: „Boris Jelzin, der alte Tanzbär, tritt zurück und übergibt an das schmale Jüngelchen Wladimir Putin, er jetzt gerade den Krieg in Tschetschenien führt und damit Pluspunkte bei den gedemütigten Russen macht.“

Ein Tagebucheintrag, der sich nach Putins Krieg gegen die Ukraine 2022 noch viel eindringlicher liest. Kurz zuvor hatte Krug auch erwähnt, wie die russischen Truppen die Stadt Grosny so gnadenlos dem Erdboden gleichmachten, wie sie es 2022 mit dem ukrainischen Mariupol gemacht haben. Und noch ein paar Tage vorher erwähnt er die zwei brutalen Anschläge in Moskau, mit denen Putin das brutale Vorgehen in Tschetschenien begründete. Anschläge, von denen man bis heute nicht weiß, wer sie wirklich inszeniert hat.

Die Gefährdung unserer Demokratie

Und trotzdem gab sich Manfred Krug damals nicht dazu her, als mahnende Stimme auf Sendung zu gehen, auch wenn er immer wieder dazu gefragt wurde. Aber er wusste wohl besser als die Fragenden, dass das seine Rolle nicht war. Dass seine Arbeit als Schauspieler etwas völlig anderes ansprach in den Zuschauern. Eine grundlegende menschliche Haltung, die überall zählt. In der Filmarbeit letztlich genauso wie in der Politik und den Medien.

Denn der Eintrag vom 25. Oktober 1999 gilt eigentlich den Medien, auch wenn er scheinbar zuerst auf das Gerede in der Politik zielt: „In Österreich ist Jörg Haider auf dem Vormarsch. Die Deutschen streben auch wieder auf einen Adolf zu. Jede politische Idee wird zerredet, noch ehe sie halbwegs formuliert ist. Mediengesellschaft. Was man an der Demokratie gehabt haben wird, wird man wieder erst merken, wenn sie nicht mehr da ist.“

Das ist jetzt 23 Jahre her – und noch viel gültiger.

Manchmal wünscht man sich beim Lesen, man hätte den Mann zum Freund gehabt und wäre ihm dann und wann in einer seiner Lieblingskneipen beim Bier begegnet. Vielleicht täuscht das auch. Denn dass er nicht wirklich alle Leute, die er so selbstverständlich traf und mit denen er zum Bierchen ausging, wirklich nah an sich heranließ, deutet er auch an. Jedenfalls nie so nah wie Jurek Becker, den Freund seines Lebens, den er auch 1998 und 1999 immerfort vermisst.

Aber wohl auch deshalb ließ er sich nicht zum Talkshow-Dauergast machen und damit zum Teil jenes unaufhörlichen Geschwätzes, bei dem Halbwissende und Blender permanent alles zerreden, egal, ob das die Klimapolitik ist, die Lieferung von Leopard-2-Panzern, Bildungspolitik oder Geschwindigkeitsbegrenzungen. Es ist ja alles noch viel schlimmer geworden, aalglatter und verdruckster letztlich. Und auch feige, weil es ja sonst dem Geschäft schadet, was Krug eindrucksvoll am Beispiel eines Beinah-Unglücks mit einer Lufthansa-Maschine erzählt.

Die Blicke des Publikums

An einer Stelle lässt er seine kleine Eifersucht auf Frank McCourt spüren, der mit 64 das Buch seines Lebens schrieb und damals einen riesigen Welterfolg landete. Ein bisschen wollte er ja so seine eigene Autobiografie auch schreiben. Aber das wollte ihm so nicht gelingen. Was auch wieder gut ist. Denn es ist auch dieser trockene, lebenserfahrene Krug-Ton, der seine Bücher so angenehm zu lesen macht. Er steckt ja trotzdem drin, mit seiner ganzen ungeglätteten Persönlichkeit, gern auch als Raubein und vom Gedächtnis im Stich Gelassener, der nun merkt, wie sein Körper langsam kaputtgeht und das Alter unbarmherzig zuschlägt.

Und das Verblüffendste ist vielleicht gerade die in seinen Träumen zum Vorschein kommende Angst vor den Blicken des Publikums. Am 31. Januar 1999 zitiert er Elfriede Jelinek mit den Worten „Man soll als Künstler nicht berühmt, sondern im Verborgenen sein. Berühmt sein macht kaputt.“

„Sag ich doch“, schreibt er dazu. Und zeigt mit den drei Worten den Kern eines Verständnisses von Arbeit, das ganz und gar nicht üblich ist. Schon gar nicht im deutschen Medienbusiness. Weshalb es so viel Inhaltsloses, Undurchdachtes, Hingelutschtes gibt, das das Publikum verprellt und langweilt. Nichts als Schein (oft nicht mal schön), und fast immer das Gefühl, dass diese ganze bunte Soße eigentlich nichts mit unserem Leben hienieden zu tun hat. Und schon mal gar nicht mit einem ordentlichen Stück Handwerk, das ja auch in der Schauspielerei steckt.

Man vermisst diesen Krug erst recht, wenn man diese neue Auswahl aus 800 Seiten Tagebuch zugeschlagen hat. Warum gibt es solche Typen nur so selten? Warum schafft man es so selten, selbst so robust durchs eigene Leben zu gehen? Aber natürlich kann man auch die Stellen nicht überlesen, an denen Krug von seiner Fremdheit in dieser Welt erzählt und davon, wie wenige Menschen er tatsächlich nah an sich heran gelassen hat. Vielleicht ging es ihm ja doch auch wie unsereins – samt dem Gefühl, „zu zart zu sein für diese Welt“.

Manfred Krug „Ich bin zu zart für diese Welt. Tagebücher 1998 – 1999“, Kanon Verlag, Berlin 2023, 24 Euro.

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